verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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„Also wirklich gewußt, Jonas? Nicht blos gedacht?“ fragte sie, und zwischen den Brauen zeigten sich ein paar kleine Falten. „Gewußt? Wie aber, von wem? Weiß der Vater denn auch, daß Leopold –“
Der alte Leibjäger zuckte zusammen. „Fräulein,“ unterbrach er Esperance lebhaft, „ich sah den Mann nur so obenhin, aber er kam mir wirklich fast wie der junge Herr vor. Ist er’s?“
„Er ist’s,“ erwiderte sie und ihr Auge begegnete fest dem seinen. „Dein Bruder hat ihn bei sich aufgenommen und ihm ein Asyl gegönnt. Ich fand ihn hier, er verbarg sich auch vor mir – vor mir, Jonas, ist’s nicht, daß Einem das Herz brechen möchte? – Und nun kommt Ihr, auch ihn wieder zu verjagen?“
„Das ist nicht richtig,“ versetzte Jonas hart; „von uns verjagt ihn keiner, Fräulein. Sie können es an dem Schwachkopf, dem Tobias, sehen.“
„Schäme Dich, Jonas, es ist Dein Bruder, und er hat den Muth gehabt, den meinen bei sich Ruhe finden zu lassen.“
„Ja, er muß freilich wohl seine heimlichen Meriten haben, denn wen der Schloßengel zum Mann nehmen mochte –“
„Wer?“
„Der Schloßengel, so hießen wir vordem die Katharine, und sie verdiente es, sie war brav und sauber. Aber was ich sagen wollte – wo es den jungen Herrn gilt, bin ich dabei, selbst gegen die Excellenz. Der weiß noch von damals her, wie es mit mir steht. Wie Sie mit dem Kammerherrn fertig werden, weiß ich nicht. Er steckt mehr als je mit dem Baron zusammen. – Kann’s übrigens nicht leugnen,“ fügte der Alte hinzu, „daß ich selber gern ein paar Tage hier bliebe – hätten Sie mich nur statt der Kammerkatze mitgenommen, Fräulein! – Es geht etwas vor, der Herr ist gar zu wild und grimmig; und ich schwör’ darauf, das hängt wieder einmal mit Dernot und dem alten Stänker, dem Augustin, zusammen. Nur ein paar Tage, und ich brächt’s heraus. Der Herr, wie grimmig er ist, faßt es nicht recht an. Man muß dem Augustin ans Zeug greifen, oder er thut’s bei uns, Fräulein.“
Esperance, welche diesen Worten mit einer fast düsteren Aufmerksamkeit gefolgt war, erhob sich. „Du erhältst diese Tage,“ sagte sie, „gleich viel wie; nütze sie gut. Und vor allen Dingen, was Du entdeckst, erfahre auch ich. Vergiß nicht, ich bin die Herrin von Dernot.“ Sie nickte ihm zu und verließ raschen Schrittes das Gemach. –
„Endlich, mein schönes Kind, endlich!“ rief Herr von Brose ihr entgegen, als sie ein paar Augenblicke später in das Zimmer trat, das man ihm angewiesen hatte – seit Meister Tobias durch das Eintreffen der jungen Herrschaften überzeugt worden, daß man Dernot noch nicht ganz vergessen und aufgegeben habe, hatte er den vernachlässigten Räumen mehr Sorge als bisher zugewendet, und der Kammerherr sah sich daher ganz leidlich placirt und würde sich, zumal nach dem angreifenden Reisetage, ganz behaglich gefühlt haben, hätte er sich nach seinem Ausdruck in der verflossenen Stunde nur nicht so vollständig isolirt gefunden.
„Aber Dernot ist das Schloß der Feenmärchen,“ sagte er kopfschüttelnd. „Als ich vorhin zu Ihnen hinabeilte, waren Sie verschwunden, war niemand zu finden. Selbst der Schloßengel war fort, und ich hatte es nur meinem guten Gedächtniß zu danken, daß ich dies Zimmer wiederfand und durch das Zöfchen die Botschaft von Ihnen erhielt. Und nun kommen Sie gar zu mir,“ schloß er, ihre Hand ergreifend und gegen die Lippen erhebend. „Ich wollte auf Flügeln –“
Sie zog die Hand zurück und ihr Auge lachte ihn schalkhaft an. „Papa Brose, Sie saßen zwölf Stunden auf dem Wagen – da werden selbst unsereinem die Flügel lahm. So kam ich denn halb aus Erbarmen, halb aus Politik. Sie sollen keinen gar zu schlimmen Eindruck erhalten – es sieht drüben bei uns grauslich aus. Eugenie ist so wild, und Joseph raucht seines Cigarre nach der anderen. Morgen wird sich unser Salon in besserem Lichte zeigen.“
„Morgen – hm! – Aber Joseph, sagen Sie? Ist das der Cousin Herrenroth? Den haben Sie hier?“
„Freilich, lieber Kammerherr, den verschrieben wir uns zum Cavalier auf dieser Entdeckungsreise. Wie hätten wir’s sonst gewagt, Papa!“
„Sehen Sie, sehen Sie! Das war recht, das war fein! Der Vater liebt und achtet den jungen Mann, er erwartete ihn und wollte ihn Ihnen nachschicken. Das wird Ihren Empfang zu einem ganz freundlichen machen.“
Sie sah ihn mit einem halb nachdenklichen, halb forschenden Blicke an. „Der Papa ist also wirklich und selbst grimmig, nicht blos die Tante?“
Herr von Brose schüttelte ein wenig sein kleines Haupt. „Mein liebes Kind – ich darf es Ihnen nicht verbergen, Excellenz sind wirklich, wie Sie es heißen, grimmig, so, daß es uns erschreckte, obgleich wir“ – und er zuckte mit leichtem Lächeln die Achseln – „nicht leugnen können, daß er eine Art von Grund hat, ungeduldig zu werden. Denn ihr wilden Kinder habt’s doch wohl ein wenig zu arg gemacht! Und darum,“ fügte er hinzu, und in seinem runzelvollen Gesicht zeigte sich neben all dem Wohlgefallen auch ein gewisser ernster Zug, „darum dürfen Sie wirklich nicht viel von morgen reden. Es ist eine angreifende Tour, allein was hilft’s? Der Papa erwartet uns morgen Abend daheim.“
„Das bedauere ich von ganzem Herzen,“ sagte sie, das Köpfchen wiegend. „Es soll sehr widerwärtig sein, umsonst zu warten.“
„Mein theures Kind!“ – der Kammerherr sah wirklich erschrocken aus; „Sie denken doch nicht –“
„Hier zu bleiben? Einige Tage noch ganz gewiß, Herr von Brose. Wir hatten anfangs ganz schlechtes Wetter, und somit vermochte ich meinen Zweck noch nicht zu erreichen.“
„Zweck – ich bitte Sie, Zweck! Was kann Ihnen die Reise hieher, was der Aufenthalt in diesem öden alten Nest anders sein, als ein lustiger Einfall des jungen, übermüthigen Köpfchens!“
Ihr Auge blitzte ihn an. „Respect, mein Herr! Es ist mein Haus, das Sie da heruntersetzen! Was wissen Sie, was ich hier suchte, was ich hier fand! Und wäre es nur Ihr ‚Schloßengel‘ gewesen. Apropos, Papa, hat Jonas Ihnen den Titel genannt?“
„Ach,“ versetzte Herr von Brose mit einem milden Lächeln, „ich erinnerte mich seiner noch selber. Katharine war wirklich eine Ausnahme und verdiente diese Bezeichnung.“
„Also waren Sie schon hier, Papa?“
„Ja, leider, muß ich wohl sagen,“ erwiderte er mit einem sanften Wiegen des Hauptes. „Es ist lange her, Ihr Vater und ich waren in der ersten Intimität, jung und lustig. Da hausten wir hier ein paar Wochen – und verloren Lust und Vergnügen.“
„Ei, sieh da!“ rief sie mit dem Ausdruck der Ueberraschung, „da waren Sie also bei jenen Ereignissen, die dem Papa Dernot verhaßt machten?“
„Mein liebes Kind, lassen wir das!“ sagte der Kammerherr und strich mit den Fingern über Augen und Stirn, aber vorsichtig, so daß er die Perücke nicht berührte.
„Nein, lassen wir das nicht!“ versetzte sie noch immer im vorigen Tone und hörbar gespannt. „Da können Sie mir ja am Ende die Aufklärung geben, die ich hier bisher vergeblich suchte!“ Und ohne auf die Bestürzung zu achten, die aus seinem weit geöffneten Auge sprach, fügte sie hinzu: „Also, was verfeindete damals den Papa mit dem alten Augustin Besseling, und was ist an der Sage, daß man uns, mir, sogar den Besitz von Dernot streitig machen könnte?“
Einen Augenblick zeigten sich die Züge des alten Herrn noch unter dem Eindruck der Bestürzung; dann aber wich dieselbe vor einer immer deutlicher hervortretenden Mißbilligung, der sich sogar ein nicht zu verkennender Verdruß beimischte, und er entgegnete in auffällig herbem Ton: „Ich verstehe von dem allen nur, daß Ihr Vater völlig Recht hat, wenn er diesen Ausflug überhaupt nicht goutirt und, da er vernahm, daß derselbe nach Dernot gerichtet war, wirklich zu zürnen begann. Ich weiß nicht, was man Ihnen in’s Köpfchen gesetzt, allein ich sehe auch wieder, daß die alte Sage richtig: es spukt in Dernot und selbst die klügsten Köpfe werden davon beherrscht! – Mit einem Wort, liebes Kind,“ brach er milder ab, „schlagen Sie[WS 1] des Vaters Verstimmung nicht allzu gering an. Sie wissen wohl, daß eine solche Verstimmung bei ihm stets ihr Bedenkliches hat, selbst für Sie, mein Kind. Ihre Tante und ich waren daher auch ganz glücklich, daß er nicht selbst reiste, sondern mich gehen ließ. Verlieren wir jetzt aber diesen Vortheil nicht, liebes Kind. Morgen –“
„Wollen wir heiter sein, Kammerherr, und auf das Glänzendste
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Se
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)