verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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Heinrich mit zweitausend und die Aufwartefrau mit eintausend Thalern bedacht waren.
Heinrich hatte Felicitas den Inhalt des Testamentes mitgetheilt, so gut er es eben vermochte. Der Ort, wo die alte Mamsell das Silber aufbewahrt hatte, war also nicht näher bezeichnet, das ging aus seiner Mittheilung hervor. Das junge Mädchen frohlockte. Wenn das Geheimfach nicht durch irgend einen Zufall entdeckt wurde, dann war es in ihre Hände gegeben, den grauen Kasten zu vernichten, ohne daß ihn das Auge irgend eines anderen Sterblichen erblickte.
„Siehst Du, Feechen, das verwinde ich in meinem ganzen Leben nicht!“ sagte Heinrich traurig – sie saßen allein zusammen in der Gesindestube – „Du sollst nun einmal zu nichts kommen in der Welt! Hätte die alte Mamsell nur noch vierundzwanzig Stunden gelebt, da war das alte Testament jetzt umgestoßen, und Du hättest das unmenschlich viele Geld gekriegt – sie hatte Dich gar lieb.“
Felicitas lächelte. Der ganze Jugendmuth, der sich seiner Kraft bewußt ist, dem nichts ferner liegt, als das Ringen um schnöden Gelderwerb, die Sorge um hülflose, alte Tage – lag in diesem Lächeln.
„Es ist ganz gut so, Heinrich,“ entgegnete sie. „Alle die Armen, die bedacht worden sind, brauchen das Geld viel nöthiger als ich, und bei der Verfügung über das Capital hat die Tante jedenfalls ihre sehr gewichtigen Gründe gehabt, die sie ohne Zweifel auch bei Abfassung eines späteren Testamentes festgehalten haben würde.“
„Ja, ja, mit den Hirschsprungs muß es doch sein eigenes Bewenden gehabt haben!“ meinte Heinrich nachdenklich. „Der alte Hirschsprung, auf den kann ich mich noch ganz gut besinnen; er war ein Schuhmacher und hat mir meine allerersten Stiefeln gemacht – so ‘was vergißt sich nicht. Er wohnte oben in der Gasse, gleich neben unserm Hause, und da hat’s denn die Nachbarschaft gemacht, daß sein Junge und die alte Mamsell als Kinder mit einander gespielt haben. Der Junge ist später ein Student geworden und soll der alten Mamsell ihr Liebster gewesen sein – so sagen die Leute. Sie erzählen auch noch immer – und das wurmt mich am allermeisten – die Liebschaft eben wär’ dem alten Herrn Hellwig, ihrem Vater, sein Grab gewesen. Er hätte sie nicht leiden wollen, und einmal wär’ er mit der alten Mamsell so hart zusammengekommen, und sie hätte ihn dermaßen geärgert, daß er auf der Stelle todt umgefallen sei – wenn’s wahr ist, ich glaub’s nicht! … Gleich nachher soll die alte Mamsell nach Leipzig gereist sein; der Student hat das Nervenfieber gehabt, und sie ist bei ihm geblieben und hat ihn gepflegt bis zum letzten Augenblick. Darüber sind die Verwandten vollends wüthend geworden; sie haben sie ein liederliches Weibsbild geschimpft, sie ist verstoßen worden, und das haben die Leute in X. gleich nachgemacht, und kein Mensch hat sie auch nur angesehen, wie sie endlich wiedergekommen ist. – Mag das nun Alles sein, wie’s will – es kommt mir doch curios vor, daß da Leute erben sollen, die vor vielen, vielen Jahren ausgewandert sind – die waren ja mit dem Studenten schon längst gar nicht mehr verwandt, – das mache mir Einer klar!“
Am darauf folgenden Tage wurden in der Mansardenwohnung die Gerichtssiegel abgenommen.
Es waren unheimliche Tage, die auf den Act der Entsiegelung folgten. Die einförmig graue, unbewegliche Wolkenschicht am Himmel schien unerschöpflich. Tag und Nacht plätscherte es auf Dächer und Straßenpflaster, und aus den Drachenköpfen am alten Kaufmannshause schossen die Wasserstrahlen in mächtigem Bogen hinunter auf den Marktplatz. Sie sahen grimmiger aus als je, diese metallenen, weit aufgerissenen Rachen am Dach; der mißfarbene Gischt, der drunten zwischen den Pflastersteinen zerschellend aufspritzte, schien eitel Gift und Galle; sie hatten aber auch viele Jahre hindurch gesehen, wie die Schätze im alten Hause sich mehrten und aufspeicherten, wie stets ein Geldstrom hineingeflossen war, von dem die Welt nur ein schwaches, streng überwachtes Bächlein zurückempfing, und nun geschah das Unerhörte – ein bedeutendes Vermögen ging aus diesem Hause hinaus in’s Weite und weder die eisenfesten Mauern, noch die Frau mit den eisenharten Zügen neben dem Asclepiasstock vermochten es zurückzuhalten.
Felicitas hatte sich während der Regentage in die Kammer neben der Gesindestube zurückgezogen. Sie war, ohne Zweifel auf den ausdrücklichen Befehl des Professors noch immer von den schweren Hausarbeiten dispensirt. Dagegen saß sie in hohe Stöße eines alten Leinzeugs förmlich vergraben; sie mußte ausbessern, denn ganz umsonst sollte sie ihr Brod doch nicht essen.
Draußen im Hofe rauschte eintönig der ferne Brunnen, der Regen fiel unermüdlich, in regelmäßigen Tactschlägen klatschend auf die breiten Blätter des Huflattich, der in einer feuchten Ecke wucherte; bisweilen scholl das Krähen der Hähne aus dem Geflügelhof herüber, oder der graue Ton, den das farblose, matte Tageslicht über alle Gegenstände hauchte, wurde unterbrochen durch einzelne hereinfliegende Tauben, die auf den triefenden Simsen ihr hellleuchtendes Gefieder vollregnen ließen. Licht, Geräusch und Bewegung, Alles erschien gedämpft und gedrückt, und diese Apathie erstreckte sich scheinbar auch über das bleiche Mädchen im Bogenfenster. Zwar hob und senkte sich die Hand mit dem Fingerhut unablässig und tactmäßig, aber das herrliche Profil neigte sich in fast eherner Unbeweglichkeit über die Arbeit. Das Leben mit seinen furchtbaren Erschütterungen hatte bis jetzt vergebens versucht, den Stempel des Leidens und der Ergebung in diese Züge zu graben – sie waren nur immer bleicher geworden, es hatte den Anschein, als wollten sie in dem Ausdruck eines ungebrochenen Geistes, einer zähen Widerstandsfähigkeit allmählich erstarren.
Allein unter dem groben, dunklen Stoff, der die zarte Büste umschloß, klopfte ein tief beunruhigtes Herz, und während die Hand mechanisch allerlei Schäden zudeckte und ausglich, zermarterte sich der Geist über die mögliche Lösung schwerer Aufgaben und der damit verbundenen Conflicte… Auch die Behörde hatte vergebens nach dem Silberzeug und dem Schmuck der alten Mamsell gesucht. Anfänglich war dies Ergebniß von beschwichtigender Wirkung auf das angstvoll erregte Gemüth des jungen Mädchens gewesen, seit jenem Augenblick jedoch ging Heinrich verstört und in unbeschreiblicher Aufregung umher; Frau Hellwig hatte der Commission gegenüber mit sehr zweideutigen Blicken nach dem Hausknecht betont, daß er und die Aufwartfrau seit vielen Jahren allein bei der alten Mamsell aus- und eingegangen, und auf diese einer Anklage sehr ähnliche Aussage der gestrengen Frau hatte man den ehrlichen Burschen ohne Weiteres und in durchaus nicht schonungsvoller Weise in’s Verhör genommen. Er war außer sich. … Welche Qual für Felicitas, den bitteren Jammer dieses alten, treuen Freundes mit ansehen zu müssen, ohne daß auch nur eine Andeutung des Geheimnisses über ihre Lippen schlüpfen durfte! So ruhig und besonnen er sich sonst auch in allen Lebenslagen erwiesen, dieser Verdächtigung stand er geradezu fassungslos gegenüber, das junge Mädchen fürchtete mit Recht, er werde in dem unwiderstehlichen Drang, die abscheuliche Beschuldigung abzuschütteln, hastig und unvorsichtig sein, und hier war gerade die äußerste Vorsicht und Beharrlichkeit nöthig, um das Geheimniß der alten Mamsell zu retten.
Es war jetzt doppelt schwierig, in die Mansardenwohnung zu gelangen. Der Professor hatte am Tag der Entsiegelung auf’s Höchste überrascht die Zimmer der geheimnißvollen alten Tante durchschritten und dieselben sofort als Chef des Hauses förmlich mit Beschlag belegt. Möglich, daß ihm Angesichts der originellen und sinnigen Ausstattung der Räume plötzlich ein Licht aufgegangen war über den Geist und das Wesen der einsamen Verbannten. Nicht ein Möbel durfte von seiner Stelle gerückt werden, und er war zornig geworden, als die Regierungsräthin vor seinen Augen eine Nadel aus einem Stecknadelkissen gezogen hatte.
Es schien, als wolle er den Rest seines Aufenthaltes im mütterlichen Hause da oben unter dem Dach zubringen. Er kam nur zur Essenszeit in das Wohnzimmer des Erdgeschosses, und dann stets mit einem „brummigen Gesicht“, wie Friederike sagte. Aber auch die Regierungsräthin hatte eine Art Leidenschaft für das „reizend stille Asyl“ erfaßt; sie erbat es sich als eine besondere Gunst von ihrem Vetter, sich öfter in der Mansardenwohnung aufhalten zu dürfen. Rosa mußte die Fußböden reinigen, und die junge Wittwe wischte mit höchsteigenen zarten Händen den Staub von den Möbeln. Tante Cordula’s Zimmer standen somit nicht einen Augenblick unbewacht; zudem hatte der Professor das altväterische, unbequeme Schloß an der gemalten Thür entfernen und durch ein neues ersetzen lassen – Felicitas’ Schlüssel war völlig unbrauchbar geworden – sie war jetzt lediglich auf den Weg über die Dächer angewiesen.
Bei dem Gedanken, daß sie gezwungen sei, wie ein lichtscheuer
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_498.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)