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Seite:Die Gartenlaube (1867) 794.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

den Baderäumen, um den Arbeiterinnen, die den ganzen Tag aus sind, den Luxus eines Bades noch am Abende oder Morgens frühe zu gewähren.

Die Gesammtzahl der Schlafräume beträgt achtzig, welche also vierhundertundachtzig Frauen aufnehmen können; öffentliche oder gemeinschaftliche Räume sind neun vorhanden, die einen Flächenraum von sechstausend sechshundert Quadratfuß besitzen. Der Industrie und dem Geschäfte sind elf Räume gewidmet; Aborte giebt es sechsundneunzig. Die Corridore, ausschließlich der Treppen, haben einen Flächeninhalt von mehr als zwölftausend Quadratfuß, der Hofraum von mehr als viertausend.

Die einzige Arbeit, welche von den Kostgängerinnen verlangt wird, ist, daß sie am Morgen ihr Zimmer aufräumen und ihr Bett machen. Selbst das Fegen und Reinigen thun die Dienstboten und schütten den Kehricht in ein auf jedem Corridor dazu bestimmtes, mit einem Deckel versehenes großes Gefäß von Eisenblech.

Einen höchst angenehmen Eindruck macht die überall sichtbare scrupulöseste Reinlichkeit, über die ich mich nicht enthalten konnte, Mrs. Porter meine Anerkennung auszusprechen, und besonders dankbar und rühmend muß es, bei dem sich sonst stets in derartigen Angelegenheiten dick thuenden Sectarianismus, anerkannt werden, daß keine Einwohnerin nach ihrem Glaubensbekenntnisse auch nur befragt werden darf und daß auch in religiöser Beziehung ihnen eine gleiche Freiheit zusteht, als lebten sie im eigenen Hause. Die Hausordnung ist folgendermaßen regulirt. Um halb sechs Uhr des Morgens wird das Zeichen zum Aufstehen gegeben, und um halb sieben Uhr das aus Kaffee, Weißbrod, Butter und einer Fleischspeise, Beefsteak oder Haché, Fricandellen und dergleichen bestehende Frühstück eingenommen. Um sieben Uhr gehen die Mädchen aus und nehmen ihren Lunch (Butterbrod mit einem feinen Gebäcke, wie Ingwerkuchen, Teignüsse und dergleichen) mit sich. Gewöhnlich kommen sie gegen fünf Uhr Abends nach Hause. Um halb sechs Uhr wird das Diner genommen. Es besteht aus zwei Fleischspeisen, worunter immer Roastbeef, zwei Gemüsen neben Kartoffeln, Butterbrod und Thee. Nach dem Diner begeben sich die meisten der Bewohnerinnen nach den glänzend erleuchteten Parlors, wo jede thut und treibt, wozu sie eben Lust hat. Um neun Uhr wird eine Hymne oder sonst ein religiöses Lied gesungen. Um elf Uhr müssen alle zu Bette sein, und die Gasflammen in den Zimmern werden gelöscht.

Ob dieser Versuch gelingen mag, ob die edlen Absichten der menschenfreundlichen Begründer sich verwirklichen werden? Wer kann es voraussagen? Falsche Scham, unrichtige Auffassung, jene entsetzliche Gleichgültigkeit, die so oft Folge von harten Schicksalsschlägen ist, der Egoismus der Lasterhaften unter dem stärkeren Geschlechte und aller Derjenigen, die aus dem Beköstigen derer, für welche die Anstalt berechnet ist, ein Geschäft machen, werden ohne Zweifel Schwierigkeiten und Hindernisse aller Art heraufbeschwören, allein ich habe das feste Vertrauen, daß dennoch viel Gutes durch der Arbeiterinnen Heim bewirkt, manche halb Verlorene aufgerichtet werden wird.

C. R.




Wie werden Moden gemacht?
Von Eugen Laur in Paris.
Die Arbeiterin-Modellistin. – Zündnadelgewehr als Tuchnadel. – Der Preuße und der deutsche Michel. – Schicksal einer Modedame auf dem Maskenball. – Die öffentlichen Bibliotheken als Modejournale. – Die Musterbureaux. – Die Ausstattungsstücke der Theater. – Die Kaiserin und die Lyoner Seidenfabrikanten. – Die Anilinfarbe. – Couleur Bismarck und Vert Metternich. – Die „sterbende Kröte“ und der „ohnmächtige Floh“. – Die Reclame.


Wer in Paris die großen und die kleinen Boulevards auf- und niederwandelt oder selbst in die Querstraßen derselben einbiegt, gewahrt überall Laden an Laden, Schaufenster an Schaufenster, und darinnen zahllose Waaren der verschiedensten Gattungen und Formen aufgestapelt. Dem aufmerkenden Beobachter entgeht nicht, daß die ausgestellten Gegenstände fast täglich wechseln und immer, freilich manchmal nur geringe, Veränderungen oder Verbesserungen zeigen. Wo bedeutendere Fabriken ihre Producte durch Detailverkäufer dem Publicum vor Augen führen, ist das Räthsel nach dem Ursprung der stetigen Abwechselung leicht gelöst. Jede Fabrik besitzt ihre Musterzeichner, die Jahr aus Jahr ein keine andere Beschäftigung haben, als neue Combinationen zusammenzustellen; ein Muster, das dem allgemeinen Geschmack entspricht und „Mode“ wird, vermag einen Fabrikanten zum reichen Manne zu machen. Denn natürlich, wie eine Melodie in den verschiedenen Tonarten sich wiederholen läßt, kann eine Zeichnung in den verschiedensten Farben und Größen gegeben werden, so daß das Probensortiment eines Musters oft mehr als einhundert Nummern umfaßt. Aber das Pulver ist nicht von den Soldaten, das Teleskop nicht von den Astronomen erfunden worden; so geschieht es, daß die glücklichsten Muster oder Modelle nicht immer von denen erdacht werden, die aus der Erfindung ihre Specialität gemacht haben. Ueberdies sind viele Händler nicht im Stande, eigene Musterzeichner zu unterhalten oder deren eine genügende Anzahl zu beschäftigen. Man ist deshalb auf eine „Theilung der Arbeit“ verfallen. In einem sogenannten Confectionsgeschäft, Wäschemagazin, in Putzhandlungen u. dgl. meldet sich eine Arbeiterin, um „Beschäftigung im Hause“ zu verlangen. „Wir sind bereit, Ihnen Aufträge zu geben,“ heißt es gewöhnlich, „aber – bringen Sie uns ein Modell, das uns gefällt.“ Gelingt es der Arbeiterin, z. B. ein Modell für einen Damenmantel zu finden, welches den Beifall des Patrons gewinnt, so hat sie Beschäftigung auf längere Zeit, denn nur sie allein ist Eigenthümerin des Modells, sämmtliche Copien dürfen nur bei ihr bestellt werden und es ist selten, daß der Auftrag auf weniger als ein paar Dutzend lautet. Das begreift sich, da der Engroshändler jedem seiner Detaillisten mindestens ein Exemplar oder zwei als Probe zusenden muß, um weitere Bestellungen aufzunehmen.

Doch was ist ein Muster! Jeder Tag sieht in jedem Zweige hundert neue auftauchen, es gilt, den Concurrenten zuvorzukommen, sie zu übertreffen, den Augenblick zu erhaschen und dabei mit einem neuen Modell hervorzutreten nicht eher, als nach Anfertigung einer größeren Collection, die dem Andrange von Aufträgen sofort zu genügen im Stande ist. Hat das Modell einmal Verbreitung und Anerkennung gefunden, flugs macht der Concurrent es nach, indem er kleine Modificationen anbringt, schlechteres und deshalb wohlfeileres Material verwendet, also zu geringerem Preise liefern kann. Nicht nur doppelt giebt, wer schnell giebt, sondern zehnmal mehr verkauft, wer schnell liefert. Nach der Schlacht von Sadowa wurden Tuchnadeln in Form von Zündnadelgewehren auf den Markt gebracht und gingen zu Hunderttausenden ab. Vier Wochen später, als man in Frankreich aufgehört hatte zu bewundern und anfing zu beneiden, wollte kein Mensch mehr eine solche Nadel tragen. Vor Beginn des Krieges hielt man an allen Straßenecken für ein paar Sous einen „deutschen Michel“ feil, der einen Preußen an den Ohren gefaßt hatte und mit Hülfe eines Gummifadens Sprünge machen ließ. Vier Wochen später tanzte der deutsche Michel und der Preuße hielt ihm die Ohren. Bei solchen Spielereien, an denen viel Geld verdient wird, wie wenig sie auch kosten mögen, zeigt sich am schnellsten die dem Verkauf nachtheilige Wirkung des Anachronismus und die tiefe Wahrheit des englischen Sprüchworts: Zeit ist Geld.

Indessen fragt sich, woher die Arbeiterin – es mag bei dem Beispiele einer „Confection“ bewenden – das neue Muster nimmt, das natürlich zuerst von weißem Mousselin (mousseline raide) gefertigt wird und dessen Aufputz und Nähte nur durch Stiche von dunkler Farbe angedeutet sind. Viele Quellen bieten sich dar, aus denen eine intelligente Näherin zu schöpfen vermag. Zunächst der eigene Kopf, aber das ist alsdann keine Besonderheit dieser Art von Arbeiterinnen, sondern allen Erfindern gemeinsam. Ferner die Kundschaft von Frauen, welche vorziehen, den selbst ausgedachten Gedanken durch eine wenig bekannte Schneiderin ausführen zu lassen, statt einem Meister sich anzuvertrauen, der nicht verabsäumen würde, das Geschmackvolle als seine Idee noch anderen Damen zu empfehlen und dadurch der Erfinderin ihr Hauptvergnügen – alleinigen Besitz – zu rauben. So hatte eine durch die hohe diplomatische Stellung ihres Gemahls wie die eigenen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_794.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)
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