verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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Excentricitäten ausgezeichnete Dame für den im Januar d. J. beim Marineminister gegebenen Maskenball ein Costüm zusammengestellt, von dessen Wirkung auf Männer und Frauen sie sich Außerordentliches versprach. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß dem Schneider die tiefste Verschwiegenheit zur Pflicht gemacht worden. Die Leistung des Costumiers entsprach vollkommen den Wünschen der Auftraggeberin. Ein siegesgewisses Lächeln umspielte den stets schlagfertigen Mund, als die Dame von ihren Kammerfrauen sich ankleiden ließ; sie zögerte und zögerte jedoch mit der Abfahrt zum Balle, um erst zu erscheinen, wenn der Saal bereits gefüllt wäre, und möglichst allein einzutreten, damit die bewundernden Blicke ihr ungetheilt zufielen. Wie erstaunte sie, beim Eintreten nur mit einem heiteren Lächeln begrüßt zu werden! Anfangs schrieb sie die Zweifelhaftigkeit dieser Huldigung dem Gefühle des Neides ihrer Rivalinnen zu, bald aber sah sie – vier dem ihrigen vollkommen gleiche Costüme und zwar von jungen Männern getragen. Die Sache verhielt sich einfach so: eine Nebenbuhlerin um die Krone der ersten Modedame hatte einen Gesellen des Schneiders zu bestechen gewußt, mit Hülfe des Verrathes vier jungen Männern die Copien anfertigen lassen und, der Himmel weiß durch welche Versprechungen, die Mitglieder des starken Geschlechts zu jener Vermummung bewogen.
Sodann benutzen Arbeiterinnen die Schätze der öffentlichen Bibliotheken. Es ist durchaus nichts Seltenes in dem weiten Saale der Richelieustraße, neben alten pedantischen Gelehrten, die in einem schweren Folianten vergraben sind, junge Mädchenköpfe zu sehen, welche in alten Modejournalen oder Costümsammlungen blättern und mit flinker Hand hier einen Ausputz, dort die Form eines Gewandes abzeichnen und, was sie Schwarz auf Weiß besitzen, getrost nach Hause tragen, um es in vergrößertem Maßstabe den Patronen vorzulegen. Diese geben dann wohl Rath zu kleinen Veränderungen und Combinationen, wobei wieder ein Unterschied in der Beurtheilung sich geltend macht; die einen suchen möglichst wenig, die andern möglichst viel Stoff für das Kleidungsstück zu verwenden, denn Manches findet nur Anklang, weil es kostspielig ist, Manches wird nur angenommen, weil es wohlfeil sich herstellen läßt.
In Ermangelung selbst eines geringen Grades von Vorkenntnissen – die Mehrzahl der Arbeiterinnen verstehen weder zu schreiben noch zu lesen, geschweige denn zu zeichnen – nehmen die Arbeitsuchenden ihre Zuflucht zu den Musterbureaux d. h. Anstalten, welche einzig und allein mit der Anfertigung von Modellen in weißer Steifleinwand sich beschäftigen, zu verhältnißmäßig geringem Preise – fünf bis zehn Franken – das Stück verkaufen und streng darauf achten, niemals zwei durchaus gleiche Muster zu liefern. Die Frage liegt nahe, warum die Fabrikanten sich nicht direct an diese Bureaux wenden, statt auf die Auswahl der Arbeiterin sich zu beschränken und zu verlassen. Der Grund ist einfach – Kostenersparniß. Ein einigermaßen ausgedehntes Geschäft bringt jährlich mehre tausend „Nummern“. Die hierfür zu zahlende Summe wäre beträchtlich und wird geradezu erspart, denn der Fabrikant müßte doch eine Arbeiterin suchen, welche die Ausführung übernähme, und einmal gefunden, hätte sie bei der Anfertigung nicht dasselbe Interesse wie für das ihr zugehörige Modell. Natürlich ist nicht gesagt, daß die Fabrikanten niemals den von ihren Arbeiterinnen gewöhnlich eingeschlagenen Weg betreten, nur ist es meistentheils nicht der Fall.
Große Hülfe gewähren ferner die sogenannten Ausstattungsstücke in den Theatern, z. B. Variétés, Gymnase, Porte St. Martin, Gaîté, Châtelet und sogar Comédie française. Ueber das Glück vieler Piècen entscheidet einzig das weibliche Publicum und bei Kritikern dieser Gattung thun die Costüme außerordentlich viel. Was wäre z. B. die „Familie Benoiton“ gewesen ohne die excentrischen Costüme? Oder hätte das Gymnase den „Don Quixote“ des Moniteur-Geranten Paul Dalloz angenommen, wäre nicht bei der Aufführung ein gewisser Luxus zu entfalten gewesen? Schauspieldirectoren in Paris müssen ihr Metier und die schwachen Seiten der Menge gründlich verstehen, um bei den ungeheuern Kosten noch reichen Ueberschuß erzielen zu können. Deshalb wird von ihnen „für die würdige Ausstattung nichts gescheut“. Sie wenden sich an die talentvollsten Maler und lassen von diesen die Muster der Costüme zeichnen, die Zusammenstellung der Farben und – des Faltenwurfs wegen – die zu verwendenden Stoffe bestimmen. Ein Gustav Roux, Gustav Doré, Beaucé, Godefroy Durand weigern sich keinen Augenblick, ihren Crayon irgend welchem Theater zur Verfügung zu stellen, und die ersten Schneider beeifern sich, die Costüme für ein paar Hauptpersonen unentgeltlich herzustellen. Denn mit vollkommener Sicherheit ist darauf zu rechnen, daß, wenn das Stück Beifall findet, die in demselben vorkommenden Toiletten Mode werden und dem Schneider Kundschaft eintragen, die ihn für den Verlust zehnfach schadlos hält. Aufmerksame Arbeiterinnen versäumen daher nicht, die zu Ruf gelangten Piècen – ganz abgesehen von der allen Französinnen innewohnenden leidenschaftlichen Neigung für das Theater – sobald wie möglich zu sehen.
Daß nicht selten durchaus äußerliche Veranlassungen Annahme irgend einer Kleidungsform bewirken, darf als bekannt vorausgesetzt werden, denn die Geschichte der Crinoline, der Allongenperrücke etc. ist in Aller Gedächtniß. Die Mode beschränkt sich aber nicht allein auf den Schnitt des Kleidungsstückes, sondern sie beherrscht in gleichem Grade den Stoff und die Farbe. „Sonst war unschwer,“ schreibt ein gründlicher Beurtheiler der Universalausstellung von 1867, „die Bekleidungsgegenstände einzutheilen je nach dem Stoffe, aus dem sie hergestellt waren: Wolle, Leinen, Seide, Baumwolle. Schon seit geraumer Zeit sind die verschiedenen Mischungen (Verzeihung dem ungenauen Ausdrucke!) von Wolle und Seide, Seide und Baumwolle, Seide und Leinen etc. als gleichberechtigt aufgetreten. Die letzten Jahrzehnte sahen noch andere Fasern reichlich verwenden: die Ziegenhaare, den Manillahanf u. dgl. m., die wieder neue Verbindungen mit den älteren eingehen und so ihre Multiplication weit über die pythagoräische Tafel hinaus steigern.“ Hier tritt nun als wesentliches Moment für die Möglichkeit, einen Stoff in die Mode zu bringen, der Kostenpunkt mit ein. Spitzenkleider, wie das Marsfeld dergleichen gesehen, deren jedes zweihundert Arbeiterinnen drei Jahre lang in Anspruch nimmt, werden nie dem Mohair oder Alpacca an Absatz gleichkommen, die Foulards und Marcellines haben von den Lyoner façonnirten Lizerés Concurrenz nicht zu befürchten, denn die Mode ist durchaus demokratischer Natur, sie basirt sich auf Betheiligung der großen Masse und hierdurch wird erklärt, daß bei ihr mit Gewalt und Zwang sich nichts ausrichten läßt. Als vor Jahresfrist die schlimme Lage der arbeitenden Classen in der zweiten Hauptstadt Frankreichs zu bedrohlicher Höhe gelangt war, verkündete der Staatschef, man werde von oben herab dem Handel und Verkehr neue Impulse geben. Kaiserin Eugenie bestellte mit einem Male vierundzwanzig façonnirte Seidenkleider in Lyon und sprach ihren Hofdamen den Wunsch aus, sie künftig nicht zu selten in denselben Stoff gekleidet zu sehen. Die Frauen einiger Gesandten und den Tuilerien nahe stehenden Beamten folgten schleunigst diesem Beispiel, aber es war wie ein Tropfen Wasser auf glühendem Stein im Augenblick verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Aehnliches war schon 1852 geschehen. Das Kaiserreich begünstigte das Börsenspiel, reizte zu großartigen, aber ungesunden Handelsunternehmungen, schuf Eisenbahnen, die durch kein Bedürfniß gefordert waren, und spitzte den Stachel, der ohnedies in jedem Franzosen steckt, nämlich die Sucht schnell reich zu werden und den Reichthum durch äußeren Glanz zu zeigen. Der Luxus stieg mit jedem Tage. Bei der Wahl der Toilette, namentlich in gewissen Kreisen, wurde nicht mehr auf Geschmack, sondern auf Kostbarkeit gesehen, und die Ausstellung von 1855 erwies bereits, daß die Fabrikanten diesem unsinnigen Streben zu Hülfe kamen; sie überboten einander in Reichhaltigkeit und Größe der Dessins und in der Höhe der Preise. Aber das Gesetz der Pendelbewegung ist ein ewiges, der Rückschlag konnte nicht ausbleiben.
Der Schwindel war entlarvt, die plötzlich erworbenen Vermögen schmolzen ebenso rasch zusammen, die sogenannte grand monde wollte von der demi-mondedurch Einfachheit sich unterscheiden und überließ die auffallenden Costüme denjenigen, welche davon leben, die Augen der Menge zu reizen. Vergebens alle Anstrengungen der Fabrikanten Lyons, die öffentliche Gunst zu bewahren! England, Preußen, die Schweiz machten sich selbständig in der Seidenindustrie, lieferten wohlfeile, einfache Waaren; Nordamerikas excentrische Neigungen waren durch den Bürgerkrieg abgekühlt: so stehen die Webstühle an der Rhone still, bis ihre Inhaber sich werden entschlossen haben, dem Geschmack der Menge Gehorsam zu zeigen. Unterwirft die Mode sich nicht dem Befehl von oben, so ist ihr Verspottung und Verhöhnung gewiß gleichgültig. Beweis die aus England herübergekommene Art, die langen
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_795.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)