verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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sehr es ihn freue, nun nicht mehr allein in der Welt dazustehen, eine solche Tochter zu haben und einen solchen Schwiegersohn dazu.
Sixt saß in stiller Freudigkeit neben Franzi, welche ihre Rührung fast nicht zu bemeistern vermochte und mit schimmernden Augen um sich sah. Ihr sonst starkes Gemüth war erweicht; ihr Herz glich einem Becher, bis über den Rand mit dem edelsten Weine gefüllt, daß die leiseste Erschütterung, daß ein noch hinein gleitender Tropfen ihn überfließen macht. Bei einer der ausgebrachten vielen Gesundheiten flüsterte er ihr zu, während ihre Gläser harmonisch erklingend sich einander entgegenneigten: „Wir wollen auch derer gedenken, die nicht unter uns sein können und die doch beigetragen haben zu unserem Glück, ohne daß sie’s gewollt haben und gegen ihren Willen!“ Er dachte an Susi, die nach dem Tode ihres Kindes inzwischen wirklich das Ordenskleid genommen, und an Waldhauser’s einsam unheimliches Grab.
Der Lehrer aber erhob sein Kelchglas und rief mit lauter, freudebebender Stimme: „Für den Gärtner ist es die größte Lust, wenn er gedeihen sieht, was er gepflanzt oder gezogen; wenn er den Schaden abgewendet sieht, der seine lieben Schützlinge bedrohte! Da stehen ein paar tüchtige Stämme, schön gewachsen von außen und gesund von innen bis in’s Mark hinein… Auf daß sie so bleiben, wachsen und grünen mögen; auf daß ihnen die Blüthen und Früchte werden, die sie verheißen; auf daß der Ewige ihnen zu Heil und Gedeihen Regen und Sonnenschein sende zur rechten Zeit und im rechten Maß; daß er ihre Wurzeln befestige und ihre Rinde stähle im Sturm und daß sie prangend dastehen, sie und ihre Nachkommen bis in die späteste Zeit, dem himmlischen Gärtner zu Ehr’ und dem irdischen Garten zur Zier … auf das Alles, liebe Nachbarn und Freunde, stoßet mit mir an und rufet: ‚Die beiden Bäume, sie leben hoch!‘“
Jubelnd stimmte die ganze Hochzeitsgesellschaft ein, die Gläser klirrten an einander, als hätten sie auch ihre Lust dabei, in die Freude einzustimmen, und die Musikanten strichen und bliesen, als sollten die Instrumente in Stücke gehen. Es war schon spät, als das nun für’s Leben vereinte Paar, von einigen vertrauten Freunden geleitet, durch die laue Mainacht der neuen gemeinsamen Heimath entgegen fuhr. Als sie an den Aichhof kamen, standen die Ehhalten zu beiden Seiten aufgestellt, mit Sensen in der Hand, die sie strichen, daß es klang wie ein feierliches Läuten; von den Eichen herunter aber krachten die Böller Schlag auf Schlag, und das vom Schlaf aufgestörte Gebirge rollte den Widerhall majestätisch dahin.
Vor dem Hause stand ein schöner Leiterwagen, weiß im Holz, wie er aus der Hand des Wagners kam, mit Beschlägen, so blank, daß sie wie Silber schimmerten in der halblichten Nacht. Er war mit allerlei tüchtigem und zierlichem Hausrath beladen, mit einem stattlichen bunt bemalten Kleiderkasten, einem schönen vollständigen Bette und ein paar Truhen voll der feinsten weißesten Leinwandstücke. Auch ein Spinnrad mit roth bebändertem Rocken und die zierlich aufgeputzte Wiege fehlten nicht; hinten aber war eine Kuh angebunden, mit an den Spitzen vergoldeten Hörnern und einem mächtigen Kranz um den Hals, ein so schönes Thier, daß die Mägde einstimmig behaupteten, ein schöneres sei nicht zu finden und wenn man den ganzen Gau abgehen wollte.
Es war ein Kammerwagen, wie die Braut ihn als Ausstattung mitzubringen pflegt, – unbekannte Bursche hatten ihn bei einbrechender Dunkelheit herbeigefahren, hatten schnell die Pferde ausgespannt und waren davon geritten, ehe Jemand sie anzuhalten und zu befragen vermocht.
Ein mächtiger Zettel, vorn am Wagen angebracht, ließ die unbekannten Sender und Spender errathen. Es hieß darauf:
„Der beste Schütz diemal’ (manchmal)
Hat’ d’ Scheiben scho’ g’feit (gefehlt),
Und das Haberfeld-Treiben,
Dös is dennerst (dennoch) mei’ Freud’!“
Rasch flogen die Tage auf dem Aichhofe dahin, denn dort waren Arbeit und stete Thätigkeit zu Hause, Liebe und Zufriedenheit streuten ihre Samen in den von diesen gelockerten Boden; es war nur natürlich, wenn daraus der Segen entkeimte und volle häusliche Glückseligkeit. Jeder Tag, obgleich dem andern ähnlich, war ein neues Fest, und wenn die Nachbarn von den umliegenden Höfen und Weilern der Sitte gemäß einsprachen und in den „Heimgarten“ kamen, da war nur eine Stimme, daß es sich nirgends so traulich und behaglich sitze als unter den Eichen vor der alten Capelle oder am Lindenhag, wenn die schöne Bäuerin eine Schüssel Milch und Brod zum Imbiß aufsetzte und wenn der Sixt als Gemeindevorsteher mit den Andern die Angelegenheiten der Dorfschaften besprach und berieth, oder aus den Zeitungen, die er sich hielt, von all’ den Begebenheiten erzählte, welche draußen die Welt in Sturm und Brand setzten, von den neuen Erfindungen, die hier und dort gemacht wurden, und von dem neuen Geiste der Freiheit, der überall zu wehen beginne und, ohne den Andern zu berauben, einem Jeden, hoch oder niedrig, gering oder vornehm, das verschaffe, was ihm gehöre von Gottes und Rechts wegen.
So kam der Sommer heran und hatte rasch die Höhe erstiegen, von welcher die Sonne sich den herbstlichen Kreisen zuneigt, und am Abend Sanct Johannis loderte das Sonnwendfeuer vor dem Aichhofe hell empor, und die jungen Leute machten sich lustig daran, nach altem Brauch unter Jubeln und Lachen durch die Flamme zu springen.
Sixt stand mit Franzi zuschauend daneben, als er sich von rückwärts am Arme gefaßt fühlte. Verwundert blickte er um und gewahrte im Lindenschatten einige Männer, welche sorgsam bemüht waren, ihre Gesichter vor dem Lichtschein zu bergen.
Es waren die Alten von den Haberern.
„Der Haber fangt an, gelb zu werden,“ sagte der Eine flüsternd, „es wird Zeit, daß man an’s Treiben denkt. Wie ist’s damit, Habermeister?“
Mit ängstlicher Bewegung hielt Franzi des Mannes Hand gefaßt; er machte sich sanft los und schritt, ohne ein Wort zu erwidern, dem Hause zu. Als er wieder kam, hatte er den Meisterstab Kaiser Karl’s mit den aufgehobenen Schwurfingern in der Hand. „Nehmt,“ sagte er zu den Alten, „ich habe einsehen gelernt, daß die Zeit für dies Regiment vorüber ist, – in unserem Land herrschen Gesetz und Recht, es braucht Niemand mehr sich selber Recht zu verschaffen, wie’s wohl ehedem nöthig gewesen ist. Thut was Ihr wollt, Ihr Mannen, ich aber will in mein eignes Herz greifen und über Niemand mehr den Stab brechen oder den Haber streuen, – ich will das Gericht unserem Herrgott überlassen … Da, nehmt Euern Stab zurück!“
„Wie!“ rief einer der Alten. „Du wolltest unser altes Recht aufgeben? den alten Brauch abschaffen, der so viel Gut’s geschaffen hat? Wir finden keinen Meister wie Dich … nimm, Aichbauer, und behalt’ den Stab …“
„Nein,“ entgegnete Sixt, „der Brauch hat viel Gut’s geschaffen – aber es ist aus damit … Besser, es kommen zehn Schuldige durch, als daß einem einzigen Unschuldigen ein Leides geschieht – ich will nicht!“
Er reichte den Stab entschieden zurück; der Alte widerstrebte, ihn zu nehmen. Darüber waren sie vorschreitend dem Feuer näher gekommen; über dem Weigern entglitt der Stab ihren Händen und fiel, auf der Bodensenkung fortrollend, mitten in die Sonnwendgluth … Wohl sprang Einer sogleich hinzu und suchte ihn zu erfassen: es war zu spät – das alterdürre Holz hatte sofort Feuer gefangen, – in wenigen Augenblicken lag der Stab verglimmend in den Kohlen.
„Das kann uns ein Zeichen sein“ sagte Sixt ernst, „es ist vorbei mit der alten Zeit und ihren Bräuchen; der Gerichtsstab des Kaisers is untergegangen, mit ihm der letzte Habermeister!“
Aus einem Fürstenschlosse. Als einer der vorm Jahre Depossedirten in diesem Sommer zum ersten Male anstatt auf W.… auf dem Schlosse zu H.… residirte, traf es sich, daß einer seiner Lakaien am Nervenfieber schwer erkrankt war. Der hohe Herr war seinerseits ernstlich besorgt und erkundigte sich fast täglich bei seinem Haushofmeister nach dem Befinden des Dieners; der Lakai überstand endlich auch die Krisis der Krankheit, konnte sich aber nur schwer wieder erholen und kränkelte lange Zeit, ohne seinen Dienst thun zu können. Als der Fürst nun eines Morgens beim Lever wiederum nach dem Zustande des Patienten frug, erwiderte der Haushofmeister mit einem tiefen Bücklinge Serenissimo:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_799.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)