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Seite:Die Gartenlaube (1867) 809.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nun in Accorden, gleichsam nur tragend, begleitete. – Durch diese ungewohnte geistige Aeußerung wurde ich jedoch so exaltirt, daß ich mich plötzlich außerhalb aller Ruhe befand und, um diesen mir selbst fremden Zustand zu enden, in der Mitte abbrach und vom Stuhle aufsprang, auf welchem ich bisher, äußerlich unbeweglich, neben ihr gesessen hatte. Die beiden Frauen schwiegen lange, wie ich, theils erstaunt, theils ergriffen; endlich bemerkte die geistig gleichfalls hochstehende Freundin: ob ich wohl wisse, daß ich namentlich die letzte Hälfte in durchaus regelmäßigen Stanzen gesprochen habe? Das war mir völlig neu, denn während des Improvisirens ruht überhaupt mein sonst so starkes Gedächtniß, hinsichtlich des eben Geschaffenen, gänzlich, und ich erinnere mich nur des Inhalts und der Wendung des Hauptgedankens, nie aber, oder höchstens in ganz seltenen Fällen, wo ich von dem plötzlich Entstandenen selbst überrascht werde, der Form und der Worte. Es gab mir also um desto mehr zu denken, wie überhaupt die ganze Erscheinung mich seltsam bedrängte und mir viele Fragen erzeugte, deren Lösung mich nicht ruhen ließ. Ich eilte in das Freie, um mit mir selbst etwas in’s Klare zu kommen, nachdem ich beiden Freundinnen gelobt hatte, die Sache sehr ernst zu behandeln und das Talent, als ein mir vom Himmel zugefallenes Geschenk, mit dankbarer Liebe zu pflegen.“

So würdig eines neuen Triumphes des deutschen Geistes begrüßten diese edlen Menschen die neue Erscheinung. Für Wolff selbst wurde sie zur Quelle peinigender Unruhe, die ihn zu strenger Selbsterforschung trieb und zu rastlosen Studien über Alles, was er über Improvisation und Improvisatoren auftreiben konnte. Dabei erweiterte sich der Kreis der Eingeweihten mit den fortgesetzten Versuchen; namentlich wurden die Tonkünstler Clasing und Albert Methfessel, der damals in Hamburg lebte, beigezogen; beide begleiteten fortan, abwechselnd mit der genannten Dame, die Improvisationen auf dem Pianoforte. Clasing ist längst todt, aber Methfessel, der Dreiundachtzigjährige, flammt noch heute in Begeisterung auf, so oft Wolff und jene Hamburger Tage vor seinem geistigen Auge aufsteigen. „Ich glühe, wenn ich daran denke, wie selig am Pianoforte ich in Hamburg neben ihm saß und wie wir Gedanken, Rhythmen, Strophen, ganze Lieder in ganz consequenter Formbildung einander, er mir von den Tasten und Klängen, ich ihm von den Lippen, ablauschten. Ein einziges Zeichen oder zwei Worte, und ganze Scenen traten in oft wunderbarem Zusammenhange vor dem Zuhörer auf. Noch jetzt denke ich mit Entzücken der ihm gestellten Aufgabe: ‚Ein Morgen vor dem Ausbruch des Vesuv‘. Hier bildete er eine Barcarole von sechs bis sieben Strophen mit immer wechselnden Rhythmen, die er streng durchführte. Es war zu merkwürdig, zu wunderbar! Seine Geistesbildung, seine Phantasie, seine Sicherheit, Alles wirkte zusammen. Seine musikalische Auffassungskraft war ganz geeignet, meine Andeutungen sogleich zu verstehen. Ja, wir haben in der That köstliche Feierstunden mit einander verlebt!“ So schreibt mir Methfessel, die ehrwürdige Thüringer Nachtigall in Braunschweig. Manches herrliche Lied Beider entstand damals im Moment, das sich später über ganz Deutschland verbreitete. Wer kennt nicht das in Wort und Ton so herzensfrische „Wo möcht’ ich sein?“

Trotz dieser großartigen Erfolge trieb doch nur fremdes Unglück Wolff in die Oeffentlichkeit. Fürchterliche Sturmfluthen hatten im Winter von 1824 auf 1825 an den Küsten der Niederelbe und Schleswig-Holsteins oft Hab’ und Gut von Tausenden in einer Nacht verschlungen und das Elend war groß. Da eilte Alles in jenem niedersächsischen Volke mit seinen Gaben herbei, Jedes nach seinem Vermögen, und Wolff weigerte sich auf den Wink der Freunde keinen Augenblick, zum Besten der Verunglückten mit Clasing und Methfessel die erste öffentliche improvisatorische Soirée zu geben.

Das war jener Abend des fünften März 1825, und unsere Leser werden nun die Besorgniß jener edlen Mutter in Hamburg an jenem Tage gerechtfertigt finden. Wolff, der liebevolle, bis zum letzten Hauche für die Mutter begeisterte Sohn, eilte gleich nach der Soirée zu ihr, um ihr den glücklichen Ausgang zu verkünden. Sie hatte ihn bereits (durch den Diener) erfahren, ging ihm mit jubelndem, von der Angst befreitem Herzen entgegen – und entdeckte ihm ihre Fürsorge, zeigte ihm den gepackten Reisekoffer. – „Wie tief dies mich rührte – wie könnte ich das beschreiben, wie es nur beschreiben wollen!“ ruft Wolff in jener Autobiographie aus, die Niemand ungelesen lassen sollte, dem das Bild eines reinen Geistes ein Seelenlabsal ist.

Selbst der rauschende Beifall, welchen Wolffs höchst gelungene Improvisationen über die beiden Aufgaben „Dante im Exil“ und „Byron’s Tod“ in dieser Soirée fanden, konnte ihn nicht über den wahren Werth seines Talentes beruhigen, und er beschloß deshalb, in Berlin sich die Entscheidung darüber zu holen. Er trat dort zuerst in der sogenannten Mittwochsgesellschaft, dann noch in zwei öffentlichen Soiréen auf, deren letzter die ganze königliche Familie beiwohnte. Diese und Männer wie Chamisso, Hitzig, Karl Seidel, Friedrich Förster, Wilhelm Müller ehrten das neue Talent mit warmer Anerkennung; „die größte Freude,“ erzählt Wolff, „machte mir Devrient, der, als ich bei der liebenswürdigen Caroline Bauer, und von ihr musikalisch begleitet, ein von ihm gegebenes Thema zu lösen versuchte, plötzlich aufsprang und mir, da ich kaum die Hälfte erreicht, in die Rede fiel, mit den Worten: ‚Hören Sie auf, um Gotteswillen, ich halte es nicht länger aus; es macht mich wahnsinnig, daß Jemand im Stande ist, so rasch zu denken, während ich kaum vermag, seinen Worten zu folgen, und so unfähig zu allem Produciren bin ohne langes Besinnen!‘“

Diese Anerkennungen bestärkten ihn in der Ueberzeugung, daß es seine Pflicht sei, sein Talent nach Kräften auszubilden und in die Oeffentlichkeit zu tragen. Immer rasch in der Ausführung seiner Entschlüsse, löste er sein Verhältniß als Lehrer auf, zog sich in die Einsamkeit des Landlebens zurück und arbeitete und übte sich rastlos bis zum Herbst, wo er, gegen Ende Octobers, seine erste Improvisatorfahrt antrat. Diese führte ihn über Bremen, Hannover und Celle nach Braunschweig und Wolfenbüttel. Ueberall erntete er rauschenden Beifall, seine Reise glich einem Triumphzuge, aber trotz alledem konnte er zu keiner Selbstzufriedenheit mit seinen Leistungen kommen; es fehlte ihm etwas, das er nicht zu ergründen vermochte, und eben deshalb stand sein Sehnen fortwährend nach dem Altmeister deutscher Dichtkunst, von dem allein er das rechte Urtheil erwarten konnte, nach Goethe.

Diesem Drange folgend, eilte er von Braunschweig unaufhaltsam in der strengen Winterkälte nach Weimar.

„Andächtig, wie ein Grieche, der in ein Pantheon trat, bin ich hier eingefahren,“ erzählt Wolff. Kaum aus dem Wagen gestiegen, bat er in einigen Zeilen Goethe um die Erlaubniß eines Besuchs. Er wurde auf den folgenden Mittag bestellt – und so jung war er noch, trotz seiner sechsundzwanzig Jahre, daß er zur bestimmten Stunde vor Herzpochen kaum die Treppe zu Goethe’s Zimmer ersteigen konnte und vor der Thür sich erst sammeln mußte. Goethe empfing ihn „mit förmlicher Freundlichkeit“, erwiderte aber auf Wolff’s Bitte, ihm eine Probe geben zu dürfen, um endlich das von ihm so sehr ersehnte Urtheil zu hören: „Es würde mich zu sehr zerstreuen.“ Tief betrübt über eine so ganz verfehlte Hoffnung, stieg Wolff die Treppe wieder herunter, fand aber bald Trost bei der Hofräthin Schopenhauer, die, mit Goethe’s Wesen besser vertraut, meinte: „Haben Sie nur Geduld, er wird Sie schon von selbst auffordern.“ So geschah es. Nachdem Wolff mehrmals in engerem Kreise, vor der großherzoglichen Familie und öffentlich aufgetreten war und namentlich durch die dramatische Behandlung des Sujets „der Sturz des Montezuma“ ungewöhnliche Sensation hervorgerufen hatte, lud ihn Goethe’s Schwiegertochter ein, bei ihr am folgenden Tage zu speisen, aber vorher sie präcise um zwölf Uhr zu besuchen. Wolff stellte sich pünktlich ein, irrte sich jedoch in der Localität und trat, als auf sein Anklopfen „Herein“ gerufen worden, in ein Zimmer, in welchem er zu seiner großen Verlegenheit Goethe allein antraf. Und nun wollen wir diesen wichtigen Vorgang Wolff selbst erzählen lassen:

„Als ich mich entschuldigte, nicht zu ihm gewollt zu haben, sagte er sehr mild: ‚Nun, Sie können aber doch etwas bei mir altem Manne bleiben und später zu den jungen Damen hinausgehen.‘ Dann sprach er sogleich über mein Talent und fragte mich: ‚Wollten Sie mir nicht auch etwas sprechen?‘ Ich bezeigte meine Bereitwilligkeit, bemerkte jedoch, daß ich vor ihm allein ängstlich sein würde. Er ging nicht darauf ein, sondern entgegnete: ‚Setzen Sie sich dort an den Flügel; nehmen Sie aber die Brille ab, sie sticht mich.‘ Ich that nach seinem Wunsche, und nun sagte er: ‚Schildern Sie mir einmal Ihre Rückkehr nach Hamburg und zugleich Hamburg selbst.‘ Die Aufgabe kam mir allerdings seltsam

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_809.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)
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