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Seite:Die Gartenlaube (1867) 811.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

damals noch der Unsitte des Dictirens, als lebten sie noch vor den Zeiten der Buchdruckerkunst; die meisten übrigen lasen – wie ihre Thätigkeit amtlich auch genannt wird – aus ausgearbeiteten Heften vor; nur wenige begleiteten ihr Compendium mit frei vorgetragenen Erklärungen. Der philosophische Geist, der früher die akademische Jugend Jenas erhoben, war verschwunden, der politische gewaltsam niedergedrückt, das Brodstudium nahm Alles fast ausschließlich in Anspruch. Da kam Wolff – und öffnete uns in der Fülle der Facultätswissenschaften verschmachtenden jungen Leuten die frische belebende Quelle der schönen Literatur. Ich war von 1834 an Wolff’s Schüler und muß jedes Wort unterschreiben, was einer meiner Commilitonen aus jener Zeit über Wolff sagt: „Wer es, wie wir, gesehen hat, wie damals selbst die weitesten Räume die anströmende Menge seiner Zuhörer nicht fassen konnten und mit welcher Ausdauer und Begeisterung die Vorlesungen über Literatur, die Erklärungen der shakespearischen und goethe’schen Dramen unter dem fast noch ungekannten Zauber der freien blühenden Rede entgegengenommen wurden, der wird es nicht bestreiten, daß eine Reihe von Jahren hindurch von Wolff die kräftigsten Impulse ausgegangen sind, den Kreis der akademischen Studien über das Maß des Nothwendigen und Nothdürftigen hinaus zu erweitern.“ Ihn unterstützte dazu Alles: die Vorzüge der Jugend, einer edlen, schönen Männlichkeit, der wohlthuende Reiz der nordischen Zunge, ein volltönendes Organ, die feinste Bildung und Umgangsform und eine in seinem Fache außerordentliche Gelehrsamkeit. Die slavischen ausgenommen verstand er alle europäischen Sprachen und deren Hauptdialecte, mit besonderer Vorliebe hatte er das Holländische, Vlämische, Schwedische, Spanische und Portugiesische getrieben, im Englischen, Italienischen und Französischen improvisirte er die längsten Dichtungen.

Aber all’ dieses Wissen und Können war für ihn in dem kleinen Jena ein unfruchtbares Gut. Dazu reichte seine geringe Besoldung kaum zur Deckung der Bedürfnisse seiner Bibliothek hin, die sehr bedeutend waren, wenn er auf dem weiten Gebiete seines Berufs, für den die ärmlich dotirte Universitätsbibliothek ihn nicht unterstützen konnte, mit allen neuen Erzeugnissen vertraut sein wollte. Da nun Gesetz und Vorurtheil ihm den Erwerb mit Hülfe seines improvisatorischen Talents untersagten, so mußte er rastlos zur Feder greifen: er war der treueste, fleißigste „Pflüger mit dem Geiste“. Ich weiß, daß er selten weniger als zwölf Stunden täglich am Schreibtisch saß, studirend und producirend mit der großen Selbstbeherrschung und Ausdauer und der Macht über seine Stimmung, die ihn als Improvisator ausgezeichnet hatte.

Diesem Fleiß Wolff’s und seiner vollendeten Formgewandtheit verdanken wir eine Reihe lyrischer, epischer, dramatischer und erzählender Werke, die wohl verdienten, in einer Auswahl und zum Besten seiner Hinterbliebenen dem deutschen Volke von Neuem vorgeführt zu werden. Dazu gehören sein „Abälard und Heloise“, „Einhundert Bilder und Lieder“, „Träume und Schäume des Lebens“, „Dämmerstunden“ und vor Allem sein „Cid“, das vollendetste Werk seiner Dichterkunst und Gelehrsamkeit. Sein Roman „Mirabeau und Sophie“ erlebte in kurzer Zeit zwei Auflagen. Seine „Briefe auf einer Reise nach Paris“ sind noch jetzt geistreiche Muster für jeden Feuilletonisten. Von seinen literarhistorischen und Sammelwerken, für die ihn seine außerordentliche Belesenheit und sein Sammeleifer ganz besonders befähigten, sei hier nur sein berühmter „Poetischer Hausschatz des deutschen Volks“ erwähnt, der unter seiner Hand dreiundzwanzig Auflagen erlebte und dem Verleger sicherlich eine hundertfältige Ernte eintrug. Und wie sinnig und ächt dichterisch ging Wolff dabei zu Wege! Nicht galt es ihm die leichte Arbeit, die Heroen der Literatur in breiten Auszügen vorzuführen, sondern die versteckten, vergessenen und begrabenen Perlen hervorzuholen, auch wenn sie von armen, namenlos gebliebenen Dichtern herrührten. „Wem auch nur ein gutes Lied gelungen ist, der verdient mit ihm im Volke fortzuleben,“ das rief er uns, seinen Schülern und jungen akademischen Freunden zu, die wir alle für ihn und sein Werk mit suchten in den reichen Schätzen seiner Bibliothek. So ist das Buch entstanden, und das daran mitarbeitende Herz fühlte das Volk heraus und machte es zu seinem Liebling. „Ihm verdankt die deutsche Literatur eine außerordentliche Verbreitung auch im Ausland, und nur Wenige wissen seine Verdienste durch diese Thätigkeit würdig zu schätzen“ – ruft die „Weserzeitung“ unserm Wolff nach. Nicht geringeren Werth haben seine Volksliedersammlungen, vor Allem seine „Halle der Völker“, denn als Volksliederübersetzer wird er nur schwer erreicht werden.

Was war nun der Erfolg so großartiger Thätigkeit? Welche Früchte trug so rastloses Schaffen[,] so hohe Begabung, so umfassendes Wissen? – Keine andern, als daß die Wogen aus dem Meere der Sorgen und Bedrängniß immer höher an ihm emporschlugen, und ohne seine oder der Seinen Schuld, denn ein so fleißiger Mann konnte nur ein eingezogenes nüchternes Leben führen, und einer Familie, in welcher der Geist der edelsten Bildung waltete, war die Gefahr nutzloser Vergeudung fremd. Vielleicht in der Hoffnung, daß sein improvisatorisches Talent sich dankbarer verwerthe, als seine Feder, erwarb er sich im Herbste 1843 die Erlaubniß, noch einmal als Improvisator aufzutreten. Sein Weg führte ihn diesmal nach Süddeutschland und bis Wien, und wie bei seinem ersten Adlerflug in Berlin die Königsfamilie, so ertheilte ihm hier, achtzehn Jahre später, das Kaiserhaus den Lorbeer. Aber seinen gedrückten Verhältnissen war damit nicht aufgeholfen; man sah ihn ringen und ließ ihn im Meer der Sorgen untergehen.

Er starb am 16. September 1851. – Und was hat die Gegenwart auf seinen Grabstein geschrieben?

So traurig sein Gang zum Grabe war, – noch viel trauriger ist’s auf seinem Grabe. – Undank und Beschränktheit suchen ihn der Vergessenheit zu überliefern. Was Wolff als Improvisator geleistet, – wer spricht noch davon? – Aber daß er Improvisator gewesen, hat sein literarisches Wirken wie ein Fluch verfolgt. Es schien förmlicher Beschluß der damals regierenden Kritik zu sein, Wolff’s poetische Schöpfungen todt zu schweigen und seine gelehrten Arbeiten mit Achselzucken zu behandeln, – er producirte ja so rasch und viel, der Improvisator, wie konnte da etwas Gutes an den Sachen sein? Wohl nie haben Vorurtheil und Neid in häßlicherem Bunde gegen einen Mann gestanden, als gegen Wolff!

So ist denn der Lorbeer des Improvisators verdorrt und der des Dichters ihm kaum gegönnt worden. Seine Volksliedersammlungen, seine reizenden Uebersetzungen werden von allen späteren Sammlern benutzt, aber man nennt seinen Namen nicht. Die neueste Auflage des „Hausschatzes“ führt zwar noch Wolff’s Namen, aber ihn selbst hat der neue Herausgeber aus der Reihe der Dichter desselben gestrichen, – er ist somit aus seinem eigenen Hause hinausgeworfen. – Und ganz im Geiste dieser Behandlung seines Andenkens ist die Schillerstiftung mit demselben verfahren: der Wiener Vorstand hatte – nachdem er sich erst brieflich in Deutschland erkundigt, wer denn eigentlich dieser etc. Wolff gewesen und was er geschrieben – der Wittwe desselben für drei Jahre je hundert Thaler ausgesetzt. Diesen Ehrensold hat man gewissenhaft nach Ablauf der drei Jahre der siebenzigjährigen halb erblindeten Greisin wieder entzogen, denn man mußte „eine Reihe von bisher Betheiligten streichen, um einer noch größeren Reihe von neuen Petenten Platz zu machen,“ d. h. man mußte einem Lebenden fünfhundert Thaler aufdrängen, und dazu mußten die armen Wittwengroschen geopfert werden! – –

Nimmt man endlich noch hinzu, daß der einst so gefeierte Lehrer und viel umworbene Gelehrte in dem akademischen Jena ein so stilles, schmuckloses Begräbniß fand, wie es keinem noch so obscuren Studenten zu Theil wird, so steht wohl das Bild der trauernden, verlassenen Familie des Mannes, in dessen Mißhandlung solche Harmonie herrscht, in der richtigen Färbung vor unseren Augen. Wolff war einer der edelsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe, und seine Familie war sein einziges Glück. Die innigste Liebe umschloß Alle in dem prächtigen Kreise, welchen stets die schönsten Blüthen der Dichtkunst vieler Nationen erhoben. Ja, welch’ ein Leben ist an uns vorüber gegangen! Wie glänzend das Aufsteigen, wie rosen- und dornenreich der Gang, wie düster das Ende! So wäre wirklich für ihn die Dichtkunst ein Fluch gewesen?

Nein! Sie war im Leben sein Trost und wird im Tode seine Ehre bleiben. Das deutsche Volk hat ein so entschiedenes Rechtsgefühl, daß die Sache eines Unterdrückten nur vor sein Forum gebracht zu werden braucht, um der Gerechtigkeit für ihn sicher zu sein. Das haben wir hiermit gethan. Wir haben erwiesen, daß O. L. B. Wolff uns Deutschen die Ehre errungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_811.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2017)
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