verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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hat, uns des größten Improvisators aller Zeiten und Völker rühmen zu können, daß er als Dichter Schönes geschaffen, als Gelehrter und Schriftsteller die Perlen der Volkspoesie vieler Länder gesammelt und für die Kunde der deutschen Literatur im Ausland höchst verdienstvoll gewirkt hat. Ich bin überzeugt, daß es nur dieser Nachweisung bedurfte, um das bis jetzt einsam, schmucklos und vergessen gewesene Grab im Gottesacker zu Jena fortan zu einer besuchten und geschmückten Stätte zu erheben. Heute ist’s noch so traurig bei dem dreifachen Grabe, unter welchem Wolff neben seiner Mutter und einem Töchterlein schlummert; die Abendschatten von den hohen Denkmälern der alten Fechtmeister von Jena und die Blätter der Thränenweide eines Nachbargrabs fallen auf dasselbe; kein Stein nennt den Namen des Dichters, nur der treue Epheu schlingt seinen Rahmen um das öde Bild. Aber wir werden es erleben, daß die Gartenlaube sich abermals als das Blatt der That bewährt. Ihre Leser, die schon einen stattlichen Theil der deutschen Nation bilden – und zwar rings um die Erde, – werden die Leiden der Verkennung eines reichen und edlen Geistes nachempfinden und es sich zur Herzenssache machen, durch die Erneuerung seines Andenkens ihm sein Recht und seinen Lieben die höchste Wohlthat zu erweisen.
Mir aber erlaube man ein Geständniß. So oft mir die Ehre zu Theil wird, einen Artikel für die Gartenlaube zu schreiben, greife ich mit dem Bewußtsein zur Feder, daß dies für Millionen Leser geschieht. Dieser Gedanke ist, wie kein anderer, geeignet, bei der Wahl des Stoffs wie der Form an Ernst und Gewissenhaftigkeit zu mahnen: die weite, fast unabsehbare Wirkungssphäre des Blattes verpflichtet dazu. Nie aber bin ich ernster und doch freudiger an eine Arbeit gegangen, als an die vorliegende: erfüllte sie mich doch mit dem Gefühl der Genugthuung, im Namen Tausender von dankbaren Schülern des geliebten Lehrers zu sprechen, einem verkannten deutschen Mann die ihm versagte wohlverdiente Würdigung, einem Dichter den ihm vorenthaltenen Lorbeer wahren zu helfen und damit beizutragen, daß die Gartenlaube sich von Neuem bewähre als das, was sie schon so vielen vom Unrecht Unterdrückten und Verfolgten gewesen ist: eine Herberge der Gerechtigkeit.
Um übergroßen Erwartungen von Seiten des freundlichen Lesers von vorn herein vorzubeugen, bemerken wir zunächst, daß der Held unserer kleinen Erzählung nicht etwa eine Art Raubschütz, Schinderhannes oder Chef einer Schmugglerbande ist, sondern ein braver Edelhirsch, der seiner Zeit dem gräflich von X.’schen Damwildparke zu besonderer Zierde gereichte. Er hieß einfach „Peter“, und da er sehr dunkel gefärbt war, erhielt er das Prädicat: „der Schwarze“. Der schwarze Peter war in jüngern Jahren eigentlich ein grundgemüthlicher Kauz, der sich in seinen zahlreichen Mußestunden vorzugsweise mit Wiederkäuen beschäftigte, allein mit den Jahren ward er allmählich unzuverlässiger, ängstigte die Besucher des Parkes durch seine Zudringlichkeit und respectirte zuletzt nur noch den alten Parkwärter. Sobald dieser sein lautes: „Wull’ Du ’mal ’rrruht!“ erschallen ließ, war’s mit Peter’s Courage plötzlich vorbei, denn jener Zuruf pflegte der unmittelbare Vorläufer einiger wohlberechneten Peitschenhiebe zu sein.
Zu den besonderen Eigenheiten Peter’s gehörte seine Abneigung gegen alle Neuerungen – es war eine durchaus conservative Natur. Jede Veränderung oder Ausbesserung an den zahlreichen Brücken, Stegen und Verlattungen im Park erregte seinen Unwillen und gar häufig hatte er in der Nacht das neue Bretterwerk wieder heruntergearbeitet, welches Zimmermann und Schreiner mühsam bei Tage hergestellt. Einst hatte der kunstsinnige Besitzer des Parkes eine Anzahl sogenannter „Naturbänke“ aus ungeschälten, weißen Birkenstämmchen, mit Eichenrinde verziert, nach eigner Zeichnung anfertigen und an den malerischsten Punkten im Parke aufstellen lassen. Am nächsten Morgen fand man sämmtliche Bänke in ihre Urbestandtheile zerlegt, auf dem Rasen zerstreut, oder im Wasser umhertreibend, ja einzelne Knittel waren hoch in’s Gezweige der Bäume geschleudert und dort hängen geblieben! Als ich am Morgen nach diesem Vorfalle früh in den Park trat, hörte und sah ich schon von Weitem, wie der Wärter sich vergebens abmühte, den Hirsch in eine Einzäunung zu treiben, welche von nun an sein beständiger Aufenthalt sein sollte. Peter hatte dicht neben dem Eingang Stellung genommen; mit dem Rücken gegen das Pfahlwerk gelehnt, den Kopf mit dem mächtigen Geweih tief herabgesenkt, stand er da und wehrte sich ritterlich gegen die hageldicht heransausenden Birkenknittel und sonstigen Bruchstücke der Naturbänke, welche ihm vom Wärter unablässig zugesendet wurden.
Bis jetzt hatte der Hirsch noch jeden Wurf vollständig mit dem Geweih parirt, oft genügte eine kleine Seitenbewegung des Kopfes, um das herankommende Projectil weit seitwärts abzuprellen oder hoch in die Luft wirbeln zu lassen. Als ich mir aber ebenfalls einen Arm voll „Naturhölzer“ gesammelt und dem Wärter secundirte, ward es dem Peter doch allmählich zu heiß, er machte plötzlich Kehrt und stürmte in wilder Flucht in seinen Zwinger, der sich sofort hinter ihm schloß.
Als der Hirsch bereits in die Brunst getreten war, verließ ich einst zu später Abendstunde die mitten im Park belegene Behausung des Wärters und schritt heimwärts durch die hohen, dunklen Kiefern, fortwährend bemüht, den unscheinbaren Fußpfad beim unstäten Licht meiner kleinen Blendlaterne im Auge zu behalten. Es war völlig windstill und ich wunderte mich sehr, das Geschrei des Hirsches nicht wie gewöhnlich aus der Ferne herüber schallen zu hören. Kaum einen Flintenschuß von der Ausgangspforte entfernt, glaubte ich ein leises klitscherndes Geräusch hinter mir zu vernehmen, wie dies wohl ein Stück Wild im ruhigen Gange durch das Zusammentreffen der Schalen mit dem Geäster hervorbringt. Ich dachte unwillkürlich an die Möglichkeit eines Rencontre mit dem schwarzen Peter, welcher jetzt die schönste Gelegenheit haben würde, Revanche zu nehmen. Ich kannte sein Gedächtniß für empfangene Beleidigungen und erinnerte mich, daß er einst, scheinbar ohne jede Veranlassung, einen Arbeiter mitten unter seinen Gefährten aufgesucht und mit den Vorderläufen niedergeschlagen hatte. Der Mann bekannte später, daß er einige Wochen früher dem Hirsche ein Stück glimmenden Feuerschwamms auf die Nase gelegt hatte.
Während ich diesen unerquicklichen Betrachtungen nachhing, ließ sich das erwähnte Klitschern abermals vernehmen. Ich drehte mich um und richtete meine Laterne bald hoch, bald niedrig, bald links und rechts, anfänglich vergebens. Endlich glaubte ich in einiger Entfernung ein starkes Stück Wild auf dem Fußpfade zu entdecken, ob aber Hirsch oder Thier, war nicht zu unterscheiden. Ich sollte nicht lange in Zweifel bleiben, denn mein unheimlicher Begleiter kam langsam gerade auf mich zu. Es war richtig – der schwarze Peter, welcher, der Himmel mochte wissen wie, aus seinem Zwinger entkommen war. Mit steifem, feierlichem Schritt, den Kopf gesenkt, kam er heran. Ich bemerkte sofort, daß er das Gehör zurückgekniffen hatte, was immer ein Zeichen übler Laune ist, und sah mich rasch nach einer Deckung um. Zum Glück standen die Kiefern an diesem Orte nicht vereinzelt, sondern horstweise beisammen, und wenn es mir gelang, die nächste Gruppe zu erreichen, war ich wenigstens vor dem ersten Anlauf geschützt. Vorsichtig rückwärts tretend, setzte ich zunächst meine Laterne nieder und sprang dann mit einem Satz hinter die schützenden Kiefernstangen. Ich hatte die sentimentale Idee, der Hirsch werde sich mit der brennenden Laterne beschäftigen, bis ich mich in der Stille davon gemacht, allein ich war kaum hinter den Kiefern, als Peter auch schon von vorn dagegen prallte, daß es klappte. Dann begann er mit dem Geweih zu drücken und zu bohren, mit dem Kopf in derselben Stellung verharrend, während sein Hintertheil im Halbkreis hin und her traversirte. Bald knickte und krachte hier und dort ein dürrer Ast im Dickicht, was bei der nächtlichen Stille einen gewaltigen Lärm verursachte und zu meiner größten Freude das Wachthündchen des Parkwärters zu einem heillosen
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_812.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2017)