verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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wenig von der specifischen Yankeeerscheinung, mit ihren blonden Locken und blauen Augen mochte sie wenigstens für eine deutsche Uebersetzung derselben haben gelten können. Blasirt war sie aber nicht, und ich nahm bald wahr, daß sich hinter ihrem schmachtend-gleichgültigen Wesen ein innerer Schmerz verbarg. Ich setzte denselben auf Rechnung ihrer zarten Constitution, zerbrach mir übrigens nicht besonders den Kopf darüber.
Zu den Weihnachtsfeiertagen reisten fast sämmtliche jungen Damen nach Hause. Für den kleinen Kreis der Zurückbleibenden fanden damals die gemeinschaftlichen Morgen- und Abendgebete – das Seminar wurde ganz im Neu-England-Stile, d. h. mit puritanischer Frömmigkeit, betrieben – nicht in der Capelle, sondern im Parlor statt. Dabei wurde denn eifrig dafür gebetet, daß die heimfahrenden Damen von keinen Eisenbahnunfällen betroffen würden, was in Amerika jedenfalls ein ziemlich gerechtfertigter Wunsch ist, und zugleich die Bitte eingeschaltet, daß Alle wohlbehalten zurückkehren möchten. Ob nun dieses letztere Gebet blos auf die Unglücksfülle hinzielte oder in Beziehung zum Budget der Anstalt stand, das durch plötzliches Ausbleiben unliebsame Störungen erleiden konnte, dürfte schwer zu ermitteln sein, jedenfalls trafen die jungen Damen ziemlich pünktlich nach Neujahr wieder ein, und in einigen Tagen befand sich Alles wieder im alten Geleise.
Miß P. kehrte nicht sogleich zurück, es lief vielmehr eine telegraphische Depesche ihres Vaters ein, des Inhaltes, daß seine Tochter augenblicklich krank sei, jedoch wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen würde, und bald nachher erschien sie auch selber, noch leidender als früher aussehend, so daß sie auch den ganzen Tag auf ihrem Zimmer blieb. Nur Mittags und Abends kam sie in das Empfangszimmer, um die Besuche eines jungen Herrn anzunehmen, der zugleich mit ihr angelangt und im Hotel abgestiegen war. Herr G.…d – dies war sein Name – war, obgleich ein hübscher und elegant gekleideter Mann, nicht allzu einnehmend; er erinnerte irgendwie an jene fein gekleideten jungen Leute, die man den ganzen Tag vor den New-Yorker Hotels stehen sieht und von denen man nie recht weiß, wie sie es eigentlich anfangen, immer so elegant aufzutreten. Dabei trug er eine gewisse offenherzige Biederkeit zur Schau, die man jedoch bald als unter dem Drucke einer gewissen Befangenheit stehend erkannte.
Nach einigen Tagen Aufenthalt reiste er ab, war jedoch bald wieder da, wurde aber nun im Seminar lästig, und so hörte ich eines Abends zufällig, wie sich der Principal kurzweg die Ehre seiner künftigen Visiten verbat.
Als ich am nächsten Mittag von einem Spaziergange zurückkehrte, begegnete mir Herr G.…d in der Straße. Wir waren uns früher vorgestellt und ich sah, wie er mich anreden wollte. Mit einem flüchtigen Gruße wollte ich an ihm vorübergehen, doch er hielt mich an.
„Auf ein Wort, mein Herr.“
„Sie wünschen?“
„Wollten Sie mich durch eine Gefälligkeit verbinden?“
„Sehr gern, wenn – –“
„O bitte, nur ein kleiner Auftrag! Sagen Sie meiner Frau –“
„Ihrer Frau?“ fragte ich erstaunt.
„O, ich vergaß, jawohl meiner Frau, es ist die Dame, welche Sie unter dem Namen Miß P. kennen. Bitte, sagen Sie ihr, daß ich sie heute Abend um sieben Uhr mit einem Wagen am Hotel erwarte.“
„Mein Herr, ich denke gar nicht daran, einen solchen Auftrag auszuführen.“
„Sie weigern sich. Warum?“
„O sehr einfach, ich bin kein Botengänger von – Unbekannten.“
Dieses „Unbekannten“ mußte wohl etwas ironisch ausgefallen sein, denn er fuhr hoch auf, sagte aber dann ruhiger:
„Sie wollen also in der That nicht?“
„Nicht im Entferntesten.“
Entrüstet ging er ab, in seinem Herzen wahrscheinlich Feuer und Flammen gegen den verd– Deutschen speiend.
Zu Hause angekommen, erzählte ich dem Principal das wunderliche Gespräch und bat ihn um Aufklärung des Vorfalls. Er nahm mich mit sich in die Bibliothek und theilte mir hier das Nähere mit, so weit es ihm bekannt war.
Herr G.…d, der kein anderes Geschäft hatte, als auf den Tod eines reichen Großvaters zu warten, hatte einen starken Eindruck auf Miß P.’s Herz, aber einen desto unvortheilhafteren auf das Gemüth ihrer Eltern gemacht. Die Vorstellungen derselben halfen nichts, dienten im Gegentheil nur dazu, die Flamme noch heißer zu schüren, und so entschloß man sich endlich, das liebeskranke Mädchen in das entfernte Seminar zu schicken, damit sie dort ihren edlen Ritter vergäße. Derselbe bewog sie aber zu einer heimlichen Heirath, und auf der Reise zum Seminar ließ sie sich mit ihrem Geliebten in der Trinitykirche zu New-York trauen. Die Eltern hatten keine Ahnung davon, waren aber zu Weihnachten, als ihre Tochter sie umzustimmen suchte, durchaus nicht zu bewegen, ihre Meinung zu ändern, und so reiste die junge Dame höchst unglücklich wieder nach N. zurück.
Sie führte außer einigem eigenen Gelde mehrere hundert Dollars zur Bezahlung ihrer Pension mit sich, und ihr Gemahl bewog sie, erst etwas mit ihm zu reisen, ehe sie wieder in das Institut ging. Um keine Nachfragen von dort zu veranlassen, schickte er die fingirte Depesche nach N., die dort auch durchaus nicht angezweifelt wurde. Die Reise war indeß kürzer, als er gedacht, weil seine Frau sich ganz entschieden weigerte, das ihr zur Bezahlung der Pension anvertraute Geld anzugreifen, un so mußte er wohl oder übel einwilligen, sie zum Seminar zurückkehren zu lassen, da er ihr keine Häuslichkeit anbieten konnte. Nach einigen Tagen entschloß er sich, seinem Schwiegervater ein offenes Geständniß zu machen; er reiste deshalb zu ihm, hatte jedoch nur den unvollkommenen Erfolg, daß er zur Thür hinausgeworfen wurde. Entrüstet reiste er wieder nach N., der Principal des Seminars aber, welcher inzwischen den wahren Stand der Dinge erfahren hatte, verbot ihm einfach das Haus.
Jetzt verschwor Herr G.…d sich hoch und theuer, daß er aller Welt zum Trotz seine Frau haben wolle; die ganze Welt war leider nur eigensinnig und wollte nicht an seine Verheirathung glauben. Der Notar, an den er sich wandte, weigerte sich, hülfreiche Hand zu bieten, antwortete vielmehr auf die Frage, ob er denn kein öffentlicher Notar sei: „Ja, aber nur für Leute, die ihm gefielen, und er – Applicant – gefalle ihm ganz und gar nicht.“
Unter diesen Umständen blieb dem erzürnten Ehemann nichts weiter übrig als sich an das Gericht in W. zuwenden. Da ihm jedoch Niemand im Dorfe Pferde geben wollte, so mußte er die neun Meilen zu Fuß im Schnee laufen. Vor Gericht konnte man natürlich nicht Partei gegen ihn nehmen, und da er vollgültige Beweise seiner Heirath beibrachte, so gab ihm der Richter einen mit writ of habeas corpus; d. h. einen Befehl, auf Grund dessen ihm seine Gemahlin ausgeliefert werden mußte. Miß P. oder vielmehr Frau G.…d, wie wir sie jetzt nennen können, die sich in der letzten Zeit gar nicht hatte blicken lassen, sah sehr niedergeschlagen aus, und als sie gerade abreisen wollte, erschien ihr Schwager mit der Botschaft, daß sie von ihrem Vater verstoßen sei und nie wieder vor sein Angesicht kommen dürfe. Die junge Frau, welche ihren übereilten Schritt wohl schon sehr bereute, fiel bei dieser Nachricht in Ohnmacht, und ein hitziges Fieber bedrohte ernstlich ihr Leben. Allgemein bedauert, reiste die Dame ab, die sich durch ihre leidende Sanftheit viele Freunde erworben hatte, und wir freuten uns herzlich, als wir nach einiger Zeit vernahmen, daß der Zorn des Vaters gegen seinen Liebling wohl nicht ewig dauern würde. Der Gemahl soll dagegen keine Aussicht auf Amnestie haben, er hat sich daher mit wilder Energie aufs das Studium der Rechte geworfen.
Dem Seminar that diese Episode keinen Eintrag; vielmehr sahen die Eltern, daß ihre Töchter dort gut aufgehoben waren. Charakteristisch ist aber eine Aeußerung des Principals: „Wenn ich jedem jungen Manne gleich seine angebliche Frau ausliefern wollte, so würde ich in vierzehn Tagen meinen Thee ganz allein trinken können.“
Warnung für Auswanderer. Im Anfang des Monats August d. J. verließen zwei Männer, ein gewisser Martin (Luxemburger von Geburt) und ein Engländer, Namens Scotland, die Stadt Lima in der südamerikanischen Republik Peru, in der Absicht, Deutsche zur Auswanderung dahin zu verleiten.
Die Regierung jenes Staates suchte nämlich die Ländereien im Innern der Republik, welche noch im wüsten Urzustande daliegen, zu colonisiren. Von früheren Versuchen, die eigenen Unterthanen zu einer Niederlassung in jenen Districten zu bewegen, hatte sie abstehen müssen; wegen der weltbekannten Trägheit der Peruaner und weil die rauhen, über wilde Schluchten und reißende Bergströme führenden Verbindungswege, zu deren Restauration die Regierung weder Geld noch taugliche Leute hatte, Jeden zurückschreckten. Da blieb denn nichts Anderes übrig, als Ausländer anzuwerben, und welche wären dazu wohl besser passend als die Deutschen? Arbeitsam und unermüdlich, wie der Deutsche ist, versprach er, der Obrigkeit (vom nationalen Standpunkte aus betrachtet, keineswegs zu seinem Ruhme) ein guter, geduldiger Unterthan zu werden, der im Schweiße seines Angesichts dem fremden Lande neue Erwerbsquellen eröffnen und mit seiner Hände Arbeit das fremde Volk zum Wohlstande führen würde.
Schon um die Mitte der fünfziger Jahre trafen auf Veranlassung und unter Führung eines Deutschen, Damian von Schütz, dreihundert Einwanderer, Tiroler und Rheinländer, in Lima ein, um Niederlassungen am oberen Amazonenstrome zu gründen. Schütz hatte es wohl ganz ehrlich mit den Leuten gemeint, ehrlicher gewiß als die peruanische Regierung, die keine ihrer großen Versprechungen gehalten hatte. Z. B. sollten die Colonisten bei ihrer Ankunft eine gute Straße nach dem Innern vorfinden, statt dessen war noch kein Spaten zum Bau einer solchen in Bewegung gesetzt, und auch noch heute sind die Wege, wenigstens bis auf wenige Stunden vor der Hauptstadt, blos schmale Maulthierpfade, verfallener und verwahrloster als dazumal, und werden es auch wohl bleiben, bis einmal einer der Präsidenten selbst darauf den höchsteigenen Hals bricht. Das Geld zum Bau der Straße war von gewissenlosen Beamten zu anderen, wahrscheinlich privaten Zwecken verwandt werden! Genug, nichts war für die Aufnahme der Colonisten gethan, und diese konnten nun selbst sehen, wie sie fortkämen.
In Lima schon waren viele (etwa der dritte Theil) zurückgeblieben, um auf andere Weise ihren Unterhalt zu verdienen, weil sie sich durch die Wortbrüchigkeit der peruanischen Regierung von ihrem Contracte entbunden glaubten. Die übrigen, unter denen sich auch viele Weiber und Kinder befanden, langten nach Ueberwindung großer Gefahren und Strapazen bald an einer Stelle, einem Bergabhange, an, wo selbst die Maulthierpfade aufhörten, und jetzt begann für die Armen eine arge, schwere Zeit.
Da saßen sie hoch oben in den Schneeregionen der Anden und klopften Steine! Wie manche Thräne mag dem Auge der Mutter entfallen sein, wenn sie auf ihr Kind blickte, das sie einer trüben Zukunft entgegenführte; wie manchen Fluch über die Verlockungen der Werbeagenten mögen dort die Lippen eines Vaters hervorgepreßt haben, sah er Weib und Kind hungernd und vor Frost zitternd in gänzlicher Ermattung zusammenbrechen! Zwei lange, lange Jahre der Drangsal und der Gefahren verflossen, ehe ein Platz gefunden war, wo sie sich ansiedeln konnten, und nicht Wenige waren inzwischen den Beschwerden erlegen.
Der Hauptzweck der Regierung, einen Handelsweg nach den atlantischen Staaten Südamerikas für die Producte einer am oberen schiffbaren Amazonenstrome zu gründenden Colonie zu erschließen, war aber nicht erreicht, denn die junge Niederlassung lag noch weit von den schiffbaren Gewässern des großen Stromes entfernt, und durch nichts waren die Ansiedler zu bewegen, ihr kleines, geschütztes Thal wieder zu verlassen und noch länger die Beschwerden eines Marsches in der Wildniß zu ertragen.
Jetzt nun sollen von Neuem Einwanderer nach Peru geschafft werden, um die Pläne der Regierung auszuführen, und die beiden Eingangs genannten
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_815.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)