verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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über alle Wipfel und Berge!“ Sie schwärmte, sie sang, sie ließ das Wasser durch ihre Finger gleiten, sie drückte Amanda’s Hand, ihr ganzes Wesen schwebte höher und höher. Sie schien so glücklich zu sein. Mir that das Herz weh, – ich kann Dir’s nicht sagen.
Ich starrte eine Weile vor mich hin; endlich blickte ich sie wieder an und sah, wie ihre feuchten Augen auf mir ruhten. Mir war, als müßte ich mitten unter den Menschen aufschreien: „Anna!“ und ihr im engen Kahn vor die Füße stürzen. Sie aber sah wieder kalt und abwehrend zu mir herüber und sagte in gleichgültigem Ton: „Frau Amanda hat mir auch Grüße von Deiner Schwester gebracht, für Dich und mich. Sie glaubte Dich noch hier.“ – „Kennst Du denn meine Schwester?“ fragte ich verwundert. Das räthselhafte Mädchen wandte sich zur Seite, spielte wieder mit dem Wasser und sagte endlich: „Wer weiß!“ Ich starrte sie an und wollte eben Aufklärung begehren, als plötzlich die Tante etwas in die Höhe fuhr und mit ihrer geräuschvollen Stimme flüsterte: „Dort am Ufer geht Walter, Anna, aber von uns hinweg. Er will wohl über Land, zu seinen Eltern.“ Anna ward bleich und roth, starrte in’s Wasser hinein mit unbeweglichen Gliedern und zusammengepreßten Lippen, und schwere Thränen traten ihr in die Augen. „Er wird noch glücklich werden,“ setzte die Alte nach einer Pause hinzu, um nur etwas zu sagen, da wir Alle schwiegen; „er wird die Emilie heirathen, die er von Kind auf so gern gehabt hat; man bleibt doch immer am besten bei der ersten Liebe!“ Anna zuckte zusammen. Wir saßen wieder in der peinlichsten Stille. Ich war unsäglich beklommen, ohne zu wissen, warum, all’ mein Muth war dahin, es legte sich mir wie ein kalter, nasser Mantel um’s Herz, und ich gewann erst wieder Athem, als wir endlich an’s Land stiegen.
Die Mittagszeit kam heran, aber noch immer fand ich keinen Augenblick, meine überfüllte Seele zu entladen. Wir aßen im Wirthsgarten in einer Laube am Wasser; die ersten Rosen dufteten herein, Bienen und Hummeln summten, der See plätscherte mit der ganzen süßen Geschwätzigkeit kleiner Strandwellen heran, aber ich, Julie, ward immer stummer und stummer. Frau Amanda fragte mich nach Tausenderlei von Rom und römischem Leben, und nie in meinem Leben hatte ich weniger Sinn und Verlangen, von Rom zu reden. Ich mußte ihr von den Wirthshäusern, von der italienischen Küche, von den gesunderen Stadtquartieren erzählen, und meine Seele lechzte in Bangigkeit nach einem Zwiegespräch mit ihr, die mir in wechselnder Farbe gegenübersaß. Endlich hatten wir abgetafelt; die Tante und Frau Amanda zog sich zurück, um ein wenig zu schlummern. Als ich sie bis an’s Haus begleitet hatte und fast zitternd vor Erregung mich nach Anna umsah, war sie verschwunden. Ich suchte sie, ging verstört dem Wasser zu und nun sah ich sie in unserem angebundenen Kahn am Steuer sitzen; sie hatte ihr braunes Schirmchen aufgespannt, sich gegen die Sonne zu schützen, und träumte ernst in das Land hinaus.
Ich näherte mich und fragte, ob ich einsteigen, ob ich sie ein wenig stören dürfe. Sie konnte ihre Aufregung nicht verbergen und nur ein stummes, sichtbar erzwungenes Kopfnicken gab mir Antwort. Nun faßte ich mir dennoch ein Herz, löste unvermerkt den Kahn vom Ufer und trieb ihn mit einem langen, sanften Ruderstoß gegen die Landungsbrücke auf den See hinaus.
„Das war nicht die Meinung,“ sagte sie.
„Verzeih’,“ antwortete ich, „was ich Dir sagen möchte, Anna, soll Niemand hören, als der schweigsame See. Laß uns nur immer ein wenig hinaustreiben! Anna, ich bin ein unglücklicher Mensch. Ich habe Dir weh, ich habe Dir Unrecht gethan. Ich habe mein Herz nicht gekannt, und als ich es erkannte, war’s zu spät. Doch nein, Anna, zu spät darf es nicht sein! Was geschehen ist, ist ungeschehen, Du bist frei, Du bist Dein – –“
Doch wie kann ich, Julie, wie kann ich Dir das Alles wiederholen? Weiß ich’s noch, was ich sagte? Und wenn ich es wüßte, was liegt nun daran? Mein Herz lag ihr zu Füßen, meine Zunge sprach durch ihr Stammeln, und was ich sagen wollte, stand in meinen Augen, in allen Zügen geschrieben.
Sie hörte mich ruhig an. Sie wich mir nicht aus, ihre dunklen Blicke waren auf mich geheftet. Sie ließ den Schirm sinken, und die Sonne lag nun voll auf ihrer wachsbleichen Stirn. „Bist Du zu Ende?“ sagte sie endlich mit bebender Stimme.
„Ist das Deine Antwort, Anna?“
„Nein, so kurz ist sie nicht,“ erwiderte sie, „ich habe Dir Manches zu sagen. Du sollst mich nicht wieder verklagen können,“ fuhr sie mit einem unerträglich erschütternden Tone fort, „daß ich unehrlich oder verschlossen sei! Ich habe Dich über Alles lieb gehabt. Nein,“ unterbrach sie sich herb, und die plötzliche Röthe schlug ihr wie eine Flamme bis zur Stirn hinauf, „auch das wäre unwahr, ich habe Dich lieb, noch in diesem Augenblicke. Aber nie werd’ ich Dein Weib, niemals, niemals! Ich hab’ es mir geschworen. Weißt Du, was Du an mir gethan hast? Ich habe Dir Alles aufgeopfert, was ich hatte: mein altes Leben, meine Menschen, meine Ruhe, meine Unwissenheit; dem Gerede der Menschen hab’ ich mich preisgegeben, um in Deiner Gesellschaft wieder leben zu lernen, und nun hattest Du endlich einen Menschen aus mir gemacht, und mit dieser Last auf meiner jauchzenden, beladenen, wund gedrückten Seele ließest Du mich allein! Glaubst Du, daß Du noch das Recht dazu hattest? War ich nun nicht Dein? Durftest Du mich an dem neuen Leben, das Du mir gegeben hattest, verbluten lassen?
Ich habe gewartet,“ fuhr sie fort, und noch immer hör’ ich ihre dunkle, bebende Stimme, „ich habe gewartet mit geduldiger Seele, Tag für Tag hab’ ich in meiner vertrauenden, seligen Ergebenheit geharrt, daß Du mir sagen würdest: ‚Von nun an gehören wir zusammen, Du bist mein Weib!‘ Bin ich nicht sinnlos, Dir das Alles zu sagen? Als aber jene Abschiedsstunde kam und auf die Frage, die ich in aller Herzensangst hervorstieß, mir diese leere, todte Antwort zurückkam, – von dem Augenblick an war es aus zwischen Dir und mir! Da wußt’ ich, daß Du mit mir wie mit einem Vogel oder einer Blume gespielt hattest! Nun kannst Du gehen, Du bist frei, ich habe Dich in jener Stunde losgesprochen, an mich bindet Dich nichts mehr. Was ich zu tragen habe, trag’ ich allein; mein neues Leben will ich mir selbst zurecht machen, und ich werde Dir auch nicht die Liebe anthun, Dich zu hassen.“
– Ich hatte längst die Ruder aus den Händen sinken lassen, der Kahn trieb von selbst wieder dem Lande zu. „Nun weißt Du Alles,“ sagte sie, „Du hast es gewollt.“ Weiter hörte ich nichts mehr. Ich weiß nicht, Julie, was sie noch gesagt haben mag. Ich saß in meinem grenzenlosen Kummer da, ließ sie ruhig aussteigen, sah ihr nicht nach; was hätt’ ich ihr auch erwidern sollen? Ich fühlte in jedem Nerv, daß sie im Recht war. Ich hatte keinen Zorn, keine Erbitterung, keine Empfindung des Widerspruchs, nichts als den Schmerz, daß es so gekommen war, daß ich sie verscherzt hatte.
Als ich mich endlich umzusehen wagte, war sie verschwunden. Ich wollte weder ihr noch den Andern wieder begegnen; ich band den Kahn fest und lief am Ufer entlang nach der Stadt zurück. Und unterwegs kamen die bösen Gefühle herauf, die der erste tiefe Schmerz niedergedrückt hatte. Ich sah mich mißhandelt, beleidigt, gedemüthigt, verkannt; ich fühlte den Haß in mir aufsteigen, den sie mir so stolz verweigert hatte. In dieser Stimmung schrieb ich Dir jene ersten fassungslosen Worte. Damals wäre ich unfähig gewesen, Dir zu bekennen, was ich Dir jetzt – unter tausend Windungen des tiefsten Widerstrebens – zu meiner Buße bekannt habe. Damals war mir unmöglich, was vielleicht Alles noch gerettet hätte: zu Anna zurückzueilen, ihr auf den Knieen in offener Zerknirschung abzubitten. Mein Stolz war empört. Und nun ist Alles vorbei.
Ja, Julie, ich habe sie mit Recht verscherzt, ich bekenne mich schuldig. In grausamer Selbstverachtung sitz’ ich da! Ich kam als ein hochfahrender Thor in meine Heimath zurück. Ich habe Anna’s Seele zu gering geschätzt, weil sie zu meinen fremdländischen Idealen nicht stimmte. Ich habe mit ihr gespielt, leichtfertig wie ein Knabe mit ihrem vertrauensvollen Herzen getändelt, und als ich sah, daß ich schon zu lange getändelt hatte, da ließ ich sie mit ihrer Verzweiflung allein.
O, warum sind wir so blinde, eitle, selbstgefällige Thoren!
Was nun aus mir werden soll, das weiß ich nicht. Ich fliehe nun schon Wochen lang vor mir und ihr, und dem Einen kann ich so wenig wie der Andern entrinnen. Langsam, dann wieder hastig, dann wieder gleichgültig träg an irgend einem Ort an der Landstraße stille liegend, – so bin ich gereist und bis hierher gekommen, bis an die Schwelle von Rom – und dort, Julie, hoff’ ich zu vergessen. Kann ich es, so kann ich es nur in Rom. Und kann ich es auch in Rom nicht – – doch den Gedanken
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_818.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)