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Seite:Die Gartenlaube (1868) 008.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Oberdepartements erhielt, regten sich kaum irgendwelche Zeichen von Mißvergnügen gegen diese abermalige Umwandlung, und eben so gefügig nahm man die dritte Metamorphose innerhalb zweier Jahrzehnte hin, welche Hildesheim zu einer Stadt des mit allerlei anderen Annexionen vergrößerten Welfenreiches machte.

Es war damals anderwärts eben auch nicht anders, und überdies schlummerte der alte Freiheitssinn der Bürgerschaft nur. 1830 und 1831 merkte man das an ziemlich lebhaften Zuckungen, und an der Bewegung von 1848 nahm die Stadt eifrigen Antheil. Man hatte durch Ernst August erfahren, was die Welfenherrschaft zu bedeuten habe. Wieder wohlhabender geworden, fühlte sich das Bürgerthum wieder mehr. König Georg’s Willkürregiment ließ den ganzen Freiheitstrotz einer im Kampf mit den Bischöfen erzogenen Bevölkerung wieder erwachen. Die Stadt Hildesheim war fortan der Hauptsitz der Opposition im Süden Hannovers, und diese Opposition, die Anfangs mehr demokratischer Natur gewesen, nahm später eine stark nationale Färbung an, wenigstens bei der Mehrzahl der zu ihr Gehörigen. Der berüchtigte Wermuth erhielt Auftrag, die spröde Stadt für das Welfenthum zu gewinnen, und Meister in allen den kleinen Polizeikünsten, welche zu Erfolgen auf der Oberfläche führen, mit den Demokraten Weinhagens gegen die Nationalen, mit den großdeutschen Katholiken gegen die Protestanten operirend, selbst unsaubere Mittel nicht verschmähend, hatte er allerdings nach einiger Zeit mehrere Erfolge auszuweisen. Namentlich gelang es ihm, die unbemittelte Classe gegen den Magistrat aufzustacheln, der die Seele der Opposition, aber zugleich die Seele bei jeder Förderung der wahren städtischen Interessen war. Die Majorität und darunter den Kern den Bürgerschaft hat er nicht zu sich herüberzuziehen vermocht. Er konnte weiter kommen, und er wäre vielleicht weiter gekommen, als die preußische Occupation die Stadt vor dieser Verführung bewahrte. Wermuth schoß sich, als er sein letztes Spiel verloren sah, eine Kugel in den Kopf. Sein begabtester und thatkräftigster Gegner, Senator Römer, war Hildesheims erster Vertreter im norddeutschen Reichstag.




Erinnerungen an Heinrich Heine.
Von Heinrich Laube.
I.

Zwischen 1826 und 1827 habe ich den Namen Heine’s zum ersten Male nennen hören. Ich war Fuchs auf der Universität Halle und gehörte zur Burschenschaft. Diese Studentenverbindung hatte bekanntlich ein patriotisches Ziel. Von den älteren hallischen Mitgliedern wurde aber damals auch immer betont, daß der Student sich nicht blos um Kneipe und Fechtboden, sondern auch um die eben lebende Literatur zu bekümmern habe. Niedersächsische Studenten waren es vorzugsweise, Hildesheimer, Oldenburger, Hanseaten, welche zuweilen von Heine sprachen. Das will sagen: sie erwähnten witzige Aeußerungen dieses jungen Schriftstellers.

Ich kann nicht sagen, daß mir das einen besonderen Eindruck gemacht hätte. Ich war nicht auf literarische Dinge gestellt, obwohl ich auf dem Gymnasium die Wochenblätter unsicher gemacht mit mittelmäßigen Versen und obwohl ich von Halle aus mit Adolph Müllner in Berührung gekommen war. Ein paar Meilen von Halle entfernt, gab er in Weißenfels die Mitternachtszeitung heraus und belehrte mich da in einem ausführlichen Schreiben über die Fehler von Sonetten, welche ich ihm eingeschickt hatte. Heute ist mir dies ein Zeichen von der literarischen Stille, welche damals in Deutschland herrschte. In Weißenfels wurde ein wichtiges Journal herausgegeben, und der Redacteur hatte Zeit und Lust, einem unreifen Studenten über schlechte Sonette einen langen Brief zu schreiben!

In dieser stillen Zeit tauchte Heinrich Heine auf. Er hatte seine Jugend in Düsseldorf verlebt. Seine Eltern sind offenbar begabte Menschen gewesen. Der Vater ein Geschäftsmann, seine Mutter von der holländischen Seite her. Mit der letzteren kokettirte Heinrich frühzeitig: er widmete ihr eine Schrift und gab mit Nachdruck ihren Familiennamen an: von Geldern. Daß seine Mutter von Adel und eine Christin gewesen, das war etwas, was er betont sehen wollte. Als ich ihn später einmal auf diesen Gedankengang aufmerksam machte, nickte er mit dem Kopfe und sagte: „Allerdings!“ Es hat nicht an Genealogen gefehlt, welche diesen Familienstolz einen erkünstelten nannten und das ,von’ in ein gleichgültiges ,van‘ verwandelten. Eine holländische israelitische Familie, welche in das nahe Düsseldorf eingewandert, habe sich dies „van“ beigelegt, welches nur eine geographische Bedeutung habe. Dies ist auch wahrscheinlich, denn Heinrich Heine ging niemals näher auf diese Frage ein. Es war ihm ein verführerischer Witz, daß er aus einer Mischung christlichen Adels und jüdischer Race entsprossen sein könne, und von Mutterleibe aus romantisches Mittelalter, eingeweicht in zersetzende Geistesschärfe, darstelle. Sein literarisches Wesen wird ja durch solche gemischte Abstammung prächtig erklärt. Wenn ich ihn mit dieser Racentheorie aufzog, so lachte er und sprang auf ein anderes Thema über. Es war ein Zug seiner Eitelkeit aus seiner poetischen Jünglingsperiode. Das Leben hatte diesen Zug später in ihm verwischt. Aber die halbe Lüge war durch eine Widmung an „die geborene von Geldern“ gedruckt und eingeführt; er trug sie auf leichter Schulter weiter und schüttelte sie von der rechten auf die linke Achsel, wenn zudringlich daran getippt wurde.

Er sollte die Rechte studiren und war zu dem Ende in Bonn, in Göttingen und in Berlin. Jede diese Städte hat ihm ein Contingent stellen müssen für seine schriftstellerische Armee. Auch die Vaterstadt Düsseldorf. Seine Geburt fällt noch in’s drittletzte Jahr des vorigen Jahrhunderts, er wuchs auf unter der Franzosenherrschaft am Rheine, der regierende Herr seiner Heimath hieß Kaiser Napoleon. Sein Vater war in enger Berührung mit der „großen Armee“, er führte Lieferungsgeschäfte für dieselbe und kam in persönliche Berührung mit den Marschällen. Der Napoleoncultus datirt also aus seinen frühesten Jugendeindrücken. Daß er ihn poetisch ausbildete und in seinem Buch der Lieder drucken ließ, gehört zu seinen stärksten Dreistigkeiten. Denn die Freiheitskriege pulsirten während der zwanziger Jahre noch in allen deutschen Herzen, und der Name Napoleon bezeichnete den ärgsten Landesfeind.

Dieser Napoleonswelt ist er übrigens auch immer und bis zuletzt treu geblieben. Insofern treu geblieben, als er ihr stets die größte Macht zutraute. Immer wenn in Frankreich der Boden bebte, da erwartete er die Napoleoniden. In den vierziger Jahren, als die Orleans heftig angegriffen wurden und man mit der Republik drohte, da sagte er: „Denk’ an mich, wenn sich das Alles unmächtig erweist! Die Kinder der alten Soldaten bedecken ganz Frankreich. Ihr Gott, welcher ihnen volle Gleichheit, Stärke und Ruhm erschafft, heißt Napoleon. Unter diesem Namen gestaltet sich Frankreichs Zukunft.“ – Außer ihm dachte damals kein Mensch an eine Napoleonische Zukunft. Der Poet sah tiefer als irgend ein politischer Scharfblick.

Sein Contingent aus Bonn hieß August Wilhelm Schlegel. Sein Contingent ans Göttingen wurde der nahe Harz, der Schauplatz seiner Reisebilder. Sein Contingent aus Berlin Hegel.

Berlin war in jener Zeit ein recht langweiliger Ort. Der Aufschwung aus dem Jahre 1813 wurde sorgfältig und immer sorgfältiger gedämpft in den politischen Folgerungen, welche ihm inne wohnten. Das rüttelte sich bereits in ein System, als der blasse und magere Heine in der Behrenstraße wohnte und in den breiten und leeren Straßen der Friedrichsstraße umherschlenderte. Mißmuth und Langeweile verschonten ihn nicht, Drang nach Schriftstellerruhm begann in ihm zu nagen, und er suchte Leute kennen zu lernen, welche dafür etwas bedeuteten: Hitzing, Gans, Varnhagen, Rahel. Letztere, vom Judenthnm stammend, belebte ihn am meisten; er lenkte öfters gegen Abend seine Schritte nach dem stattlichen Hause in der Mauerstraße, dessen ersten Stock Varnhagen mit seiner Gattin schon damals bewohnte. Ich habe zehn Jahre später, inmitten der dreißiger Jahre, oft mit Varnhagen darüber gesprochen, ob man wohl die schriftstellerische Laufbahn Heine’s habe vorhersehen können. Kaum! war das Ergebniß.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_008.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)
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