verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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Regierung mußte eine parlamentarische sein. Nur wenige Tage waren zu deren Bildung gegönnt und es galt ein Heer von Schwierigkeiten zu besiegen. Die Furcht der Capacitäten des österreichischen Reichsrathes, die Zügel der Regierung zu ergreifen, war noch immer keine ungerechtfertigte, aber die patriotische Rücksicht auf den Staat, die Zusagen der ungarischen Minister, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln das cisleithanische Ministerium zu stützen, endlich feierlich gebotene Garantien gaben den Ausschlag. Das neue Ministerium kam zu Stande, und Herbst übernahm das Portefeuille der Justiz.
Von nun an nimmt er Theil an der Lösung jener ungeheuern Aufgaben, die den neuen Räthen der Krone in Oesterreich gestellt sind. Es handelt sich in der That um nichts Geringeres, als um einen Neubau des Reichs, aber auf dem unerschütterlichen Grunde staatsbürgerlicher Freiheit. Unzufriedene Parteien wird es in dem Völkermischmasch, das Oesterreich bis jetzt noch darstellt, immer geben, aber wenn Deutsche, Ungarn und Polen befriedigt sind, kann die Opposition der kleinen politisch lebensunfähigen Nationalitäten nur damit enden, daß sie entweder ihre Sonderstellung aufgeben und in die verfassungsmäßige Opposition eintreten, oder es über sich ergehen lassen müssen, grollend, abseits stehend, ignorirt zu werden.[1]
Der Charakter des neuen Ministeriums ist ein deutscher. Im Programm Herbst’s, Berger’s und Giskra’s steht der Punkt oben an, der Oesterreich verpflichtet, für die Erhaltung des Friedens besorgt zu sein, und der Sinn dieses Punktes ist kein anderer, als Deutschland und Italien in ihren Grenzen zur Entwickelung gelangen zu lassen. Mag Italiens langgehegter Wunsch, Rom als Hauptstadt zu sehen, erfüllt werden, mag Nord- und Süddeutschland sich zusammenschließen, Oesterreich wird, so lange das jetzige Ministerium besteht – und hoffentlich ist es kein vorübergehendes – nicht neidisch diese unaufhaltsame Einigung stören wollen. Die Majorität seiner Völker ist befriedigt, warum sollte es nicht die Befriedigung der ihm benachbarten Völker gern sehen? …
Als Vierziger mit braunen Haaren trat Herbst in den österreichischen Reichsrath; der Aufenthalt in demselben hat ihn schon nach wenig Jahren grau gemacht, wie auch unser Bild ihn zeigt. Aber unter diesen frühgefallenen Schneeflocken arbeitet der Kopf rastlos fort in unermüdeter jugendlicher Thätigkeit. Möge der Deutsche in Oesterreich, ob nun die Zeit der Krisen für den hartgeprüften Kaiserstaat noch immer nicht vorüber, oder ob eine bessere Zeit für ihn im Aufgehen begriffen sein sollte, noch recht lange auf diesen Staatsmann von umfassender Sachkunde und erprobtem Charakter zählen können!
- ↑ Wie hart der deutschfeindlichsten dieser kleine Nationalitäten, der czechischen, diese Unterordnung ankommen wird, davon zeugt der jüngste Scandal an der Prager Universität, wo, am elften Januar, czechische Studenten und andere mit ihnen verbundene Personen durch Schreien und Toben eine Berathung deutscher Studenten unmöglich machten, weil dieselbe ein Ehrenfest für Herbst, als deren ehemaligen Rechtslehrer, betreffen sollte. D. Red.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_061.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)