verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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noch auf uns putzen (die Schuld auf uns wälzen). Kriege ich den wieder, so wag er sich hüten! Er weiß auch, wo die Söge von dem Einbrüche ist, den wir zuletzt machten; ich habe mit ihm kassibert (kleine Zettel zugesteckt, meist beim Spaziergänge im Gefängnißhofe) und geklopft (durch Pochen Buchstaben andeuten, aus denen dann die Worte entstehen), denn er sitzt über mir; er hat aber nicht geantwortet.“
Unsere Zeit war um, ich mußte ihn zurückschicken. Wiedersehen werde ich ihn schwerlich – er ist zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurtheilt und wird sein Leben wahrscheinlich im Zuchthause schließen.
Es ist eine der traurigsten Erscheinungen für den Menschenfreund, daß der einmal bestrafte Verbrecher fast ausnahmelos für diese Welt verloren ist. Niemand will ihn um sich sehen und Niemand vertraut ihm; auf das Laster angewiesen, wandelt er seine abschüssige Bahn bis an sein Ende. Wie viele Menschen könnten doch gerettet werden! Man sendet Missionäre in ferne Länder, um „Seelen zu gewinnen“, während man diese hier auf allen Gassen finden kann und doch nicht finden will. Zwar giebt es einen Privatverein für diese Zwecke, aber was kann er thun, wenn ihm jede Staatshülfe mangelt, wie soll er da wirken, wo die Gesetze den bestraften Verbrecher durch Verwaltungsmaßregeln der peinlichsten Art einschränken, durch die sogenannte Polizeiaufsicht? Läßt sich der Observat nach neun Uhr auf der Straße sehen, so wird er bestraft; entfernt er sich ohne polizeiliche Erlaubniß auch nur einen Tag aus Berlin, so ist ihm das Gefängniß gewiß. Kein Meister mag sich der Unannehmlichkeit aussetzen, ihn in Arbeit zu nehmen, da die Polizei jeden Augenblick nach ihm fragen kann und dem Arbeitgeber seine eigene Wohnung verleidet. Wann wird in diesen Dingen die Humanität zum Durchbruch kommen! Wann wird man aufhören, in unseren Strafanstalten durch das Disciplinarmittel der Stockschläge, durch die Anrede „Du“ und durch pietistische Versuche den kleinen Funken von Ehrgefühl, der auch in der Brust des gröbsten Verbrechers glimmt, zu ertödten, da man diesen Funken doch so ängstlich nähren und mehren sollte! – Wenn ich die Leser bitte, noch weiter an meinen Criminalerlebnissen Antheil zu nehmen, so geschieht dies unter dem Versprechen, jetzt weniger düstere Bilder aufzurollen. Man thäte Unrecht daran, den Molkenmarkt zu verlassen, ohne wenigstens die berüchtigten Berliner Bauernfänger kennen zu lernen, deren Leben und Treiben eines humoristischen Anstriches nicht entbehrt. Die Natur ihres Industriezweiges macht es nöthig, Societätsverhältnisse einzugehen. Zu dem Behufe vereinigen sich ihrer fünf bis sechs; einer von ihnen ist der „Schlepper“, die anderen sind die „Macher“. Der Schlepper wandelt nun durch die Straßen der Menschen, um seine Opfer zu suchen. Etwa am Neuen Museum oder unter den Linden sieht er Einen, „der nicht von hier ist“, in tiefe Betrachtungen versunken stehen. Er nähert sich ihm und knüpft ein Gespräch an. Der biedere Fremdling offenbart nun sogleich, er sei aus Kyritz oder Perleberg gekommen, um eine Stelle als Comptoirdiener oder dergleichen zu suchen.
„Ei, das trifft sich ja prächtig,“ antwortet der Bauernfänger; „da ist mein Schwager, ein angesehener hiesiger Kaufmann, der sucht einen Lagerverwalter mit monatlich dreißig Thalern Gehalt und freier Station. Einem Manne von Ihrer Bildung kann es ja nicht schwer fallen, auch diesen Posten zu bekleiden. Wir könnten sofort zu ihm gehen, allein er kommt leider erst morgen von seiner Reise zurück; bis dahin können wir uns ja Berlin ein wenig ansehen.“
Der Vogel wäre also „auf den Leim gegangen“. Zuerst wird die neue Bekanntschaft durch einige Seidel besiegelt, die der noble Berliner trotz allen Sträubens seines Gefangenen bezahlt.
„Nun, wenn Sie durchaus bezahlen wollen, so kommen Sie jetzt in ein anderes Local; wir treffen dort Herren aus Ihrem neuen Geschäfte.“
Der Provinciale, immer noch im siebenten Himmel seiner dreißig Thaler pro Monat, willigt mit Freuden ein. Durch ein Labyrinth von Straßen und auf Umwegen gelangen sie in ein Local, in dem die Macher schon warten. Der neue Ankömmling wird vorgestellt, man scherzt und ist guter Dinge. Zuletzt kommen die Kartenkunststückchen an die Reihe. Einer von der sauberen Gesellschaft mischt ein Spiel Karten, zeigt eine derselben, wirft sie nebst zwei andern verdeckt auf den Tisch und behauptet, Niemand würde aus den drei Karten diejenige rathen, welche er vorhin gezeigt. Nichts scheint aber leichter, als dies. Jemand setzt einen Thaler und gewinnt; er gewinnt öfter und fordert den zukünftigen Lagerverwalter auf, doch auch ein wenig zu Pointiren. Bier und Kümmel machen fleißig die Runde, ein Thaler nach dem andern wandert aus der Tasche des armen Geprellten, der auch das Letzte, seine Taschenuhr, auf das Spiel setzt, in der Hoffnung, seine verlorene Baarschaft wieder zu gewinnen. Ist nichts mehr an ihm zu gewinnen, so wird ein Streit provocirt, in dessen Verlaufe das Opfer zur Thür hinausgeworfen wird. Aber auch die Bauernfänger verlassen schleunigst den Ort ihrer Schandthat, um anderswo zu theilen, wobei natürlich der Schankwirth nicht zu kurz kommt. In unserm speciellen Falle hatten sie sogar eine Droschke zur Flucht benutzt, und dies wurde ihr Verderben. Der Kutscher hatte aus ihren Gesprächen Namen wie „Kanonenheber“ und dergleichen behalten und dies der Polizei mitgetheilt, die ihre Kunden gar bald zu finden wußte.
Selten habe ich gesehen, daß ein Gefangener über den Verlust seiner Freiheit so ergrimmt war wie diese Kerle; draußen, wie sie es nennen, hatten sie ein vergnügtes, lustiges Leben geführt, und jetzt wollte ihnen die Isolirhaft und die Gefängnißkost sehr wenig schmecken. Mit unglaublichem Raffinement verstanden sie es, die Untersuchung zu verdunkeln. Der Herr, welcher den ehrenvollen Beinamen, den ich soeben anführte, von seinen Collegen erhalten hatte, wußte sehr geschickt eine kleine Scheere in seine Zelle zu schmuggeln, mit der er über Nacht Haar und Bart derartig zustutzte, daß ihn der „Gemachte“ in der That nicht bestimmt zu recognosciren vermochte. Er hatte sich aber gewaltig verrechnet. Die abgeschnittenen Rudera seines Gesichtsschmuckes wurden im Ofen seiner Zelle vorgefunden und der Herr selber so lange in Untersuchungshaft behalten, bis er sich wieder im Status quo ante befand und auf das Bestimmteste recognoscirt wurde. Die ganze Gesellschaft sitzt jetzt im Zuchthause; den geprellten Provincialen sah ich neulich als wohlbestallten Hausknecht in einem hiesigen Hotel. Hoffentlich ist er klüger geworden und läßt sich von Anderen nicht mehr die Volte schlagen.
Da ich hier einmal von der Gaunersorte der Bauernfänger! spreche, so will ich noch einen Streich erzählen, welcher unlängst durch dies Gelichter hier verübt worden ist.
Ein Fremder, nennen wir ihn Herrn v. L., der sich Berlin besehen wollte, eilte zunächst in das Neue Museum und fand sich, wie gewöhnlich, in dem eben gekauften Kataloge nicht zurecht. Fragend blickt er sich um. Ein eleganter Herr, der seine Verlegenheit bemerkt, wendet sich mit gewinnender Höflichkeit au ihn, um ihm ein wirklich geistreicher Führer durch das Museum zu sein. Der Fremde ist entzückt und sinnt auf Dank. Aber der Herr lehnt mit äußerster Artigkeit ein Frühstück ab, erwähnt indeß beiläufig, daß Freunde ihn in der Weinstube von Borchardt, Ewest etc. erwarten. Was ist natürlicher, als daß Herr v. L. auf die Bemerkung hin, jeder Reisende müsse eigentlich diese Locale kennen lernen, sich anschließt, schon der liebenswürdigen Gesellschaft halber. Dort trifft man die Freunde, Alles vornehme junge Leute mit guten Namen, die den Fremden sehr herzlich empfangen und ihn sein „zu Hause“ gänzlich vergessen machen. Hier wird mit dem Geschmack vornehmer Gourmands gefrühstückt und mit Gold bezahlt. Während man noch bei einer Havanna sitzt, erscheint plötzlich ein galonnirter Diener, der die Herren für den heutigen Abend zum Balle bei Frau v. B. einladet. „Mein Gott, das paßt prächtig; Sie, Herr v. L., müssen mit, wir führen Sie ein; Sie werden sich vortrefflich amusiren, und jetzt diniren wir zusammen.“
Herr v. L., der allerdings nicht zu den Scharfblickendsten zu gehören scheint, ist schnell überredet.
In heiterster Champagnerlaune betritt er das Festlocal.
Freilich kommt ihm die „Gnädige“ etwas sonderbar vor; auch fällt es ihm auf, daß sie die einzige alte Dame, daß die Beleuchtung mangelhaft, die Musik mehr als schlecht ist und daß die Möbel einen ganz ungebildeten Geschmack verrathen; indeß er ist in einer fremden Residenz und die jungen Damen sind um so reizender, – alle so liebenswürdig, so interessant, – ein bischen frei, – man merkt: man ist in der großen Welt! Dagegen ist der Champagner vortrefflich und die Gastgeberin äußerst freundlich! Ohne Unterlaß wird getrunken – und die reizenden jungen Damen nehmen das hier nicht übel, sind nicht so prüde, wie in kleinen Städten! Ah, wie schön, wie schön! Es lebe Berlin! –
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_124.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)