verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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No. 19. | 1868. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
In einer rheinischen Stadt, die durch die Schönheit und
Munterkeit ihrer Frauen und Mädchen berühmt ist, ging eines
heiteren Septemberabends ein junger Mann mit hastigen Schritten
die Hauptstraße hinab auf das ansehnlichste Privathaus zu, in
welchem von allen Schönen die Schönste wohnte. Er war eben
mit dem Dampfschiff, das rheinaufwärts fuhr, gelandet und hatte
sich auf dem fliegenden Steg allen anderen Passagieren vorgedrängt,
als könne er die Zeit nicht erwarten, bis er den Fuß auf festen
Boden setzte. Trotz des frischen Abendwindes trug er den mit
schwarzem Flor umwundenen Strohhut in der Hand; sein blondbärtiges
Gesicht war stark geröthet, das lose geknüpfte Halstuch
schien ihm noch immer den Athem einzuengen; gleichwohl sprach
er im raschen Gehen abgerissene Sätze vor sich hin, stand dann
wieder, wie um Luft zu schöpfen, und benahm sich überhaupt so
wunderlich selbstvergessen, daß mancher Vorübergehende ihn im
Verdacht hatte, er habe wohl bei irgend einer Mostprobe den Gehalt
des heurigen Jahrganges zu gründlich untersucht. Damit
that man ihm nun freilich schweres Unrecht. Wenn er berauscht
war, war es nicht von jungem Wein, sondern von alter Liebe,
seiner ersten und einzigen, deren Aufblühen in unvordenkliche
Tage, in die übermüthige Knabenzeit, zurückdatirte und somit
Muße genug gehabt hätte, auszugähren und zu einem gesunden
Haustrunk heranzureifen. Aber mancherlei Schicksale hatten diese
friedliche Entwickelung gehemmt, und wenn wir verrathen, daß in
den letzten zwei Jahren und sieben Monaten der jugendliche
Phantast die Straße, die zu seiner Schönen führte, mit keinem
Fuß betreten hatte, obwohl er nur drei Stunden rheinabwärts
auf seinem Weinberg haus’te, so wird es Niemand befremden, daß
ihm jetzt bei dem hastigen Gang Herzklopfen und Beklommenheit
übermächtig zu schaffen machten.
Auch blieb er, vor dem bewußten Hause, Nummer 27 in der Rheinstraße, angelangt, wohl fünf Minuten unten an der stattlichen Pforte stehen, ehe er den Muth fassen konnte, die breiten Sandsteinstufen zu betreten. Er betrachtete die schöngeschnitzten Löwenköpfe an den schweren ehernen Klopfern, als könnten sie Orakelsprüche aus ihren Rachen erschallen lassen. Dann sah er zum Balcon hinauf, dessen zierlich vergoldetes Geländer ganz mit Schlinggewächsen überhangen war. Auf dem hatte er manch liebes Mal gestanden, bei Tag und Nacht; es war ihm wie gestern, daß er der Straßenjugend von droben herab Confect und Früchte vom Nachtisch eines großen Schmauses zugeworfen hatte, den der Hausherr zu Ehren seiner schönen Tochter an ihrem Geburtstage gegeben. Dann war die achtzehnjährige Geliebte hinter ihn getreten und hatte gesagt: „Was machst Du wieder, Vetter? Du hast immer Possen vor. Wenn der Vater das sähe!“ – Und er hatte erwidert: „Soll das Gesindel da unten nicht auch was davon haben, daß Du auf der Welt bist, Bäschen?“ – Und nun hatte sie sich selbst von seinem Muthwillen anstecken lassen und alles Geld aus ihrer Börse unter die jauchzenden Buben und Mägdlein ausgeworfen und dann dem Tumult zugesehen mit einer Miene, wie eine Königin am Krönungstage; er aber war sich wie der König vorgekommen, und selbst die Dazwischenkunft des gestrengen Papas, der ihn trotz des Festtages noch einmal in’s Comptoir schickte, um einen dringenden Brief zu schreiben, hatte seine stolze Glückslaune nicht niederzuschlagen vermocht. Er war allerdings nur ein armer Commis, der von den Unterstützungen einer alten Tante lebte, und wenn ihn auch die Tochter des Hauses Vetter nannte, er selbst wagte es nicht, den Herrn des Hauses Onkel zu nennen. Besagte alte Tante war auch freilich nicht die Schwester, sondern nur eine weitläufige Cousine des reichen Kaufmannes, in dessen Haus und Geschäft ihr Neffe seit einigen Jahren aufgenommen war, und wenn der junge Mann sich nicht so brauchbar und unermüdlich gezeigt hätte, seinem Principal zu dienen, die Verwandtschaft und gar die Jugendfreundschaft mit dem Bäschen hätten ihm dieses vornehme Haus eher verschlossen als geöffnet. Bei alledem hatte er sich durch sein fröhliches Wesen und seine guten Manieren nach und nach so eingebürgert, daß selbst der einsilbige Herr Chef hinter seiner goldenen Brille dann und wann einen wohlwollenden Blick für ihn hatte, und keinem nichtigen Grunde und Niemand als sich selbst durfte er es zuschreiben, daß plötzlich dies Alles ein Ende mit Schrecken genommen.
Auch diese Erinnerung tauchte wieder in ihm auf, aber das Bittere daran war verschwunden in der Hochfluth seliger Hoffnungen, die jetzt durch sein Herz stürmten. Er nickte dem Portier, der ihn verwundert ansah, fast gönnerhaft zu und erstieg noch ganz so im Fluge wie sonst die teppichbelegte Treppe, mußte aber auf dem ersten Absatz ausruhen, um Athem zu schöpfen. Da brach er von einem mächtigen Oleanderbaume, der unter andern Tropengewächsen den Flur schmückte, eine Blüthe ab und steckte sie als Vorzeichen des Sieges in’s Knopfloch. Dabei kam ihm der Ring mit dem Smaragd, den er am kleinen Finger trug, vor die Augen. Er hatte ihn heute erst angesteckt und dachte ihn nicht lange zu tragen. Nun drehte er ihn am Finger herum, als könne er einen dienstbaren Genius damit heranbeschwören, zog aber, als nichts Wunderbares geschah, einen kleinen Kamm aus der Tasche,
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_289.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)