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Seite:Die Gartenlaube (1868) 312.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

neunundzwanzig gewesen; auf der Rhede von Plymouth zählte man ihrer jetzt nur noch neun! Wo waren die Anderen? Gefallen in hundert und aber hundert Gefechten und Schlachten; gestorben in den Lazarethen; ermordet von den empörten spanischen Bauern. Und wir, die deutschen Landsleute der Gemordeten, können den Mördern nicht einmal recht zürnen darum. Vertheidigte das empörte Volk doch nur seine Nationalität, seine Freiheit, sein Vaterland. Wir können höchstens dem Schicksale grollen, das unsere Söhne in den blutigen Dienst des corsischen Eroberers dahingab und unsere verblendeten, des eigenen Vaterlandes vergessenen Fürsten eine Ehre darin erkennen ließ, das Blut der Völker zu verspritzen für ihn, zur Unterjochung Europas.

Fünf Jahre und zwei Monate hatte der Dienst in Spanien gedauert; die pyrenäische Halbinsel war wiederholt erobert und verloren worden, da war endlich die Nachricht von der großen Völkerschlacht bei Leipzig bis hin an das biscayische Meer gedrungen. Auch der Oberst von Kruse hatte heimliche Kunde davon, aber er hatte von seinem Herzog auch gleich den bedenklichen Befehl erhalten, sobald ihm in einem gleichgültigen Geschäftsbriefe ein gewisses ganz unschuldig klingendes Stichwort werde gegeben werden, ohne Verzug überzugehen zu den Engländern. Das Stichwort kam und trotz aller Aufmerksamkeit der Franzosen, welche nun schon Verdacht geschöpft hatten, war es dem Obersten am Abende des 10. December 1813 denn auch gelungen, dem Befehle zu entsprechen. Der Uebergang erfolgte in der Nähe von Bayonne, unmittelbar nach einem allgemeinen Angriff auf die Armee der Engländer und ihrer Verbündeten. Alles Gepäck freilich, die Kriegscasse und einhundertfünfundfünfzig von seinen Leuten, darunter sechs Officiere, hatte der Oberst im französischen Lager zurücklassen müssen. Auf englischen Schiffen war er dann mit seinem Regimente – mit den tapferen Resten dieses Regiments – nach Plymonth gekommen und dort durch das Gouvernement und den Prinzen von Oranien bestimmt worden, sich und die Seinen bis auf Weiteres in Holland verwenden zu lassen, anderweiter Befehle seines Kriegsherrn gewärtig.

Kein Wunder, wenn nach einer solchen Vergangenheit unsere Sechshundertundfünfzig in dem Augenblicke, in welchem sie sich anschickten, aufs’s Neue die Schiffe zu besteigen, nicht sehr parademäßig aussahen. Die Farbe ihrer Uniformen war in den ununterbrochenen Bivouacs schon in Spanien sehr zweifelhaft geworden. Englische Säbelhiebe hatten die rothen Fangschnüre der stämmigen Carabiniers arg zerfetzt. Von den grünen Federbüschen der Voltigeurs waren – Dank den spanischen Kugeln, die allmählich bestens zu treffen gelernt hatten – nur noch dürftige Spuren zu entdecken, und die schwarzen Büsche der Centrecompagnien sahen nicht besser aus. Aber alles das verunstaltete nicht, denn die ganze Erscheinung der kleinen Truppe zeigte bei alledem noch das unverkennbare Gepräge jenes kriegerischen Muthes, der als eine der höchsten Tugenden des Mannes gilt. Aus den hageren, wettergebräunten Gesichtern sprachen eiserne Festigkeit und unverdrossene Todesverachtung, und mehr als bunter Uniformsflitter zierten die Narben, diese beredten Offenbarungen der zahllosen Kämpfe, in welchen diese Männer ihr Leben eingesetzt hatten – leider nur zum Ruhme des neuen Cäsar Augustus, nur im Interesse des großen Zwingherrn, der so lange für unbesiegbar galt.

Die Flotte, welche unsere Nassauer, die ungünstige Winde vier Wochen lang im Hafen von Plymouth zurückgehalten hatten, durch den Canal und die Straße von Dover nach der Küste von Holland bringen sollte, bestand aus sechs oder sieben kleinen Transportschiffen. Am 4. Februar 1814 ankerte dieselbe „in den Dünen bei Deal“. Am folgenden Tage, als der günstige Wind ständig zu werden versprach, ging sie nach Holland in Segel. Aber trotz aller guten Vorbedeutungen, – schon dieser erste Tag brachte schweres Ungemach. Ganz unerwartet erhob sich ein Sturm mit starkem Schneegestöber. Der helle Februartag wurde plötzlich in dunkle Nacht verwandelt. Es wurde den einzelnen Schiffen unter diesen Umständen sehr bald unmöglich, gleichen Cours zu halten; auch waren sie gar bald nicht mehr im Stande, einander zu sehen. Die Folge davon war, daß sie sich sehr schnell nach verschiedenen Richtungen hin verloren. Vier von ihnen kehrten deshalb am späten Abende zurück auf den Ankerplatz, den sie früh Morgens verlassen hatten. Das eine dieser in die Dünen zurückgekehrten Schiffe war das Schiff des Hauptmanns Müller. Die Truppencommandanten der drei anderen Schiffe waren der Oberstlieutenant Gödecke und die Hauptleute Berninger und Büsgen.

Am Morgen des 7. Februar tobte noch immer der Sturm. Aengstlicher noch als zuvor fragten sich jetzt die in die Dünen Zurückgekehrten: Was wird aus unseren Cameraden geworden sein? Die hochgehenden Wogen des Meeres aber gaben keine Antwort. Gegen zehn Uhr Morgens hatte sich der Sturm gelegt. Man wartete trotzdem noch einige Stunden auf die Verschlagenen. Keine Spur von ihnen war zu entdecken. Endlich im Laufe des Nachmittags beschloß der Bevollmächtigte der englischen Staatsregierung, welcher sich auf dem Schiffe des Hauptmanns Büsgen befand, mit dem Reste seiner Flotte auf’s Neue unter Segel zu gehen. Es wurde das Signal gegeben zum Lichten der Anker. Die Fahrt ging indeß nur bis um die Mittagszeit des folgenden Tags gut von Statten. Der Sturm hatte sich um diese Zeit von Neuem erhoben, Land aber war noch nicht zu entdecken. Der englische Bevollmächtigte vermuthete trotzdem dessen Nähe. Er fürchtete, an die Küste getrieben zu werden, und ließ darum mittels eines Kanonenschusses die übrigen Schiffe zunächst avertiren, dann gab er das Signal zum Umwenden in die hohe See. Das Signal wurde aber nur auf dem Schiffe des Oberstlieutenants Gödecke bemerkt und darum auch nur von diesem einen Fahrzeuge befolgt. So zerstreute sich nun auch der Rest der Flotte, der bis dahin zusammengehalten hatte: Gödecke und Büsgen gingen mit ihren Leuten wieder seewärts; die Schiffe aber, auf denen sich Berninger und Müller befanden, setzten, vom Sturme getrieben, den Cours nach der holländischen Küste fort. Wir verlassen sie einstweilen, um zunächst den beiden anderen zu folgen.

Auch diese beiden Schiffe, dieselben also, auf welchen sich der Bevollmächtigte Englands und die Truppencommandanten Gödecke und Büsgen befanden, nahmen am Morgen des folgenden Tags – am 9. Februar – wieder die Richtung nach Holland. Sie segelten auf der hohen See abermals landwärts und entdeckten jetzt auch gar bald die ersehnte Küste. Eine holländische Fischerbarke gewahrend, die nach England bestimmt war, zwangen sie den Patron derselben, sich trotz all’ seinen Protesten auf das Schiff des Hauptmanns Büsgen zu begeben, um da als Lootse zu dienen. Gezwungener Dienst ist aber in der Regel nur schlechter Dienst, und unsere beiden Schiffe sollten das nur zu bald zu ihrem Schaden gewahr werden. Auf der Höhe der Insel Goree gerieth das Fahrzeug Büsgen’s plötzlich auf Grund. Dabei wurde die Brandung, die ringsumher tobte, immer heftiger und schleuderte das Schiff wiederholt mit gewaltiger Wucht immer weiter hinein in die Sandbank. Das Gebälke des Schiffes krachte. Das Steuerruder wurde aus den Angeln gerissen; durch ein großes Leck brauste alsbald die salzige Fluth herein. Man verlor indeß auf dem Schiffe glücklicher Weise den Kopf nicht. Der Capitän gab die geeigneten Befehle und alle Hände gingen rasch an die Ausführung. So gelang es denn auch, das Schiff wieder flott zu machen.

Dem Fahrzeuge des Oberstlieutenants Gödecke, welches sich ganz in der Nähe gehalten hatte, war es leider nicht viel besser ergangen. Auch dies Schifflein wurde wie eine leichte Nußschale von der Brandung erfaßt und wiederholt auf die Sandbank gestoßen. Natürlich wurde es hierdurch ebenfalls leck, doch gelang es auch ihm, sich wieder flott zu machen. Während dann die Mannschaften beider Schiffe ununterbrochen an den Pumpen arbeiteten, ging man abermals zurück in die hohe See, um kreuzend den nächsten Tag zu erwarten. Der Morgen kam, aber er brachte so undurchdringlichen Nebel, daß es unmöglich war, einen neuen Versuch zum Landen zu machen. Auch die hohe See halten zu wollen, wäre bei der schweren Haverei der Schiffe und bei der ununterbrochenen Fortdauer des Sturmes nicht minder bedenklich gewesen, und so erfolgte denn jetzt ein neuer Befehl des englischen Bevollmächtigten, der den Schiffen abermals den Cours nach rückwärts gab. Sie segelten jetzt nach der Küste Englands und waren auch bald so glücklich, Harwich zu erreichen, wo die Schäden ausgebessert werden konnten. Erst gegen Ende des Monats März war das Schiff des Hauptmanns Büsgen im Stande, auf’s Neue in See zu gehen. Auch war es dann so glücklich, seine Mannschaft nach kurzer Fahrt auf der Rhede von Helvoetfluys wieder an’s Land zu setzen. Schon einige Wochen früher war ebendaselbst Oberstlieutenant Gödecke gelandet, dessen Schiff weniger schwer beschädigt gewesen war und darum auch schneller wieder seetüchtig hatte gemacht werden können.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_312.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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