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Seite:Die Gartenlaube (1868) 313.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

War nach alledem die Fahrt dieser beiden Schiffe keine sehr erfreuliche gewesen, so war sie doch im Vergleich mit den Schicksalen der beiden anderen, die wir seit dem späten Nachmittage des 8. Februar aus den Augen gelassen haben, eine beneidenswerth glückliche.

Wir berichteten schon[1]: jene beiden anderen Schiffe – die der Hauptleute Berninger und Müller – hatten an jenem stürmischen Abende, theils wegen zu großer Entfernung, theils wegen des allzu lauten Getöses der wild erregten Wogen, die ihnen schon viel zu schaffen machten, den Kanonenschuß, den der englische Regierungsbevollmächtigte hatte abfeuern lassen, völlig überhört und dann auch das Signal nicht bemerken können, welches auch für sie eine Aufforderung sein sollte zur Rückkehr in die hohe See. Sie ließen sich vom Sturme weiter treiben, und dabei wurde es dunkler und immer dunkler. Doch allmählich schien sich die Wuth der empörten Elemente besänftigen zu wollen. Der Wind zerrte zwar noch immer ziemlich heftig an den Segeln und die Wellen gingen noch drohend hoch, der Capitän aber, dem das Schiff des Hauptmanns Müller anvertraut war, hielt trotzdem alles Ungemach für überstanden. Er überließ die Leitung des Schiffs dem Steuermann, und als die Nacht nur noch tiefer und der Wind, der in die Segel blies, noch ein wenig ruhiger geworden war, hielt es auch der Steuermann für gerathen, dem Beispiele seines Vorgesetzten unbekümmert zu folgen. Die Leitung des Schiffes lag jetzt nur noch in den Händen der Matrosen und in der tückischen Laune des Sturms, der sich gar bald auf’s Neue erheben sollte.

Noch bis zwei Uhr Morgens tanzte das Schifflein lustig auf der schäumenden Fluth. Die gewaltigen Wogen des ewigen Meeres schienen nur noch ihr leichtes Spiel mit ihm zu treiben. Es lag so still und sorglos auf den Wogen, wie ein träumendes Kind in der Wiege, ohne zu fühlen, wie es schaukelnd gehoben und gesenkt wurde. Da mit einem Male krachte das Schiff in allen seinen Fugen. Die Schläfer springen aus ihren Lagerstätten, aber ehe sie noch recht zur Besinnung kommen, folgt schon wieder Stoß auf Stoß, einer immer heftiger als der andere. Das Schiff ist, ohne daß irgend wer weiß, wo es sich befindet, aufgefahren auf der Haaksbank, und schon hört man auch jetzt das Wasser rauschen, das durch ein gewaltiges Leck hereinzuströmen begonnen hatte.

Die Matrosen, die Officiere und Soldaten eilen bestürzt auf Deck. Wer beim Schlafengehen die Kleider abgelegt hatte, nimmt sich nicht einmal Zeit, sich erst wieder anzukleiden. Niemand hatte noch eine rechte Vorstellung von der Gefahr, in welcher jetzt das Schifflein schwebte, Aller aber hatte sich doch urplötzlich ein Gefühl bemächtigt, als sei das letzte Stündlein bereits sehr nahe gekommen.

Der Mond ging auf und beleuchtete rings umher die wild brandende Fluth. Das Meer bot nur noch einen grausigen Anblick des Verderbens dar. In einiger Entfernung sah man jetzt auch wieder das andere Schiff, das des Hauptmanns Berninger. Das Takelwerk war nur noch eine verwirrte Masse. Die Segel flatterten wie zerrissen um die Mastbäume. Dennoch verlangten die Truppen des Hauptmanns Müller ohne Verzug hinübergebracht zu werden auf das andere Schiff. Ein zweiter Blick aber auf dieses genügte schon, um Allen die Gewißheit zu geben, daß auch dort Tod und Verderben kaum noch vermeidlich seien.

Man ließ jetzt auf dem Schiffe des Hauptmann Müller die Pumpen arbeiten, man warf alles entbehrliche Geräthe über Bord, doch die Lage wurde trotzdem nicht besser. Man berathschlagte, aber leider ziemlich chaotisch, was zur Rettung der Mannschaft vielleicht noch zu thun sei; man machte Plan auf Plan, schließlich wurde indessen wieder Alles verworfen. Jeder Windstoß brachte ohnehin immer neue Arbeit, und über diesen kleineren Aufgaben, die sich in immer veränderter Gestalt herandrängten, vergaß man die Lösung der großen: zu retten, was noch zu retten sei.

Die Stunden dieser schauerlichen Nacht verstrichen qualvoll, peinlich. Sie schienen nur noch dem Tode langsam näher zu rücken. Endlich wurde es Tag, der erste nach dem schweren Aufstoßen des Schiffes auf die Sandbank, und man lugte wieder hinüber nach dem Schiffe des Hauptmanns Berninger. Aber man sah dort nur noch zerbrochene Balken als eine wirre Trümmermasse auf den Wogen treiben. Hie und da zeigte die tückische Welle wohl auch dem suchenden Auge die Leiche eines Cameraden, mit der sie Fangeball spielte, um sie dann hohnlachend mit hinabzunehmen in die endlose Tiefe, den „Hyänen des Meeres[WS 1]“ zur leckeren Beute.

Als es noch heller geworden war, zeigte sich jetzt aber doch auch ein freundlicher Hoffnungsblick. Man sah in nicht allzu weiter Ferne die Mastspitzen einer zahlreichen Flotte und konnte wieder an die Möglichkeit der Rettung glauben.

Der Capitän, hierdurch ermuthigt, entschloß sich zu einem letzten Versuch, das Schiff wieder flott zu machen. Er befahl, den Hintermast zu kappen, der bald krachend über Bord stürzte. Allein bei dieser und anderen Vorkehrungen war es leider nicht einem von den Seeleuten in den Sinn gekommen, die Segel einreffen zu lassen, wie es der fortdauernde Sturm unerläßlich gemacht hätte. Der Wind, der sich jetzt wieder stärker erhob, erfaßte das Schifflein, um es wie einen Keil stoßweise immer tiefer in die Sandbank zu treiben. Wieder krachte das Fahrzeug in allen seinen Fugen, aber trotzdem hielt es zusammen.

Das Leck war dabei immer weiter geworden. Alle inneren Räume des Schiffes füllten sich über und über mit Wasser, und trotz der tröstenden Nähe der Flotte, die man gesehen hatte, wuchs jetzt wieder die Todesgefahr mit jeder Minute.

Der Capitän ließ ein Fäßchen Rum herbeischaffen. Die Matrosen und wer sonst noch Lust hatte, sollten sich wohl Muth zum Sterben trinken. Hauptmann Müller und seine Officiere aber befürchteten hiervon nur größere Unordnungen, und obgleich sie jetzt kaum noch recht an die Möglichkeit der Rettung zu glauben wagten, so ließen sie das Fäßchen doch zum großen Verdruß des Capitäns durch ihre Soldaten zerschlagen. Einer der Matrosen war dabei so glücklich, sich ein gutes Theilchen des zischend emporsprudelnden Rums in der Mütze aufzufangen. „Meerweibchen, Prost!“ rief er mit lautem Lachen und schlürfte den Trank bis zum letzten Tropfen. Singend und tanzend lief er dann auf der schmalen Galerie hin, die das Verdeck umgab. Als er ungefähr zehn Schritte weit gekommen war, glitt er aus, taumelte und stürzte. Er verschwand im Meere, aber Niemand dachte daran, den unglücklichen Frevler zu retten, denn schon wieder hatte ein gewaltiger Windstoß das Schifflein erfaßt, um es wo möglich noch tiefer in die Sandbank hinein zu keilen.

„Der Matrose wird der Quartiermacher sein sollen, der uns anmeldet bei den vorausgegangenen Cameraden,“ sagte der Hauptmann Müller zu dem graubärtigen Feldwebel, der in seiner Nähe stand. Der Alte nickte. Beide blickten dann schweigend nach der Gegend hin, wo man am Morgen die Spitzen der Mastbäume gesehen hatte.

Der Capitän hatte, als sich der Himmel wieder dichter mit Wolken verhüllte, auf die Fluth vertröstet, die das schon sehr arg zugerichtete Schifflein doch wohl wieder heben werde. Die Fluth kam, und es wurde jetzt noch einmal mir allen Pumpen riesig gearbeitet. Bald aber überzeugte man sich, daß das eindringende Wasser nicht mehr zu bewältigen sei. Hätte das Schiff nicht wie mit Felsen eingemauert fest in der Sandbank gesessen, so wäre es ohne Zweifel schon jetzt gesunken. Unter diesen Umständen konnte es natürlicher Weise auch durch die Fluth nicht mehr gehoben werden. Mit dem stärkeren Anschwellen der Wogen aber wurde die Lage der Gestrandeten nur immer entsetzlicher. Haushoch kamen die aufgewühlten Wassermassen heran, um über das Verdeck hinzustürzen und um das Verderben der Unglücklichen zu beschleunigen.

Auch über den graubärtigen Feldwebel, dessen zu gedenken wir schon Gelegenheit hatten, war eben die Fluth hingegangen.

Mühsam hatte er ihr Stand gehalten, indem er sich fest an der Galerie hielt. Er schüttelte sich dann wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt, und sagte mürrisch zu dem Sergeanten, der an seiner Seite stand: „Hole der Teufel die Wetter! Lieber doch gleich noch einmal mutterseelenallein unter allen Kartätschen, Granaten und Gewehrkugeln der verdammten Spanier bis zur Brücke von Almaraz reeognosciren gehen, als sich hier so wegfegen lassen zu müssen, ohne sich auch nur wehren zu können.“

„Oder mit dem Regimente Holland noch einmal Mesa de Ibor stürmen,“ entgegnete ihm Andreas Kranz aus Geisenheim, „auch wenn uns jetzt gleich zwanzigtausend Spanier gegenüber ständen, anstatt der nur siebentausend von anno Neun.“

Und wieder brauste jetzt eine gewaltige Woge daher, den Einen mit sich fort in’s Meer reißend, den Andern wider die

  1. Wir entnehmen im Wesentlichen alle Thatsachen dem, vor siebenundzwanzig Jahren erschienenen Werke von Hergenhahn, „Antheil der herzogl. nassauischen Truppen im spanischen Kriege von 1808–1814“, dessen sehr in’s Einzelne eingehende Berichte unserer Schilderung zu Grunde liegen.
    Der Verfasser.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Meerres
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_313.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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