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Seite:Die Gartenlaube (1868) 319.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„So führe ihn herein!“ befahl die zitternde Hortense, ein neues Unglück befürchtend.

„Ihre Hoheit werden verzeihen,“ sagte der eingetretene Officier, „wenn ich störe. Aber ich habe den Befehl erhalten, den Prinzen Louis aufzufordern, mir auf der Stelle, angesichts meiner Ordre, zu folgen.“

„Mein Sohn verhaftet, gefangen!“ rief die erschrockene Mutter. „Was hat er verbrochen?“

„Darüber kann ich Ihrer Hoheit keine Auskunft geben. Es handelt sich auch nicht um eine Verhaftung, sondern nur um eine Ausweisung des Prinzen aus dem Kirchenstaate. Mein Befehl lautet, ihn ohne Aufenthalt bis zur toscanischen Grenze zu geleiten.“

„Sie geben mir das Leben wieder. Doch Sie gestatten, daß ich meinen Sohn vorbereite und von ihm Abschied nehme,“ erwiderte Hortense, einigermaßen beruhigt.

Schon nach wenigen Augenblicken erschien der Prinz in Begleitung seiner Mutter, äußerlich ruhig und bereit, dem Officier ohne Widerstreben zu folgen, obgleich innerlich empört über diese willkürliche Maßregel der päpstlichen Regierung, die er lediglich seinem gefürchteten Namen und der dreifarbigen Schabracke seines Pferdes zu verdanken hatte.

Hortense selbst war mit diesem Ausgang keineswegs unzufrieden, da sie den Prinzen lieber in Florenz in der Nähe seines Vaters und Bruders wußte, als in der Gesellschaft der römischen Verschwörer. Gern wäre sie sogleich mit ihm gegangen, aber da sie von ihrem Gatten geschieden war und die leidende Lätitia, für die sie die höchste Verehrung fühlte, in ihrer Krankheit nicht verlassen wollte, sah sie sich gezwungen, auf ihren Wunsch zu verzichten.

Ohne fernere Abenteuer gelangte Louis nach Florenz, wo er vorläufig in dem Palast seines Vaters einige Zeit verweilte. Der frühere König von Holland lebte in dem düstern Hause in strengster Zurückgezogenheit, getrennt von seiner übrigen Familie, deren politischen Ehrgeiz er keineswegs theilte, weshalb er auch mit seinem jüngeren Sohn wenig oder gar nicht stimmte, der dafür der Liebling seiner Mutter Hortense war.

Um so herzlicher wurde Louis von seinem älteren Bruder begrüßt, während die Prinzessin Charlotte von Neuem seinen gefährlichen Einfluß fürchtete, indem sie unbewußt eifersüchtig auf seinen dämonischen Zauber war und ihn mit mißtrauischen Blicken fortwährend beobachtete.

Tief verletzt durch die neue Willkür der päpstlichen Regierung und den ihm zugefügten Schimpf, brütete er im Stillen über seine Rache, zu der ihm noch früher, als er erwartete, die Gelegenheit geboten wurde.

Während in Florenz die größte Ruhe herrschte, war der Aufstand in der Romagna und in Modena ausgebrochen. Hier hatte der kühne Menotti die Fahne des Aufruhrs erhoben und trotzdem er verwundet in die Hände seines grausamen Feindes fiel, den feigen, elenden Herzog Franz gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Gleichzeitig traf die Nachricht ein, daß auch Bologna sich im vollen Aufstand befand, den päpstlichen Legaten verjagt und eine neue provisorische Regierung eingesetzt hatte.

„Sieg, Sieg!“ jubelte Louis seinem älteren Bruder entgegen. „Wir dürfen nicht länger zögern, wenn wir nicht Alles verlieren, unsere Ehre, unsern Namen einbüßen wollen. Der Tag der Rache, der große Augenblick ist gekommen, wo wir uns an die Spitze der Bewegung stellen müssen. Von Neuem leuchtet der Stern Napoleon’s seinen Erben.“

„Vielleicht nur ein Irrlicht!“ mahnte düster der besorgte Prinz.

„Wie! Du zögerst vor der großen Entscheidung? Muth, Muth, Napoleon! Nur wer da wagt, gewinnt! Italien hat sich erhoben, bald folgt ihm Frankreich nach, von der Gewalt der Ereignisse fortgerissen. Der Thron des elenden Bürgerkönigs stürzt zusammen und auf seinen Trümmern bauen wir ein neues Reich. Jetzt oder nie! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich habe Alles im Stillen vorbereitet, unsere Pferde stehen gesattelt. Ein kühner Ritt trägt uns in das Lager der Revolution, die wir nur als Mittel zum Zwecke nützen. Entschließe Dich, oder ich gehe allein!“

„Laß mich wenigstens mit Charlotte sprechen!“

„Wo denkst Du hin? Ein unbedachtes Wort von ihr, und wir sind verrathen. Unser Vater würde uns mit Gewalt festhalten, im Nothfall uns selbst der toscanischen Regierung ausliefern.“

„So will ich schriftlich von ihr Abschied nehmen!“

„Damit man uns nachsetzt, unsere Spur verfolgt! Fort mit dieser Schwäche! Wo es sich um Kronen handelt, dürfen wir uns nicht von Weiberthränen rühren lassen.“

„Sie wird mir nie vergeben!“

„Wenn Du ihr ein königliches Diadem in die Haare flichtst, wird sie Dir verzeihen und lächeln. Um diesen Preis ist jedes Weib zu kaufen.“

So drängte und trieb er den schwankenden Bruder, der ihm widerstandslos folgte, der geistigen Ueberlegenheit, der dämonischen Gewalt sich unwillkürlich beugend.

Wenige Minuten später sprengten zwei Reiter in wildem Galopp durch das Thor von Florenz, welches nach Bologna führte, wo sie mit offenen Armen von dem ihnen entgegenjubelnden Volke empfangen wurden.

Von banger Ahnung ergriffen, wartete die Prinzessin Charlotte von Stunde zu Stunde vergeblich auf die Rückkehr ihres Gatten, der nach der Aussage des Bedienten mit seinem jüngeren Bruder einen Ritt in’s Freie unternommen. Angsterfüllt eilte sie zu dem Vater, um bei ihm Trost und Beruhigung zu suchen. Erst gegen Morgen kehrten die von ihr ausgesandten Boten mit der unterwegs erfahrenen Nachricht zurück, daß die Flüchtlinge sich der Revolution angeschlossen.

„Das hat Louis gethan!“ grollte der Vater.

„Und Napoleon hat mich so verlassen können!“ schrie die Unglückliche, in höchstem Schmerz zusammenbrechend. „Ich werde ihn niemals wiedersehen!“




6.

Während in Modena und in der Romagna die Revolution vorläufig siegte, überließ sich das Volk in Rom der heiteren Lust des Carnevals und der Freude über die Wahl eines neuen Papstes. Aus den Fenstern, von den Balconen hingen bunte Teppiche, gleichsam die Decorationen des beginnenden Schauspiels. Bis zu dem höchsten Stockwerk hinauf saßen Kopf an Kopf gedrängt Männer, Frauen und Kinder im besten Staat, das Publicum dieser einzigen Festvorstellung.

Die Piazza del Popolo mit den benachbarten Straßen bildete den riesigen Festsaal, dessen Wände die zum Himmel aufsteigenden geschmückten Paläste zu beiden Seiten abgaben, durchfluthet und durchbraust von der unzählbaren Menschenmenge in den verschiedensten Trachten und Verkleidungen.

Hier sah man einen gewandten Arlechin, dort den täppischen Polichinell, Doctoren mit mächtigen Spritzen bewaffnet, Advocaten mit langen Allongenperücken, welche jedem Vorübergehenden mit einem Proceß drohen, gehörnte Teufelmasken, Charlatane in rothen Tressenröcken, die ungeheure Flaschen zeigen und ihre Wunderelixire anpreisen, Mohren, Türken, wilde Indianer, der unvermeidliche Engländer mit rothen Haaren und schief im Nacken sitzenden Hut. Das Alles schwirrt, schwärmt, tobt, lacht, jauchzt in übermüthiger Ausgelassenheit.

Von den Balconen, auf denen die schönsten Frauengestalten saßen, aus den Fenstern fiel ein Regen von Confetti, Blumen, Zuckerwerk, ein Hagel von Kreidekugeln auf die vorüberströmenden Masken, welche die Neckerei mit einem ähnlichen Bombardement erwiderten. Dazwischen drängten sich männliche und weibliche Confetti-Verkäufer und Blumenhändler mit dem grellen Ruf: „Ecco fiori, ecco fiori!“

Aber trotz der allgemeinen Fröhlichkeit und der ausgelassenen Lust schwebte über dem römischen Carneval des Jahres 1831 eine eigenthümlich drückende Schwüle; mitten in dem bunten Getümmel erblickten die Eingeweihten oder die schärferen Beobachter das Gespenst der Revolution. Unter der Larve funkelte ihr blitzendes Auge, unter den Blumen barg sie ihre Waffen, unter der bunten Harlequinsjacke ihre verwegenen Anschläge.

Aus dem wogenden, lachenden, schreienden Menschenstrom tauchten allerlei verdächtige Gestalten auf, jüngere und ältere Männer mit besonderen Abzeichen versehen, die sich heimlich die Hände in eigenthümlicher Weise drückten, mit einander flüsterten und sich das Losungswort zuraunten, wenn sie sich unbeachtet glaubten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_319.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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