verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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No. 21. | 1868. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Als Gabriel unter die Hausthür trat und in die enge Gasse
hinaussah, über der der prachtvollste Mondhimmel funkelte, erleichterte
sich sofort sein eingeschnürtes Herz unter dem Hauch der
reinen Herbstlüfte, die er, wie ein Verdurstender ein Glas Wasser,
begierig einsog. Jetzt hinauswandern, immer dem Monde nach,
immer in der silbernen Dämmerung über Länder und Meere, nie
zurücksehen, nie unter Menschen kommen, die ein Tagewerk treiben
– wenn das möglich wäre! Aber im Grunde, was käme dabei
heraus? Ist nicht dummer Weise die Erde rund, und fände man
sich nicht endlich wieder am alten Fleck, nicht klüger, nicht froher,
als man ausgegangen? Nein, hier bleiben, hier gute Miene
zum bösen Spiel machen, und endlich, mit Geduld und Trotz, alle
Schicksalstücke unter die Füße zwingen, daß man Jedem in’s Gesicht
sehen und sich seines Lebens freuen kann!
Eben bog ein nachtschwärmendes Paar um die Ecke, ein Soldat mit seinem Mädchen, beide zwar an der mondhellen Seite, aber die Gesichter so dicht einander zugekehrt und so in ihr Geplauder vertieft, daß sie sich wie zwei Blinde langsam mit den Füßen weitertasteten. Sie kamen an Gabriel vorbei, ohne ihn gewahr zu werden. Er aber sah deutlich, daß es nur ein häßliches Schätzchen war, was der schmucke Bursche sich ausgesucht hatte, mit langen Armen, breiten Füßen und schmächtigen Schultern. Aber er hielt sie darum nicht minder sorgsam und angelegentlich umfaßt, und wie sie so mit überm Nacken verschlungenen Armen in einander vertieft dahingingen, überkam den Zuschauer doch etwas wie Neid. Der Bursche da, sagte er bei sich selbst, wird wenigstens nicht nöthig haben, dermaleinst Abend für Abend in ein ödes Quartier heimzukehren und mit dem Geschnurr des Katers am Ofen vorlieb zu nehmen. Er hat zugegriffen, zur rechten Zeit; hernach merkt er vielleicht, daß er sich vergriffen hat; je nun, darauf hin muß es ein Jeder wagen. Aber das schlimmste Loos zu Zweien ist doch erträglicher, als Niemand anzugehören und mitten unter den wimmelnden Menschenpaaren nur mit seinem unfruchtbaren Ich verheirathet zu sein!
Er war eben bei diesem etwas gewagten Satze angelangt und wandte sich mit einem tiefen Seufzer in den dunklen Hausflur zurück, um sein schweres Haupt und sein noch schwereres Herz zu Bette zu tragen, als ein artiges Bild, das eben wie für ihn hingemalt aus dem schwarzen Rahmen der hintern Thür hervorglänzte, seine müden Sinne plötzlich ermunterte. Die Thür nämlich am andern Ende des Hausganges öffnete sich in den Hof. Da stand mitten im Mondschein am fließenden Brunnen ein Mädchen, das er zwar nur vom Rücken sah, aber sogleich für die Traud erkannte. Sie hatte die Aermel bis an die Schultern zurückgestreift, neigte sich über den steineren Trog und wusch sich mit sichtlichem Behagen die nackten Arme, die sie dann, wie ein badender Vogel seine Flügel, hoch in der Luft schüttelte, daß die Tropfen im Monde blitzend um sie herumsprühten. Als sie das eine Weile so getrieben hatte, bückte sie ihr Gesicht unter den Wasserstrahl und ließ sich über und über berieseln, fuhr dabei mit den Händen über Stirn und Hals und achtete es nicht, daß ihre Zöpfe losgingen und zur guten Hälfte in’s Wasser hinabtauchten. Endlich richtete sie sich wieder auf und schwenkte und schüttelte nun auch den Kopf, wie vorher die Arme, und hielt dabei die fest zugedrückten Augen gegen den Mond, als wollte sie sich von seinen Strahlen abtrocknen lassen. Aber plötzlich riß sie sie weit auf und sah sich erschrocken um. Ein Arm hatte sich zutraulich um ihren schlanken Leib gelegt, eine Stimme ihren Namen genannt.
„Sie sind es?“ rief sie erschrocken. „Was nehmen Sie sich heraus? Den Augenblick lassen Sie mich los, oder ich bespritze Sie so, daß kein trockner Faden an Ihnen bleibt!“
„Sei still, Kind,“ sagte er, indem er ihre Hände zu fassen suchte. „Ich habe mit Dir zu reden.“
Sie aber wand sich wie ein Fisch aus seinem Arm, trat ein paar Schritte vom Brunnen weg und sagte mit zornig blitzenden Augen, während sie ihr nasses Gesicht mit dem Schürzchen abwischte: „Ist das auch Manier, Herr, einem nachzuschleichen und heimtückisch zu überfallen, wenn man an nicht Arges denkt? Ich seh’ wohl, Sie haben es darauf abgeseh’n, mir allen Tort anzuthun, und ich hab’s Ihnen vorhin noch nicht deutlich genug gesagt, daß ich so nicht mit mir spaßen lass’. Schämen Sie sich! Sie sind ’s gar nicht werth, daß ich freundlich zu Ihnen war, Sie haben gleich schlimme Gedanken, und ich will gar nichts mehr mit Ihnen zu schaffen haben. Haben Sie mich verstanden?“
Dabei schlang sie sich so heftig die losgegangenen Flechten wieder um den Kopf, daß das herumsprühende Wasser ihn in’s Gesicht traf. Aber er ließ sich nicht einschüchtern, sondern trat ihr näher und sagte mit seinem ernsthaftesten Ton:
„Traud, Du thust mir Unrecht, jetzt und schon vorhin. Ich mein’ es sehr gut mit Dir und bin nur gekommen, Dir eine bessere Meinung von mir beizubringen. Wir Zwei kennen uns noch nicht lange, aber man braucht keinen Scheffel Salz mit einander zu essen, um zu wissen, ob man einander vertrauen kann; dafür hat man ein Gefühl in sich, das klüger ist, als alle Erfahrung
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_321.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)