verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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und wenn Dir das Deine anfangs gesagt hat, daß ich ein rechtschaffener Mensch sei, so hat es Dich, weiß Gott! nicht betrogen. Ich sage Dir, Kind, Menschen, die man von Jugend auf zu kennen gemeint hat und lieb und theuer gehalten hat, die können einen plötzlich so fremd ansehen, daß es einem eiskalt übers Herz läuft.“
„Ja wohl,“ unterbrach sie ihn plötzlich und sah ebenfalls sehr ernsthaft vor sich nieder, „das kenn’ ich, das hab’ ich auch schon erlebt.“
„Nun siehst Du,“ fuhr er eifrig fort und bemächtigte sich ihrer kühlen feuchten Händlein, die sie ihm jetzt unbedenklich überließ; „also was soll der Mensch thun, dem so was begegnet ist? Wenn er irgendwo einen andern Menschen findet, zu dem er plötzlich so ein recht volles, herzhaftes Zutrauen faßt, daß er ihn nie betrügen werde, soll er den nicht festhalten mit beiden Händen und fragen, ob er nicht bei ihm bleiben und Freud’ und Leid mit ihm theilen wolle?“
Sie sah ihm mit einem großen, staunenden Blick gerade in’s Gesicht. „Mein Gott,“ sagte sie, „ist das nun wieder Spaß, oder spricht der Wein aus Ihnen?“
„Keins von beiden, Kind, sondern mein guter, ehrlicher Ernst. Ich weiß, daß Du ein braves und getreues Herz hast und daß Du jeden Mann glücklich machen wirst, den Du recht lieb hast, und ich, wenn ich mich auch nicht rühmen will, ich weiß auch von mir, daß Eine, die es mit mir wagen wollte, es nicht zu bereuen hätte, und wenn es mir schon einmal quer gegangen ist, ich denk’, ich verdiene es wohl, daß es mir nun desto besser gehe, und werden nicht auch Ehen im Himmel geschlossen? Also, dächt’ ich, wir sollten uns ein Herz fassen und, ohne uns lange zu besinnen, einander die Hand geben, um sie nie wieder loszulassen.“
Während er so sprach, verrieth keine Miene ihres Gesichts, welchen Eindruck seine Worte auf ihn machten. Sie stand mit herabhängenden Armen, die Augen ruhig auf seine Hand mit dem Ringe gesenkt, als erzähle ihr Jemand eine unverständliche Geschichte, die sie aber aus Höflichkeit nicht zu unterbrechen wage. Uebrigens war sie ihm nie so reizend erschienen, als eben jetzt, da ihr Gesicht ganz blaß geworden war, und die breiten Augenlider mit den langen Wimpern ihre runden Wangen beschatteten.
„Ich hätte eine Bitte,“ sagte sie jetzt leise und sah ihn forschend an, ob er es ihr auch nicht übel nähme: „wenn Sie mir den Ring da auf fünf Minuten leihen wollten; es sollte Ihnen nichts daran geschehen.“
„Nimm ihn,“ sagte er. „Er ist Dir ja zugedacht, und ich hab’ es schon vorhin ganz ernstlich gemeint, daß ich ihn nicht mehr am Finger leiden wolle.“
„Nein, nein, nein!“ erwiderte sie rasch. „Es ist nur, um etwas zu probiren.“
Sie nahm das blanke Reifchen behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger und flog damit in’s Haus hinein.
Nach fünf Minuten, die er, am Brunnenrande stehend, wie im Traum verbrachte, kam sie wieder, jetzt langsam und mit einem geheimnißvollen, schüchternen Lächeln.
„Schon geschehen?“ fragte er.
Sie nickte.
„Und Alles in Richtigkeit?“
Die Röthe stieg ihr bis an die Schläfen. „Es ist wohl dummes Zeug,“ sagte sie. „Ich glaub’ selber nur so halb daran. Es heißt, wenn man von einer Person wissen will, ob sie ’s ehrlich mit einem meint, braucht man nur einen Ring von ihr zu nehmen, an ein Fädchen zu binden und in ein leeres Glas zu halten. Wenn er dann von selber zu schwingen anfängt und an’s Glas anklingt, so ist ’s recht und richtig.“
„Und der meine da? Hat er seine Schuldigkeit gethan?“
„Auf dem Fleck, kaum daß ich ihn hineingehängt hatte, und geklingelt, als ob das Glas zerspringen sollt’.“
„Nun siehst Du,“ rief er und ergriff ihre Hand mit dem Ringe, indem er mit aufglühender Freude das Mädchen an sich zog, „so wirst Du’s nun glauben, nicht wahr, und Dich entschließen, mit mir zu gehen und meine kleine Frau zu werden?“
Sie machte sich mit einer scheuen Geberde von ihm los. „Ich bitte gar schön,“ flüsterte sie. „So darf mich kein Mensch anfassen, als mein Bräutigam, und ich kann’s noch immer nicht glauben –“
„Was?“
„Daß wir Zwei zusammentaugen, ein studirter Herr, wie Sie, und ein armes Bauernkind. Seh’n Sie, das ist, wie unsere zwei Ringe neben einander; der meine da hat zehn Batzen gekostet, auf’s Höchste, und Ihnen Ihrer Gott weiß wie viele Gulden! Ich hab’ auch sonst gar nichts Ihnen zuzubringen, als meine gesunden Arme und mein gutes Gewissen. Es könnt’ Sie doch einmal reuen, wenn Ihnen später so ein recht gelehrtes, vornehmes Fräulein begegnete, das auch brav Geld hätt’ und zu schwätzen wüßt’ und Klavier spielen und Alles.“
Sie hatte eine so liebliche Art, das Alles zu sagen, daß er ihr am liebsten statt aller Antwort um den Hals gefallen wäre, um jeden Zweifel an seiner zärtlichen Neigung auf ihren Lippen zu ersticken. Aber er kannte sie nun schon genug, um einzusehen, wie wenig diese Art der Freiwerbung nach ihrem Sinn gewesen wäre.
„Setz’ Dich da einmal her zu mir,“ bat er, und führte sie zu einem Bänkchen, das im Schatten eines alten Baumes stand. – Sie that es und saß nun, die Hände in ihrer Schürze schlicht zusammengelegt, die jugendliche Brust etwas vorgebeugt, in der rührendsten Haltung von Unschuld und Hingebung ihm gegenüber, wie ein Kind, dem ein Märchen erzählt werden soll. Während er sprach, ließ sie kein Auge von ihm, ihr Athem ging ruhig aus und ein, und nur das Zittern ihrer feinen Nasenflügel verrieth dann und wann den Antheil, den sie an seinen Worten nahm. Er erzählte ihr ein gut Stück von seinen Schicksalen, beschrieb ihr das schöne Haus, das die Tante ihm hinterlassen, sein Leben und Treiben auf dem Gut, wie friedlich unbeschrieen sie dort hausen würden, und daß er nichts Anderes sei und sein wolle, als ein Weinbauer, zu dem ein Bauernkind, wenn es nur ein feines Herz und einen geraden Sinn habe, tausendmal besser tauge, als ein Stadtfräulein mit allem Schnickschnack, den man in der Pension lernt. Das Alles redete er so treuherzig an sie hin, daß er jedenfalls sich selbst vollständig überzeugte, er habe nie in seinem Leben etwas Gescheiteres gesagt und gethan als in dieser Stunde.
Als er endlich schwieg, stand sie ruhig auf und sagte: „Das ist Alles recht, und ich glaube Ihnen jedes Wort, aber Heirathen ist kein Kinderspiel, und Sie müssen mir schon erlauben, daß ich mich bedenk’ und Sie auch noch ein Paar Mal seh’ und spreche. Sie kennen mich ja auch erst seit drei Stunden. Es könnt’ doch sein, daß ich ein rechter Drach’ wäre und Sie kämen schlimm mit mir an.“
„Was Dich betrifft,“ sagte er, „so ist das meine Sache, und ich verlang’ nichts weiter von Dir zu wissen, als was meine zwei Augen mir gesagt haben. Wenn Du Dich aber bedenken willst, kann ich Dir ’s nicht wehren. Nur bedenk’ auch, daß ich morgen früh wieder nach Hause gehe, und was bis dahin nicht zu Stande kommt, ist ein für alle Mal aus und vorbei. Ich will Dich nicht weiter drängen. Ich nehm’ ein Zimmer hier im Haus und sag’ Dir gute Nacht. Morgen früh, eh’ ich fortreise, hol’ ich mir den Bescheid. Bist Du’s zufrieden, Schatz?“
Sie besann sich. Ein reizend nachdenkliches Fältchen zwischen Nase und Augenbrauen kam dabei zum Vorschein; er konnte sich nicht enthalten, es mit einem tüchtigen Kusse zu glätten.
„Darf ich der Frau Path’ Alles sagen?“ fragte sie erröthend.
„Nein! Ich will nicht, daß Du thust oder lässest, was ein Fremdes Dir eingiebt. Deinem Herzen sollst Du folgen. Wenn das für mich ist, kannst Du Dich getrost auf das verlassen, was es Dir räth. Ich möcht’ auch nicht,“ fuhr er fort, „daß die Sache beschwatzt und ausposaunt würde, eh’ wir zum Pfarrer gegangen wären. Die Menschen haben keine größere Freude, als Andern ihre zu verderben.“
„Das ist wieder wahr,“ sagte sie. „Nun also, schlafen Sie wohl, Herr ... wie heißen Sie aber?“
„Gabriel heiß’ ich. Ist der Name Dir recht?“
Sie lachte. „Wenn ein Erzengel damit zufrieden ist,“ sagte sie, „kann er einem armen Mädle wohl recht sein. Also gute Nacht, Herr Gabriel. Auf morgen früh!“
Sie reichte ihm herzlich die Hand, sah ihm noch einmal halb liebevoll, halb mit ungläubigem Staunen über das ganze Abenteuer in die Augen und verschwand dann, da man eben im Hause nach ihr rief, hurtiger, als ihm lieb war, von seiner Seite.
Er fühlte jetzt, daß der Tag für ihn zu Ende war. Auch hatte er sich seinen Schlaf wohl verdient nach so anstrengender Arbeit. Zwei Brautwerbungen im Verlauf eines einzigen Abends
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_322.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)