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Seite:Die Gartenlaube (1868) 323.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sind selbst für den Rüstigsten keine Kleinigkeit. Also ließ er sich von dem Wirth ein Zimmer anweisen, warf, sobald er sich allein sah, die Kleider ab und ging zu Bette. Eine Weile lag er noch, mit offenen Augen nach der Decke starrend, wo die Hand eines geistreichen Stubenmalers sich in tollkühnen Arabesken verewigt hatte.

Es that ihm wohl, in dies Gewirr von krausen Schnörkeln und Zackenwerk zu blicken, bei denen sich nicht das Geringste denken ließ; denn so zufriedenen Schrittes er in sein Zimmer hinausgegangen war, so wenig geheuer war ihm doch in der Stille vor seinen eigenen Gedanken. Zuletzt seufzte er tief auf, löschte das Licht und kehrte sich nach der Wand, um zu schlafen.

Aber er mochte sich alle Mühe geben und die weisesten Selbstgespräche über die Nothwendigkeit der irdischen Geschicke vor sich hin phantasiren, es gelang ihm doch nicht, das unbequeme Etwas in sich einzuschläfern, das immer das letzte Wort behielt und ihm zuzuraunen sich unterstand: von den zwei Brautwerbungen dieses Tages sei die zweite noch um Vieles übereilter und halsbrechender gewesen, als die erste. Er hielt in Gedanken eine lange Rede an seine gute selige Tante, als ob sie noch lebte, um ihr klar zu machen, wie zweckmäßig er gehandelt habe. Dabei sah er aber immer ihr Haubenband wackeln, wie in alter Zeit, wenn sie ihm über einen seiner dummen Streiche auf ihre kurze und trockene Manier ihre Meinung sagte. Er brachte endlich ein Argument auf’s Tapet, das zwar vor der Tante nicht viel mehr Gnade fand, als alle übrigen, ihn selbst aber gar sehr beruhigte, nämlich: er sei es sich schuldig, zu zeigen, daß er kein Knabe mehr sei, der sich in den Winkel stellen lasse, wenn er sich nicht ganz nach Wunsch aufgeführt habe. Man werde doch curiose Augen machen, wenn man in der Rheinstraße Nr. 27 erfahre, der Vetter sitze keineswegs untröstlich im Schmollwinkel, sondern habe sich eine allerliebste kleine Frau genommen, von geringer Herkunft freilich, aber das unbescholtenste, munterste, liebenswürdigste Kind im ganzen Ländchen, das in dem schönen neu hergerichteten Hause mitten im Weingut sich ausnehme wie die Perle im Golde.

Die Genugthuung, die er hierüber empfand, hatte ihn nun wohl in Schlaf lullen können; auch war unten im Hause längst jedes Geräusch verstummt. Nur die große Uhr auf dem Gange vor seinem Zimmerchen tickte so hart und beschwerlich wie ein böses Gewissen und schlug mit heiser schnarrender Zunge die Viertelstunden. Es überkam ihn zuletzt eine Art von persönlicher Erbitterung gegen das alte Hausgeräth, als wäre Alles in bester Ordnung, wenn der verwünschte Pendel nur nicht beständig den Frieden störte. Ganz erbos’t stand er endlich auf, schlich im Dunkeln hinaus und tastete an dem Werk herum, bis er’s zum Stehen gebracht hatte. Darauf empfand er eine große Erleichterung, legte sich wieder nieder und schlief nun auch fest und traumlos ein. –

Um dieselbe Stunde war in einem Zimmer der Rheinstraße Nr. 27 noch Licht. Eine kleine blasse Frau sagte einem schönen schlanken Mädchen gute Nacht und küßte sie mütterlich aus Stirn und Augen. „Dein Kopf ist so heiß, Kind“ sagte sie; „es thut mir leid, daß ich gerade heute davon gesprochen habe, aber einmal mußte es doch geschehen, und da ich wußte, daß Dein Herz dabei nicht betheiligt ist, dacht’ ich, es würde Dich nicht sehr aufregen. Nun, schlaf’ Dich aus und denke, daß auch Dein Vater keinen andern Wunsch hat, als Dich glücklich zu sehen.“

Was hatte die Mutter mit der Tochter zu reden gehabt? Es war eben nichts Unerhörtes, und dies Gespräch nicht das erste seiner Art. Daß der Vater des jungen Bordelesers an ihren Vater geschrieben, wie es sein und seines Sohnes lebhaftester Wunsch sei, die alte Geschäftsverbindung der beiden Häuser durch ein noch innigeres Band zu befestigen, und wie der Sohn es als sein höchstes Lebensglück ansehe, die Neigung der schönen Cornelie zu gewinnen; und dann die Bitte, seinen ernstlichen Bewerbungen wenigstens nicht hinderlich in den Weg zu treten, falls das Herz ihrer Tochter noch frei sei: das hatte die kluge Mutter geglaubt ihrem Kinde eröffnen zu müssen, damit es auf der Hut sei und die Hoffnungen des jungen Hausfreundes nicht ermuthige, falls es sie nicht endlich zu erfüllen gedachte.

„Nimmermehr!“ hatte Cornelie gesagt. „Ich schätze ihn gewiß, aber ich kann überhaupt den Gedanken nicht fassen, wie ich fort sollte von Dir und dem Vater.“

„So lange Du das nicht kannst,“ hatte die Mutter erwidert, „ist es freilich nicht der Rechte. Ich möcht’ aber nur wissen, Du seltsames Kind, wie der einmal aussehen soll!“ –

Darauf hatte Cornelie geschwiegen, aber der Mutter war es auch eben nicht um eine Antwort zu thun; sie kannte ihre Tochter bis zum letzten Grunde ihrer schweigsamen Seele und hatte wohl gemerkt, als sie heut’ nach Hause gekommen, daß irgend etwas vorgefallen sein mußte, und weiter nicht gefragt, als Cornelie mit erzwungener Gelassenheit berichtete, der Vetter sei da gewesen. Sie wartete immer, bis ihr Kind selbst das Bedürfniß fühlte, sich gegen sie auszusprechen. Heut’ war das noch nicht zu hoffen; darum ließ sie sie allem. Aber sie horchte in ihrem Zimmer nebenan, ob das Kind zur Ruhe komme. Das geschah erst nach Stunden. Das Fenster war geöffnet worden, als wäre es nebenan zu schwül gewesen. Das Stühlchen am Schreibtisch hatte sie rücken hören, und der stand so nah am Fenster; das unbedachte Kind wird doch nicht an der rauhen Luft sich heiß geschrieben haben? Und doch wehrte ihr ein gewisses Zartgefühl, noch einmal hineinzugehen; als ob sie sich in ein Geheimniß eindrängte, das man ihr vorenthalten wolle. Endlich wurde das Fenster geschlossen und Alles still. Aber am frühen Morgen schon trieb es das unruhige Mutterherz aus dem Bette, um nach ihrem Liebling zu sehen. Es war noch sehr dunkel im Zimmer, aber sie erkannte doch die glühenden Wangen und den fieberhaften Glanz in den Augen, als Cornelie sie überwacht und traurig zu ihr aufschlug. Nun machte sie sich Vorwürfe, daß sie nicht schon in der Nacht dem Unverstand gewehrt hatte, und beruhigte sich nur halb, als der eilig gerufene Arzt erklärte, es habe nichts zu bedeuten. –

Noch ein wenig früher erwachte im Mäusethurm ein uns wohlbekannter junger Mann, der nach viel unbesonneneren Nachtschwärmereien dennoch den Schlaf des Gerechten geschlafen hatte. Der Rausch aber, in den ihn gestern Abend sein bitteres Herzeleid, der edle Wein und der alte Freund phantastischer Thorheiten, der Mond, hineingelockt hatten, war jetzt verflogen, und in der nüchternen grauen Nebelfrühe, als er sich plötzlich auf Alles zurückbesann, überkam ihn ein so klägliches, so mitleidswürdiges Gefühl, wie er es nach den tollsten Gelagen und den schlechtesten Weinen nie erlebt hatte. Er stützte sich im Bette auf und sah in den Hof hinaus, wo die entblätterten Aeste des Baumes, unter dem er gestern mit der Traud gesessen, nicht mehr wie Silber schimmerten, sondern schwarz und feucht in die falbe Luft hinaufstarrten. Er hätte viel darum gegeben, wenn er den Abend aus seiner Erinnerung hätte wegwischen können, wie eine falsche Rechnung auf einer Schiefertafel. Aber um so aufdringlicher kam ihm jedes Wort zurück, das er gesprochen hatte, und so unmöglich es ihm jetzt schien, so gewiß und unzweifelhaft war es: er hatte wie ein leichtsinniger Spieler sein Lebensglück auf eine verdeckte Karte gesetzt. Wo war nun der bittere Trotz, der ihm gestern Abend zugeraunt, er sei es sich schuldig, zu beweisen, daß er sich nicht so leicht niederschlagen lasse? Nichts dachte er jetzt, als daß er einer der unglücklichsten Menschen auf Erden sei, und daß ihm unter der Erde wohler sein würde. Die alte Liebe trat wieder dichter an sein Herz, daß er hätte aufschreien mögen, da er sich gestehen mußte, wie schwer er sich an ihr versündigt hatte. Es schien ihm noch Alles ganz so hoffnungslos, wie Tags zuvor, ja noch weit schlimmer, da er nach dem, was vorgefallen, sich noch weniger getraut hätte, in dem Hause in der Rheinstraße wieder anzuklopfen, als müsse ihn Jedermann darin, vom Hausherrn bis zum Portier, auf das Abenteuer im Mäusethurm ansehen. Aber besser in ewiger Einsamkeit seine verlorenen Hoffnungen begraben, als vorlieb nehmen mit dein ersten besten Ersatz.

Und doch, so klar ihm das Alles war, so peinlich war ihm der Gedanke, das nun geradezu dem guten Mädchen zu erklären, dem er gestern die treuherzigsten Geständnisse gemacht hatte. Was sollte sie davon denken? Was hatte sie ihm über Nacht zu Leide gethan, um sie nun ebenso kurzangebunden abzudanken, wie er sie ohne viel Besinnen an sein Herz gezogen hatte? Wie vernünftig und überzeugend hatte er ihr Alles vorgestellt und jede ihrer Einreden entkräftet! wie feierlich betheuert, daß er ihres Vertrauens werth sei! Und jetzt sollte er sich mit der Weinlaune entschuldigen oder gar ihr gestehen, daß sie ihm nur gerade gut genug gewesen sei, da eine Bessere ihn abgewiesen?

Er war in einer so verzweifelten Stimmung, daß er hundertmal sein Leben verwünschte.

Aber etwas mußte geschehen, und wie er jetzt aus dem Bette sprang und, nachdem er lange genug tiefsinnig in die Stiefelschäfte gestarrt hatte, endlich entschlossen hineinfuhr, schien ihm aus dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_323.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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