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Seite:Die Gartenlaube (1868) 328.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

einigen Windungen der Straße fahren wir in Campo dolcino ein. Gut italienisch, wie der melodisch klingende Name, ist da schon die Bauart der Häuser, die fensterarmen Mauern, der Schmutz, das rege Straßenleben. Das halbe Dorf ist um das armselige Wirthshaus versammelt, wo zugleich die Douane ist – lebhafte braune Gesichter, dunkles Haar, schwarze Augen, italienischer Typus vom reinsten Wasser. Man könnte sich in die Campagna di Roma oder nach Sicilien versetzt glauben, wenn die Vegetation nicht zu nördlich wäre, so verschieden von Land und Leuten, die wir vor wenigen Stunden in Splügen gesehen hatten, ist Alles in diesem elenden Bergdorfe.

Die Gepäckvisite ist nicht allzu scharf, bald setzt sich der Wagen wieder in Trab. Wir lenken in’s malerische Lirathal ein, dessen Thalsohle eine wilde Steinwüste ist, wo haushohe Blöcke neben und über einander liegen, als hätte ein großer Bergsturz sie hierher geschleudert. Aber schon fängt der südliche Charakter der Vegetation an, schon zeigt der Kastanienbaum seine unscheinbaren Blüthentrauben und sein markiges Blättergrün, erst in einzelnen schüchternen Bäumen, dann in Gruppen, bis uns in San Giacomo der erste Kastanienwald entgegentritt, der sich in üppiger Blätterfülle bis hoch an die Berghänge hinaufzieht. Wir fahren über eine kühngeschwungene Brücke, die Straße ist eben, die Landschaft hat ihren wilden Charakter verloren, Maiblumen und Blüthen begrüßen uns, in duftiger Ferne winkt der Campanile von Chiavenna. Einzelne Feigenbäume erheben sich verschämt aus den kleinen Gehöften, die Rebe breitet ihre mächtigen Ranken aus; wir nähern uns dem Reiseziele des heutigen Tages. Aber schon ist die Sonne am Untergehen, ein warmer südlicher Ton ist über die malerische Landschaft ausgegossen, der Tag geht zur Rüste. Die Avemariaglocke tönt uns entgegen, wie wir im altehrwürdigen Chiavenna einziehen, aus dem Battisterio dringen die gedämpften Töne der Vigiliengesänge. Hier und da schimmert schon ein Licht aus einem Fenster, es ist Feierabend. Alles drängt in’s Freie, der Abend ist so mild und lau, der Blüthenduft so balsamisch. Die liebe Straßenjugend umtanzt heulend und jubelnd die Diligence, aus den Bierschenken schallt die Garibaldi-Hymne. Alles duftet, jubelt, singt uns entgegen: Ja, das ist Chiavenna – la Chiava (der Schlüssel) d’Italia.!

Z.





Aus Ungarns Räuberleben.

Von Daniel von Kàszony.
I.

Räuberländer und Räubersorten – Das Assecuranzgeschäft mit den Betyáren – Der Betyárenführer Dombi und sein Ehrenwort – Der Werther der Pußta – Der Räuber Zöld Marczi als edler Wohlthäter und Ehestifter – Ein besonders leuchtender Stern am Räuberhimmel: Sóbri – Enthüllungen des Sóbri-Geheimnisses – Der junge Graf als Student, Reichstagscanzlist, Seemann, Caralerist, Infanterist – Der abgeführte Stuhlrichter – König Lear.

Durch die Tageszeitungen ist die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf eine Persönlichkeit hingelenkt worden, die durch den wildromantischen Reiz ihrer Thaten und Unthaten lange zu den Tagesbeliebtheiten gehörte: Rosza Sándor, hieß es, sei bei Gelegenheit der Taufe des jüngsten Sprossen des Kaiserhauses begnadigt und von Kufstein, seinem Strafsitze, entlassen worden. Diese Nachricht hat sich nicht bestätigt, das öffentliche Interesse hat sich aber der bunten Vergangenheit des ungarischen Räuberlebens für den Augenblick wieder einmal zugewandt, so daß der Verfasser der nachstehenden authentischen Nachrichten über dasselbe den Lesern der Gartenlaube mit deren Mittheilung einen angenehmen Dienst zu leisten glaubt.

Mit der sich immer weiter verbreitenden Civilisation hat sich auch die Zahl derer, die von dem Eigenthume ihrer Mitmenschen gleichwie Hummeln vom Honige der Bienen leben, bedeutend vermindert. In Europa giebt es jetzt nur noch drei Länder, in welchen das Räuberleben in üppiger Blüthe steht: Griechenland, Italien und Ungarn. Doch ist der Charakter der Räuber in diesen drei Ländern von einander sehr verschieden, denn während dieselben in der Nähe von Athen und Piräus oder im Innern von Thessalien blos auf Plündern ausgehen, ohne blutdürstig zu sein, morden die italienischen Briganti ohne Noth und ohne Bedenken; die Betyáren Ungarns stehen zwischen Beiden, nähern sich jedoch mehr ihren griechischen Collegen.

In Ungarn unterscheidet man drei Classen von Räubern: die Csikósche, die Betyáren und die eigentlichen Räuber, welche auf Raub und Mord zugleich ausgehen. Der ersteren Classe legt man jedoch diese Benennung fälschlich bei, denn die Csikosche oder Gestütknechte sind bekanntlich bezahlte Diener von Gestütbesitzern, aber so leidenschaftliche Reiter, daß ihnen die ihrer Wartung anvertrauten Pferde nicht genügen, und nur deshalb stehlen sie in den Gestüten anderer Herrschaften und zwar nur Pferde.

Der Betyár unterscheidet sich vom Csikósch dadurch, daß er sich nicht auf Pferdediebstahl beschränkt, obschon auch bei ihm das Pferd obenan steht; er verachtet aber auch Hornvieh, Schweine und Schafe nicht: das erstere, nämlich Hornvieh, stiehlt er, um es zu verkaufen, die letzteren zumeist nur, um sie abzuschlachten und zu verzehren. Der Betyár ist, im Allgemeinen betrachtet, ein leicht zu behandelnder Bursche, der blos leben will, ohne arbeiten zu müssen. Die Herrschaften pflegen mit den Betyáren gegenseitig bindende Verträge abzuschließen. Die Herrschaft liefert dem Betyár zu gewissen Zeiten eine bestimmte Anzahl von Schafen, einige Seiten Speck, Weizen oder Brod, etwas Schießpulver und einige Gulden in baarem Gelde; dafür verpflichtet sich der Betyár, seinen Untergebenen jeden Diebstahl von den Heerden des Herrn, mit dem er den Vertrag abgeschlossen, zu verwehren, ja er schützt ihn sogar vor anderen Betyárenbanden. Somit wird mit dem Betyár ein förmliches Assecuranzgeschäft abgeschlossen.

Als ich im Jahre 1845 mich auf der Pußta Ináres im Pesther Comitate bei einem Herrn von Schájer befand, beklagte dieser sich bitterlich über die Betyáren, weil ihm acht Stück seiner schönsten Zugochsen gestohlen worden seien. Es war eben zu Weihnachten; um diese Zeit pflegten die Betyáren ihre Contribution bei den Grundherren zu erheben, und Herr von Schájer erwartete sie ebenfalls. Ein anderer anwesender Gast, Herr von Irsay, rieth Schájer, die Schelme, wenn sie es wagen sollten, sich nach begangenem Diebstahl bei ihm zu zeigen, abzufangen und dem Comitate zu überliefern.

„Gott bewahre mich vor einem so unglücklichen Gedanken; in drei Tagen hätte ich den rothen Hahn auf meinem Dache,“ entgegnete Schájer. „Ich werde mit den Kerlen sprechen, sie müssen mir meine Ochsen wieder herbeischaffen.“

„Sie werden es nicht thun,“ stritt Irsay.

„Du wirst sehen, ob ich Recht habe. Ich bin überzeugt, daß fremde Räuber mich bestohlen haben, Leute, welche zum ersten Mal in diese Gegend kamen. Das Vergehen der Inárcser Betyáren besteht blos darin, daß sie den Diebstahl geschehen ließen.“

Herr von Schájer hatte sich nicht getäuscht. Am Abend vor Christnacht meldete ihm sein Leibhusar, daß der alte Dombi, der Führer der Betyárenbande, in der Spinnstube sei und nachgefragt habe, wann er wieder kommen dürfe.

„Laß ihn hereinrufen,“ bat ich Schájer, „ich möchte den Mann gern sehen.“

„Ich weiß nicht, ob er wird kommen wollen,“ entgegnete der Hausherr; „wenn er erfährt, daß Pepi hier sei (Herr von Irsay hieß Joseph, in der Abkürzung Pepi), so kommt er nicht, er glaubt, dieser sei ihm aufsässig.“ Dann wendete er sich zu seinem Husaren und fragte, ob Dombi wisse, wer hier sei.

„Er weiß nur so viel,“ sprach der Husar, „daß Euer Gnaden Gäste haben, und auch die Mädchen in der Spinnstube wissen es nicht, wer hier ist.“

„Schau zu, daß Du ihn auf eine gute Art herein lockst,“ befahl Schájer.

Der Husar entfernte sich und kam erst in einer halben Stunde wieder, doch auch dies Mal allein.

„Nun, wo ist Dombi?“ fragte ihn der Herr.

„Er will nicht kommen, er hat den Wagen des gnädigen Herrn (Irsay’s) erkannt, er sitzt noch immer in der Spinnstube.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_328.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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