verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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„Dann muß ich selber zu ihm gehen.“
„Schade, daß ich den Mann nicht sehen kann,“ sagte ich.
„O, Du könntest ihn wohl sehen, komm mit mir.“
Ich ging mit Schájer in den Hof, es war Mondenschein, doch nicht sehr hell. denn es hatten sich Wolken vor die glänzende Scheibe gestellt. Der Husar ging indeß in die Spinnstube, um den Betyár herauszurufen.
„Wir hätten auch in die Spinnstube gehen können,“ meinte ich.
„Nein,“ erwiderte er, „ich will meinen Respect bei den Weibern nicht dadurch einbüßen, daß ich in ihrer Gegenwart mit dem Betyár spreche. Stelle Dich ein wenig abseits, damit er Dich nicht gleich bemerkt, er könnte Dich für einen Pandurencommissär halten. Ich muß ihn erst auf Deine Gegenwart vorbereiten.“
Bald kam der Betyár aus der Spinnstube in den Hof. Er zog vor Schájer seinen Hut ab, nahm die Pfeife aus dem Munde und erst als dieser ihm befahl, sich wieder zu bedecken und weiter zu rauchen, that er es. Der Mann hatte einen Schafpelz über seinem Hemd und der Gatya (eine weitschößige Leinwandhose), über dieser war sein Ledergürtel und ich konnte die Schafte zweier Pistolen, welche in demselben steckten, wahrnehmen; in der Rechten hielt er seinen Fokosch, einen langen Stock mit einer Art Beil von Messing als Griff. Nachdem Schájer ein paar Worte mit ihm gewechselt, rief er mich beim Namen und ich trat hinzu.
„Fürchte Dich nicht, Peter,“ sprach Herr von Schájer zum Betyár, „dieser Herr ist kein Commissär, er ist mein guter Freund, mein ehemaliger Camerad.“ Dann aber wendete er sich zu mir: „Sieh diesen Kerl gut an, er ist der einzige Betyár, der sein Wort nicht hält, man hat meine besten Ochsen gestohlen und dieser Hallunke ließ es geschehen. Weißt Du, Dombi, daß ich gute Lust hätte, Dich niederziehen und Dir fünfzig Stockstreiche geben zu lassen? Verdient hast Du sie.“
„Sie werden die Ochsen wieder bekommen,“ antwortete der Betyár ruhig. „Sie sind nicht von Betyáren aus dieser Gegend geholt, sondern von Neograder Palóczen; diese haben die Ochsen über Bugyi getrieben, während wir in Pilis waren. Man kann doch nicht überall gegenwärtig sein. Wir hatten bei Ihrem Herrn Schwager, dem Grafen Beleznay zu thun, auch seine Ochsen wurden weggetrieben, wir brachten sie von Kis-Telek zurück. Den Ihrigen, gnädiger Herr, sind wir auf der Spur, Sie werden sie noch vor dem neuen Jahr zurückerhalten. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf.“
„Ich will Dir noch dies Mal glauben,“ sagte Schájer, „bringst Du sie mir, so sollst Du zum neuen Jahr einen fetten Hammel bekommen. Was willst Du aber jetzt?“
Der Betyár kratzte sich hinter den Ohren, ohne eine Wort zu sagen.
„Ihr werdet doch nicht wieder Etwas brauchen?“ sprach Schájer, „wenn Ihr in Pilis wäret, so müßt Ihr ja dort Euer Weihnachtsgeschenk erhalten haben.“
„Die Kammern waren leer, der Graf hat sein Getreide den Juden gegeben, seine Schweine nach Dabas geschickt, um sie zu verkaufen; er ist uns diesmal schuldig geblieben. Die Wirthschaft geht dort schlecht.“
„Ihr werdet das Eure später bekommen,“ tröstete ihn Schájer.
„Ja wohl, aber bis dahin müssen wir auch leben, und es ist uns bereits Alles ausgegangen.“
„Und da wollt Ihr, daß ich Euch aushelfen soll?“
„Sie haben doch so viel, gnädiger Herr, Sie können es thun, Sie werden uns arme Bursche nicht verhungern lassen,“ bat Dombi.
„Wenn ich aber meine Ochsen nicht zurück erhalte?“
„Sie werden sie vor dem neuen Jahre haben.“
„Kann ich darauf mit Sicherheit rechnen, auf Betyárswort, he?“
„Ich soll ewig Wasser saufen, wenn Sie sie nicht haben werden.“
„Nun, dann sollt Ihr jetzt zwei Seiten Speck und ein kleines Fäßchen Wein erhalten. Mein Beschließer wird Euch das Alles übergeben.“
„Und etwas Schießpulver?“ fragte der Betyár.
„Auch das noch’, und zwar zwei Pfund. Bringt Ihr mir die Ochsen zurück, so sollt Ihr mehr haben; auch eine gute Kugelbüchse will ich Dir geben.“
Der Betyár ging und hielt redlich Wort: in fünf Tagen waren die Ochsen im Stalle, Dombi und seine Leute hatten sie den Neogradrern in der Gegend von Pataj abgenommen.
Es giebt Namen unter den Betyáren, welche eine gewisse Celebrität erlangt haben und noch jetzt im Munde des Volkes leben, sie sind zum Gegenstand von Balladen, Novellen und Theaterstücken geworden. Solchen Nachruhmes erfreut sich unter Andern Oldal Janko. Dieser hauste in den oberen Comitaten, namentlich in Abaúj, Torna, Hevesch und Borschod und war einer der geschicktesten Pferdediebe; namentlich wurde Szent-Péter, ein Marktflecken im Borschoder Comitat, von den durch ihn verübten Pferdediebstählen so berüchtigt, daß es zum Sprüchwort geworden ist: „Dem die Pferde zu Szent-Péter nicht ausgespannt, der Koffer zu Miskólcz nicht vom Wagen gestohlen und der zu Putnok nicht betrogen worden sei, könne ungefährdet durch die ganze Welt reisen.“ Ein anderer noch berühmterer Betyár war Angyal Bandi. Er raubte allerdings nur Pferde, hatte aber ein ganzes Gestüt gestohlener Rosse zusammengebracht und war im ganzen Lande als der schönste Mann und der kühnste Reiter bekannt. Man kann noch jetzt in den Dorfschenken sein Portrait hängen sehen. In seiner Liebe war er zärtlich und treu bis in den Tod; er würde bei seinem fast schwermüthigen, tiefen Ernst vielleicht ein Werther geworden sein, wenn er anstatt auf der Pußta in einer Stadt gelebt hätte.
Ganz der Gegensatz Angyal Bandi’s war Zöld Marczi, ein lustiger Geselle, der aber mehr als Csikósch und Betyár war, denn er beraubte jeden Reisenden, der ihm begegnete. Er war sehr geschickt in Verkleidungen, besuchte die Märkte, zumal jene von Pesth und Debreczin, erschien zuweilen als Student, manchmal als Officier verkleidet an der Tafel der Gasthöfe, kundschaftete hier aus, wer an diesem oder jenem Tage abreisen werde und wer viel Geld bei sich führe. Zöld Marczi hatte es hauptsächlich auf Juden abgesehen; wo er einen solchen antraf, plünderte er ihn. Zuweilen überkam ihn eine großmüthige Laune, wenn er einen reichen Menschen um große Baarschaft erleichtert hatte. Dann verschenkte er wohl das geraubte Geld an Nothleidende. Stiftete er doch sogar Ehen, indem er die Väter beraubte und das Geld den jungen Verliebten gab. Auch er ist in mehreren, mehr oder minder gelungenen Gedichten, Novellen und sogar in einem Theaterstück verherrlicht worden.
Alle diese Räuber lebten zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Von 1820 bis 1836 gab es Keinen, der sich einen allgemeineren Ruf erworben hätte; das Betyárenthum bestand nach wie vor, ohne einen in dieser Beziehung besonders leuchtenden Stern aufweisen zu können.
Vom Jahre 1836 bis 1838 erwarb sich Sóbri durch seine Kühnheit und die Geschicklichkeit, mit welcher er allen Verfolgungen entging, einen Namen in ganz Europa. Sowohl über seine Geburt, als über sein Ende herrscht ein tiefes, niemals gelichtetes Dunkel; man kann mit voller Bestimmtheit annehmen, daß das, was am allgemeinsten über diesen Räuber erzählt wird, daß er in einem Gefechte gegen die kaiserlichen Uhlanen in den Wäldern des Tolnaer Comitates geblieben sei, völlig unbegründet und niemals erwiesen worden ist, die Annahme hingegen, daß er der Sohn aristokratischer Eltern gewesen – und daß er noch jetzt lebe, als viel richtiger erscheint. Da jedoch der Nome einem der ersten Geschlechter Ungarns angehört, so werde ich ihn hier, wo ich das, was ich über Sobri weiß, zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit bringe, nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnen.
Der Graf L… besaß eines der hübschesten und größten Gestüte in einem der Theißcomitate, einer seiner Roßwärter hieß Sobri und war ein Csikósch, sonst nichts; der wirkliche Sóbri benutzte nur dessen Namen. Der Graf hatte sieben Söhne, der zweitälteste, Joseph, studirte zu Sáros-Patak im reformirten Collegium. Bei den Studenten der Collegien ist es Sitte gewesen, eine Verbrüderung zu bilden, die sie Comitat nannten, denn sie nahmen die Comitatsorganisation, wie dieselbe bis zum Jahre 1848 bestanden hatte, an, sie hatten ihre Vicegespäne, Stuhlrichter, Notare, Fiscale, Perceptoren und Commissärs; der Chef der Comitate ist der Obergespan. Zu dieser Stelle wählten sie den Reichsten unter sich, den jungen Grafen Joseph L…. Allein dieser nahm die Wahl nicht an.
„Ich will außer dem Gesetze stehen,“ sagte er, „ich werde allerhand Schelmenstreiche verüben, fangt mich, überweist mich, daß ich dieses oder jenes gethan habe, wenn Ihr es könnt! Ich werde Euch ein Schnippchen schlagen, und das wird mir mehr Spaß machen, als bei Euch zu präsidiren. Ein Comitat ohne Räuber taugt
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_329.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)