verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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nichts und ich will Euer Räuber sein! Nennt mich fortan nicht Graf, sondern Sóbri.“
Graf Joseph hielt sein Wort. So oft den Professoren eine Nase gedreht, etwas aus dem Museum, ein Buch aus der Bibliothek entwendet wurde, wußten die Studenten, daß dies von Niemandem sonst, als von Sóbri, wie sie ihn nannten, verübt worden, doch konnte man ihn niemals dabei erwischen. Außerdem aber bestahl der junge Graf auch seines Vaters Gestüt, er schlich sich bei Nacht in dasselbe, hatte es bald weg, wie man mittelst der Schlinge ein Füllen fangen könne, und holte so die hübschesten Rosse aus dem Gestüte, ritt sie so lange, bis sie unter ihm zusammenbrachen und ganz lahm wurden, und wenn er eines nicht mehr brauchen konnte, fing er es bei einem andern an.
Der alte Graf sandte seinen Sohn auf den Preßburger Landtag, wo er Reichstagscanzlist sein sollte. Hier trieb er jedoch so arge und so allgemein empörende Stänkerei, daß der alte Graf, um jedem ferneren Scandale auszuweichen, ihn zum Militär gab und zwar recht fern von Ungarn: er schickte ihn nach Venedig, in die Marineschule. Graf Joseph blieb gerade einen Tag auf dem Schiffe, dann schrieb er seinem Vater, er wolle kein Seemann werden, er möge ihn zur Cavalerie geben. Auch das geschah; Joseph wurde Cadet im ersten Chevaux-legers-Regimente. Widersetzlichkeit und Streiche tollster Art veranlaßten endlich die Versetzung des gräflichen Thunichtgut zu einem Regimente, welches die Garnison einer Festung bildete, da hier die Aufsicht eine größere und Excesse schwerer zu verüben seien, als bei der Cavalerie. So kam Graf Joseph als Cadet zum Infanterieregimente Franz Ferdinand nach Peterwardein.
In den ersten Wochen, ehe der junge Graf Bekanntschaften gemacht hatte, ging Alles ziemlich gut, der commandirende General, Freiherr von Csollich, war ein intimer Freund des alten Herrn, er lud den jungen Wildfang zu sich ein, dieser verliebte sich in die hübsche Tochter des Generals und ihrer Fürsprache hatte er es zu danken, daß ihm mehr Freiheiten gestattet wurden, als anderen Cadeten, ja, daß man ihm sogar Pferde zu halten erlaubte. Diese Vergünstigung mißbrauchte er in kurzer Zeit auf so waghalsige, die allgemeine Sicherheit der Straße so arg gefährdende und endlich sogar den Commandirenden bloßstellende Weise, daß letzterer ihm endlich ein für alle Mal alles Reiten und Fahren auf öffentlichen Plätzen untersagte und Uebertretungen dieser Verbote mit strengem Arrest bestrafte.
Das Leben in der Festung ward ihm nachgerade ebenso unleidlich, als ehemals jenes auf dem Schiffe, und eines Tages verschwand er, ohne daß man über ihn siebenzehn Monate hindurch etwas erfahren hätte. Dies geschah zu eben jener Zeit, als Sóbri und seine Bande durch ihre Räubereien im ganzen Lande bekannt wurden. Graf Joseph, den man sowohl damals als später damit aufzog, daß er Sóbri sei, stellte dies nicht sehr in Abrede, obschon er sich niemals damit brüstete, daß er und der berüchtigte Räuber eine und dieselbe Person gewesen; dennoch pflegte er einige seiner Abenteuer, die darauf hindeuten, daß an dem Gerüchte doch etwas Wahres sein müsse, und die in diesen Zeitabschnitt fallen, gern zu erzählen. Namentlich sind es zwei dieser Abenteuer, die ihn charakterisiren.
Das erste fand in der Bácska statt. Er reiste daselbst mit seinem Freunde Madarasy herum; er und sein Freund saßen auf dem Bocke, während der Kutscher und der Jäger auf dem Rücksitze Platz nahmen. Der Graf war erst kürzlich vom Regiment desertirt, trug jedoch noch seine Uniform, über dieser aber einen Civilrock. Auf dem Sitze lag ein wattirter Schlafrock. Madarasy war ebenfalls in Civilkleidern, der Kutscher hatte einen dunkelgrünen, mit rothem Plüsch ausgeschlagenen Livrérock, einen dreieckigen Hut mit weißen Federn auf dem Kopfe, der Jäger hingegen einen hechtgrauen Rock mit Goldtressen und ebenfalls einen dreieckigen Hut mit grünen Federn. Die Livrée des Letzteren glich also sehr einer österreichischen Generalsuniform.
So fuhren sie über Roglatitza nach Baja; an beiden Enden des Dorfes unterhielten sie sich damit, daß sie auf Krähen, die sich in großer Menge dort eingefunden hatten, Jagd machten, und es war ziemlich spät Abends, als sie zu Baja ankamen. Der Kühle wegen hatte der Graf seinen Schlafrock, auf welchem er gesessen, angezogen, ebenso setzte er seine raizische bunte Mütze auf den Kopf, die ziemlich die Form einer in jener Gegend von den Bäuerinnen stark getragenen Kopfbedeckung hatte. Als sie im Wirthshause ankamen, ließ der Graf ein Zimmer öffnen, einheizen und ein paar Gläser Punsch bringen. Der Kellner hielt ihn offenbar für ein weibliches Wesen. Als das Zimmer wärmer wurde, warf der Graf den Schlafrock und die gehäkelte Mütze von sich und der Kellner machte große Augen, als er die junge Dame zu einem schmucken Cavalier entpuppt fand, und sein Erstaunen verwandelte sich später in Schrecken, als der Graf, vom Punsch noch mehr erwärmt, auch den Oberrock ablegte und in Uniform den Gürtel mit Pistolen und einem Kandjar besteckt, dastand. Später gingen die jungen Herren in den Speisesaal, um daselbst zu soupiren; sie setzten sich abseits an einen Tisch, während der andere bereits mehrere Gäste zählte.
„Stellt Euch mein Pech vor,“ sprach ein junger Cavalier zu seinen übrigen Freunden am langen Tisch, „ich hätte heute ein reicher Mensch werden können, wenn ich bessere Rosse gehabt hätte.“
„Wie so?“ riefen die Uebrigen.
„Ich hätte den berüchtigten Sóbri beinahe gefangen,“ sagte der junge Herr. „Er selbst war in russischer Generalsuniform, dunkelgrün, mit rothem Kragen, Rabatten und Aufschlägen, einen Dreimaster (dreieckigen Hut) mit weißen Federn auf dem Kopfe. Sein Adjutant Milfait Ferko war in österreichischer Generalsuniform, hechtgrau mit Gold; zwei Andere seiner Bande, Pap Andor und Karálábé, saßen in Civilkleidern auf dem Bock; sie hielten Jagd auf Krähen. Der Wagen selbst, in welchem sie saßen, war grün, inwendig mit scharlachrothem Tuche ausgeschlagen.
Vier Rothschimmel, welche er sicherlich aus dem Horváth’schen oder Sándor Latinovics’schen Gestüte gestohlen haben muß, fuhren sie wie der Blitz an mir vorbei. Ich peitschte meine Pferde so gut ich konnte, doch vom Einholen war keine Rede; ich würde gerne zweitausend Gulden für einen solchen Zug geben. Hätte ich ihn gefangen, so würde ich bei ihm gewiß eine tüchtige Summe Geldes gefunden haben.“
„Kennst Du den Menschen, welcher soeben gesprochen?“ fragte der Graf seinen Freund Madarasy.
„O ja, es ist der Stuhlrichter Gusti Piukovics.“
Hierauf erhob sich der Graf, ging an den andern Tisch und redete Herrn von Piukovics an; er sagte ihm, er habe vernommen, daß er einen Wagen und Pferde kaufen wolle; er könne ihm mit beidem dienen und lud ihn ein, diese im Stalle zu besehen. Der Angeredete ließ sich nicht lange bitten, sondern folgte dem Grafen, welcher, als er sich zum Abendessen begeben, wieder den Civilrock über die Uniform angezogen hatte, in den Hof, wo der Wagen stand.
„Dies ist mein Wagen,“ sagte der Graf, „gefällt er Ihnen?“
Herr von Piukovics machte schon große Augen, als er den rothgefütterten Wagen sah. Hierauf gingen sie in den Stall, wo die Rothschimmel standen.
„Sehen Sie da meine Pferde? He, Philipp!“ rief der Graf.
Der Kutscher in seiner russischen Generalsuniform erschien.
„Wo ist mein Jäger?“
„Hier, gräfliche Gnaden!“ entgegnete der Jäger in der österreichischen Generalsuniform.
Herrn von Piukovics ward nicht recht wohl zu Muth und der junge Graf weidete sich an seiner Angst; er blickte ihn an, wie die Schlange den zum Opfer erkorenen Vogel, und knöpfte seinen Oberrock auf, unter welchem sein mit Pistolen besetzter Gürtel sichtbar wurde. Herr von Piukovics wußte nicht, was er sagen, welche Miene er machen sollte.
„Und Sie wollten Sóbri fangen?“ fuhr ihn der Graf an, „Sie, der Sie schon beim Anblick dieser beiden Bursche, meines Kutschers und Jägers, die Sie für Generale hielten, zittern? Sóbri würde mit Ihnen noch sehr gnädig umgehen, im Vergleiche dazu, wie ich es gleich thun werde, wenn Sie nur nicht allsofort vor allen den Herren, vor welchen Sie prahlten, Abbitte thun.
Ich bin der Graf L… und kann mich als solcher ausweisen, Sie haben mich für Sóbri ausgeschrieen, Sie werden Ihre Worte zurückziehen, sonst sollen Sie eine üble Stunde erleben.“
„O, wenn es nur Das ist, Herr Graf, von Herzen gern!“ sagte Herr von Piukovics, begleitete den Grafen in den Speisesaal, wo er ihm in der Weise, wie es ihm der Graf vorgeschrieben, die gewünschte Abbitte leistete und noch froh war, so wohlfeilen Kaufes davon zu kommen.
Der zweite Fall, den ich und viele meiner Freunde ebenfalls aus dem Munde des Grafen hörten, ist noch charakteristischer.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_330.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)