Verschiedene: Die Gartenlaube (1869) | |
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überall stehen auf dem Durchbruche schön gesternte Korallen aus dem Kalk hervor – der ganze Fels ist der Rest eines Riffes! Eine weite Wölbung empfängt uns – der hintere Theil der Grotte ist durch ein senkrechtes, von oben einfallendes Kamin erleuchtet – man kann bis zu der Stelle, wo eben gegraben wird, ohne künstliche Beleuchtung vordringen; Knochensplitter, welche von den Grabenden als werthlos bei Seite geworfen werden, decken hie und da den Boden. Die Grotte ist vollkommen trocken – die Felskuppe, welche von ihr durchsetzt wird, ist fast vollständig isolirt in ihrem oberen Theile – die Tropfsteinbildungen fehlen hier durchaus. Man überzeugt sich durch den Anblick der Ausgrabungen, daß dieselben in guten Händen sind, denn man findet unter den zurückgelassenen Stücken keines, welches der Aufbewahrung werth wäre – und weitere Discussionen auf den Besuch der Haupthöhle versparend, steigt man wieder hinab in die Wagen, die uns zu reichem und wohlverdientem Frühstück bei Grürmann tragen.
Mag auch der den ältesten Ablagerungen angehörende Kalk, welcher auf der linken Seite des Rheines in der Eifel so häufig vorkommt und auf der rechten Seite zuerst bei Erckrath auftritt, im Einzelnen noch so marmorartig und fest erscheinen, so zeigt sich doch das Gebirge selbst, welches er bildet und das namentlich zwischen Limburg und Balve eine bedeutende Höhe und Mächtigkeit erreicht, außerordentlich zerklüftet und zerristen. Wunderbar gestaltete Felskuppen, großartige Schuttfelder legen für die zerstörenden Einflüsse, die hier gewaltet, ein äußerliches Zeugniß ab, das durch die zahlreichen Klüfte und Spalten im Innern, die sich häufig zu Grotten und Höhlen erweitern, nur bestätigt wird. Ueber die hier wirkende Kraft kann man keinen Augenblick im Zweifel sein – es sind die Sickerwasser, welche zugleich zerstören und aufbauen, lösen und verkitten. Betrachtet man einen solchen Marmorblock, so wird man in dem dunkelgrauen, fast schwärzlichen Gestein eine Menge weißer Figuren und Adern sehen. Die Einen stammen von den Versteinerungen, von Muscheln und Korallen, die so häufig sind, daß der ganze lange Kalksteinzug für ein einziges Korallenriff gelten kann, das vor Millionen von Jahren in die Tiefe des Oceans versenkt war und nicht ohne Spaltung und Zertrümmerung aus demselben emporgehoben wurde – die Adern aber sind aus seinen weißen Kalkspath-Kryställchen gebildet, die sich offenbar langsam darin absetzten und die ursprünglich klaffende Spalte wieder verkitteten. So liefert jedes Bruchstück den Veweis von der steten Wirksamkeit des einsickernden Wassers. Das Regenwasser zieht sich langsam in die Spalten ein – es löst geringe Mengen von Kalk auf und setzt dieselben weiterhin beim Verdunsten der Kohlensäure, welche die Auflösung des Kalkes erleichterte, in reinen Krystallen theilweise wieder ab. So füllen sich kleinere Spalten und Höhlenräume, sogenannte Drusen, nach und nach mit rein weißen Absätzen von krystallinischem Gefüge an, deren Farbe und Ausehen angenehm gegen das dunkle Muttergestein absticht, welchem sie entnommen sind.
Dieselben Processe sind es auch, welche die sogenannten Tropfsteine, die Stalaktiten, erzeugen. Größere Spalten und Hohlräume, zuweilen erweitert durch im Inneren der Gebirgsmassen strömende Gewässer, welche später versiecht sind oder einen andern Ausweg gefunden haben, Höhlen und Grotten sind niemals ganz trocken, sondern zeigen überall an der Decke und an den Wänden feinere oder gröbere Spältchen und Spalten, durch welche das Wasser nach einem solchen Hohlraume seinen Weg findet. Hier rieselt das Wasser längs den vorspringenden Kanten der Wände ab, dort sammelt es sich in großen Tropfen an der Decke, die oft lange haften, bis endlich ihre Schwere sie zu Boden reißt; an anderen Stellen regnet oder gießt es förmlich aus der Decke hervor, fällt plätschernd auf den Boden und stäubt nebelartig wieder auf. Und überall, wohin nur ein Wassertröpfchen kommt, bleibt auch ein krystallisirtes Kalktheilchen sitzen, und wo ein solches unendlich kleines Kryställchen sitzt, da sammeln sich andere, schießen daran an und vergrößern das ursprüngliche Gebilde. So arbeitet es still und geräuschlos fort, Tag und Nacht, Jahre um Jahre, Jahrtausende um Jahrtausende. Die Rinnsale an den Wänden erheben sich zu Kanten und Vorsprüngen – wo eine Ungleichheit der Wand ein längeres Verweilen des Wassers verursachte und damit stärkeren Absatz, bildet sich eine Verdickung, wo es schneller abläuft, giebt es dünnere Stellen, und endlich ist aus dem Rinnsale ein elegant drapirter Vorhang geworden, mit Knotenschürzungen und Falten, die in schöngeschwungenen Linien hervortreten, sobald man eine Flamme hinter das durchscheinende Gebild bringt. Wo aber ein Tröpfchen im ersten Anfange hing, hat sich nach und nach ein Zapfen angesetzt, der stets an den Seiten und noch mehr an der Spitze wächst, und ihm entgegen hebt sich von unten, von dem Punkte aus, wo das Wasser auftrifft, ein kegelartiges Gebilde, bis beide mit ihren Spitzen zusammentreffen, sich vereinigen und eine Säule darstellen, welche das Gewölbe zu tragen scheint. Das Pflanzenleben trägt das Seinige dazu bei. Feine Wurzelfasern durchdringen das Gestein und suchen in der Höhle nach Boden, indem sie sich übermäßig verlängern; niedere Pflanzenformen, Algen, Schimmel, ja selbst Farnkräuter kriechen auf der feuchten Gesteinsfläche. All’ diese Pflanzentheile umhüllen sich nach und nach mit Scheiden von Kalkstein, sie befördern durch die Aufsaugung der lösenden Kohlensäure aus dem Wasser den Absatz des Tropfsteines, der sie bald in seiner Umarmung erstickt. Die Wurzelfaser, der Algenfaden verwesen und verschwinden – aber ihre Gestalt bleibt erhalten und lange, seine, durchsichtige Röhrchen von Tropfstein hängen von den Decken der Gewölbe herab, oder seine, spitzenartige Gewebe breiten sich an den Wänden aus. Während all’ dieser Arbeit wächst und wächst der Fußboden, und in manchen Höhlen so mächtig, daß steinharte Schichten von krystallinischem Gefüge, die mehrere Fuß dick sind, die Schätze unter diesem Boden bedecken.
Gewiß giebt es auch Zeiten, in welchen die Tropfsteinbildung energischer ist, als in anderen. Die wasserführenden Spalten können sich durch den Absatz in ihrem Innern verschlossen, die Wasser selbst durch eine Spaltenbildung einen anderen Abfluß gewonnen haben – die Oeffnung oder Schließung des Eingangs, der Zwischengänge und Kammern kann auf die Zuführung und Verdunstung des Wassers die verschiedensten Einflüsse geübt haben. Wer wollte alle diese Zufälligkeiten vorausberechnen, wenn sie uns gleich durch ihre Wirkungen offenbar werden? Denn in den meisten Höhlen kommen verschiedene, durch Zwischenlagen von sogenanntem Lehm getrennte Fußböden von Tropfstein vor, die wohl den Nachweis liefern, daß die Bildung von Zeit zu Zeit gänzlich stockte, um später auf’s Neue zu beginnen. Nicht minder unberechenbar sind die Zufälligkeiten, welche die Form der Tropfsteingebilde selbst bedingen. Ein Stäubchen fliegt irgendwo an; das herabtropfende Wasser bringt ein Sandkörnchen, ein Lehmtheilchen, das sitzen bleibt; ja irgend ein höhlenbesuchendes Thier, ein Fuchs oder ein Dachs, streift an einem Orte und läßt dort eine unmeßbare Menge seiner fettigen Hautschmiere zurück, und augenblicklich sucht sich das Sickerwasser einen anderen Weg beim Hinabgleiten, baut sich nach und nach dadurch selbst einen Damm – und eine Cannelirung ist hier gebildet, dort ein Vorsprung, hier ein Knauf oder eine Einschnürung! Dann endlich die wunderbaren Gestalten, die dadurch entstehen, daß zu schwer gewordene Anhänge sich loslösen, Säulen zusammenstürzen unter dem Drucke des Gewölbes der Höhle, Bruchstücke von der Decke fallen und alle diese Trümmer hier vielleicht zusammengekittet und überzogen oder ebenso möglich dort von einem einströmenden Gewässer fortgeführt und umwühlt werden. So wird aus dem einfachsten Momente, dem Absatz durch Sickerwasser, die reichste und unerschöpflichste Mannigfaltigkeit hervorgezaubert, und nur das steht im Voraus fest, daß die Formgestaltungen der Tropfsteine um so reicher, die Farbe um so reiner, das krystallinische Gefüge derselben um so klarer ist, je heller das einsickernde Wasser ist und je ungestörter dasselbe in der geschlossenen Höhle walten konnte.
Alle diese Vorzüge vereinigt die neue Höhle in der Grüne bei Iserlohn. Wir klettern auf steiler Stiege hinan zu dem engen Eingange, betreten eine Vorhalle, wo wir unsere Mäntel und Ueberzieher ablegen und gefällige Führer mit Grubenlichtern finden, die nur zur Besichtigung der Einzelheiten nöthig sind, denn überall sind einfache, aus Latten zusammengenagelte Candelaber mit Kerzen an den mit großem Geschick gewählten, vorteilhaften Punkten aufgestellt. Die zahlreiche Gesellschaft trennt sich bald in einzelne Gruppen, denen ortskundige Führer zur Seite gehen, dort Professor Fuhlrott, hier Baumeister Sebaldt oder Apotheker Schmitz, und bald hallen die Gewölbe, die auf- und absteigenden Zwischengänge von den bewundernden Ausrufen der Menge. Hier die Orgel! und die rundlichen Säulen klingen wehmüthig unter dem Stocke, der über sie hinfährt. Dort die Wolfsschlucht! Hier das Nixenbassin! Ueberall tönt es: „Hoff! kommen Sie hierher! Hoff!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)