Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1869) 148.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

auf ein Echo, das aber so unfreundlich, oder vielleicht auch so politisch war, auf das „deutsche Vaterland“ keine Antwort zu haben.

Dafür erschien drüben am jenseitigen Ufer ein Herr in Begleitung zweier Damen. Er zuckte mißmuthig und rathlos die Schultern, während sein Blick suchend über die glatte, unbewegte Wasserfläche schweifte. Da trat ein mitgekommener Lakai respektvoll vor und deutete auf den Kahn im Gebüsch.

„Gisela!“ rief der Herr hinüber.

Das Mädchen am Ruder schrak zusammen, und das Roth einer tödtlichen Verlegenheit färbte ihr Gesicht. Einen Moment irrten ihre braunen Augen unsicher über die Kinderköpfchen hin, aber auch nur einen Moment – dann lächelte sie.

„Hinauswerfen kann ich euch nun einmal nicht, das steht fest!“ sagte sie. „Also in Gottes Namen vorwärts!“

Mit wenigen energischen Bewegungen machte sie den Kahn flott; er flog hinaus, und jetzt fluthete daß Sonnenlicht voll über das unbedeckte Haupt der Schifferin. Die weiten, offenen Aermel ihres weißen Kleides hoben sich leicht bei der Bewegung des Ruderns - wie ein Schwan kam die graciös vorgeneigte Gestalt dahergeschwommen. Das an Stirn und Schläfen mit einem hellen Seidenband leicht zurückgenommene Haar fiel in offenen Wellen über den Nacken und umwob flimmernd das weiße Gesicht mit einer Glorie.

Ihre großen, braunen Augen hefteten sich dann und wann prüfend auf die Gruppe am Ufer; aber die Röthe der Verlegenheit auf ihren Wangen war verflogen; die Ruderschläge blieben gleichmäßig, keine Spur von Hast verrieth, daß die Schifferin das Ufer rasch zu erreichen wünsche. … Ob das vielleicht da drüben übel vermerkt wurde? … Der Herr runzelte finster die Brauen, und die an seinem Arme hängende schöne Dame ließ plötzlich mit einem unbeschreiblichen Gemisch von Ueberraschung, Ungeduld und Mißfallen die Lorgnette von den Augen sinken.

„Nun, mein Kind, das ist ja eine ganz merkwürdige Situation, in der wir uns Wiedersehen!“ rief der Herr scharf hinüber, als der Kahn näher kam. „Tausend noch einmal, was für edle Passagiere fährst Du! … Ich fürchte nur, sie werden eben so leicht, wie Du selbst, vergessen, wer am Ruder sitzt!“

„Lieber Papa, am Ruder sitzt Gisela, Reichsgräfin Sturm zu Schreckenstain, Freiin von Gronegg, Herrin zu Greinsfeld etc. etc.,“ antwortete das junge Mädchen. … Das klang nicht etwa schelmisch persiflirend – es war die vollkommen ernst gemeinte Zurückweisung des Vorwurfs. In diesem Augenblick war die Sprecherin Zoll für Zoll die Trägerin der hochtönenden, aristokratischen Namen.

Sie wandte den Kahn geschickt, er stieß an’s Land, und mit einem leichten Sprung schwang sie sich auf das Ufer.

Das Kind mit dem unschönen, eckigen Gesicht, mit dem farblosen Haar und dem gelben, kranken Teint, das gebrechliche Geschöpf, das in die Einsamkeit geschickt worden war, lediglich um dort zu sterben – da stand es als hochgewachsene Mädchengestalt, und wer das Bild der Gräfin Völdern, „der schönsten Frau ihrer Zeit“, gesehen, – diese schlanken, geschmeidigen Glieder mit dem schneeweißen Gesicht unter dem voll herabfluthenden Haar – der konnte meinen, sie sei eben nur aus ihrem goldenen Rahmen herausgetreten, um hier im lebendigen Odem der Waldesluft zu wandeln. … Freilich hatten diese keuschen, nachdenklichen Augen nicht das dämonisch Ueberwältigende jener schwarzen, funkelnden, und das Haar, das dort gelb wie der Bernstein leuchtete, floß hier in einem dunklen Blond zum Nacken und lief nur an den Schläfen in einen zarten Silberschein aus, aber im Allgemeinen lebte jenes unselige Weib wieder auf in den jungen Formen, die sich aus einem langen Siechthum plötzlich entwickelten, wie die frische, weiß hervorquellende Blüthe aus der düsteren Knospenhaft.

Die Seele aber hatte diese Wandlung nicht mitgemacht. Das war noch derselbe klarkalte, unerbittliche Blick, an welchem alles Bemühen um Zuneigung scheiterte; und die eigenthümliche Scheu vor jeglicher Berührung trat in diesem Augenblick grell hervor – sie verbeugte sich leicht und ungezwungen, aber ihre Arme hingen an den Seiten nieder, und die schlanken Finger verschwanden in den Falten ihres weißen Muslinkleides – sie hatte keinen Händedruck für die Angekommenen, und doch kam Seine Excellenz direct von Paris, wo er sich drei Monate aufgehalten, und seine schöne Gemahlin hatte den Winter und Frühling mit der leidenden Fürstin in Meran zugebracht und die Stieftochter seit dreiviertel Jahren nicht gesehen.

Hatte die Dame schon gewissermaßen erschreckt die heranschwimmende Gestalt fixirt, so sah sie jetzt für einen Moment völlig fassungslos mit einer Art ungläubigen Entsetzens nach dem jungen Mädchen, das sich plötzlich so hoch und schlank aufrichtete – dieser Ausdruck verschwand indeß blitzschnell wieder. Sie ließ den Arm ihres Gemahls los und streckte der jungen Gräfin die Hände entgegen.

„Guten Tag, herzliebstes Kind!“ rief sie in weichen, warmen Tönen! „Ja, nicht wahr, da kommt nun die Mama an und muß gleich schelten? … Aber es macht mir tödtliche Angst, Dich so springen zu sehen. … Denkst Du denn gar nicht an Deine kranke Brust?“

„Ich bin nicht brustleidend, Mama,“ sagte das junge Mädchen so eiskalt, als es dieser kindlich lieblichen Stimme eben möglich war.

„Aber Herzchen, willst Du denn das besser wissen als unser vortrefflicher Medicinalrath?“ fragte die Dame achselzuckend mit einem halben Lächeln. „Ich möchte Dir ja um Alles Deine Illusion nicht rauben; allein wir dürfen ein solches Mißachten des ärztlichen Ausspruchs nicht dulden – Du übernimmst Dich sonst. … Ich kann Dir sagen, ich bin furchtbar erschrocken, Dich auf dem Wasser zu sehen. … Kind, Du leidest am Veistanz, kannst den Arm nicht zwei Minuten still halten und willst trotzdem mit diesen armen, kranken Händen einen Kahn regieren?“

Die junge Gräfin antwortete nicht. Langsam hob sie ihre, Arme, breitete sie weit aus und blieb bewegungslos stehen, und so zartbleich auch ihr Gesicht war, so geschmeidig und biegsam auch die Gestalt dort stand, sie war in diesem Moment doch das strahlende Bild jugendlicher Kraft und Frische.

„Nun überzeuge Dich, Mama, ob mein Arm zittert!“ sagte sie, den Kopf mit einer Art von glücklichem Stolz zurückwerfend. „Ich bin gesund!“

Gegen diese Behauptung ließ sich augenblicklich nichts einwenden. Die Baronin sah seitwärts, als verursache ihr das Experiment Angst und Herzklopfen, aus den halbzugesunkenen Lidern des Ministers aber glitt ein eigentümlicher, scheuprüfender, Blick über die Arme, die sich, rosig bis in die Fingerspitzen und von marmorglatter Form, aus den zurückfallenden Muslinärmeln hervorstreckten.

„Strenge Dich nicht so übermäßig an, mein Kind!“ sagtet er, indem er die Rechte des Mädchens ergriff und niederbog. „Das ist nicht nöthig. Du wirst mir erlauben, mich vorläufig noch an die Berichte Deines Arztes zu halten, und diese – weichen denn doch noch ein wenig ab von Deiner Anschauungsweise. … Uebrigens habe ich nicht, wie Mama, Angst bei Deiner Wasserfahrt empfunden. Ich will Dir aufrichtig gestehen, daß mich die burschikose Art und Weise, das Haus zu verlassen und im Walde umherzustreifen, an einer Gräfin Sturm sehr befremdet. … Mit Dir mag ich indeß nicht so streng in’s Gericht gehen – ich schreibe dies absonderliche Gelüst auf Rechnung Deines Krankseins. … Sie dagegen, Frau von Herbeck“ – er wandte sich an die Dame, die mitgekommen war – „begreife ich in der That nicht. Die Gräfin kommt mir unsäglich vernachlässigt vor – wo haben Sie die Augen und Ohren gehabt?“

Wer hätte in her unförmlich dicken Erscheinung, die purpurroth vor Alteration dem Minister gegenüber stand, die ehemals so graciöse Gouvernante wiedererkannt!

„Excellenz haben mich bereits auf dem ganzen Wege bis hierher gescholten,“ vertheidigte sie sich tief gekränkt; „jetzt mag die Gräfin der Wahrheit die Ehre geben und mir bestätigen, daß ich über ihr geistiges und körperliches Wohl wie ein Argus wache - aber leider – da genügen tausend Augen nicht! … Wir sitzen vor einer Stunde im Pavillon, die Gräfin hat ein Glas voll Blumen vor sich, um sie zu zeichnen – da steht sie plötzlich auf und geht ohne Hut und Handschuhe hinaus in den Garten; ich bin in dem guten Glauben, sie will noch einige Blumen holen –“

„Nun ja, das wollte ich ja auch, Frau von Herbeck,“ warf das junge Mädchen mit einem ruhigen Lächeln ein; „nur hatte ich Sehnsucht nach Waldblumen –“


(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_148.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)
OSZAR »