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Seite:Die Gartenlaube (1869) 149.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Kaiserlich königlicher Aushülfs-Statist.“

Es war im Frühjahr 1855, als ich meine freundliche Wohnung in Wien am Ufer der Donau aufgegeben und meine Familie, aus Gesundheitsrücksichten, auf’s Land geschickt hatte. Ich selbst konnte mich jedoch nur auf Stunden von dem großen Ofen entfernen, in welchem mein Stückchen Brod gebacken wurde, und suchte mir daher ein bescheidenes Interims-Quartier. Bald glaubte ich gefunden zu haben, was ich suchte: Zimmer, Vorzimmer und Cabinet im zweiten Stockwerke eines kleinen Hauses der Wiedner Vorstadt.

Als ich die mir vom Hausbesorger bezeichnete Thür dieser Hofwohnung öffnete, trippelte mir ängstlich ein ärmlich, aber reinlich gekleidetes graues Mütterchen entgegen, schob mir eiligst einen Stuhl im Vorzimmer hin und lispelte bittend: „Pst! Pst! Nicht zu laut sprechen, lieber Herr! Sie können ja die ganze Wohnung von hier aus übersehen, nur das Cabinet kann ich Ihnen jetzt nicht öffnen. Wir dürfen ihn nicht stören.“

„Haben Sie einen Kranken in der Kammer?“ frug ich befremdet.

„Ach nein, krank ist er nicht, Gott sei Dank, aber er studirt,“ antwortete die alte Frau geheimnißvoll.

„Ihr Sohn?“

„Nein, mein Zimmerherr. Er studirt – den Anschütz.“

In der That hörte ich in diesem Augenblick Nathan’s herrliche Parabel im Cabinet recitiren. Es war keine klangvolle, bestechende Stimme, die sie sprach, aber eine Stimme, welcher die Wahrheit mehr als die Dichtung zu gelten schien. Es war nicht Anschütz, der berühmte Künstler, sondern Nathan, der weise Patriarch, den der Mann da in seinem Kämmerchen studirte.

„Ihr Zimmerherr ist also – Schauspieler?“ frug ich.

„Kaiserlich königlicher Aushülfs-Statist,“ antwortete das Mütterchen bedeutungsvoll, als ob es mir den vollen Titel eines Ministerialrathes bekannt machte.

„Ah – kaiserlich königlicher Aushülfs-Statist?“

Joseph Lewinsky.

„Durch Protection seines Lehrers, des Herrn Hoftheater-Inspicienten Wilhelm Just. Aber, du lieber Gott, es ist ein Titel ohne Mittel, darum muß der arme junge Herr Rollen schreiben und auch auf Vorstadtbühnen Statisten spielen, um sein kärgliches Leben fristen, seinen Lehrer honoriren und sich die Bücher ankaufen zu können, aus denen er studirt. Auch die Miethe für sein Kämmerchen zahlt er mir pünktlich und hilft mir nebenbei mit manchem Gulden aus bitterer Noth. Er selbst, das junge Blut, versagt sich Alles, lebt fast nur vom trockenen Brode allein und ist dennoch immer heiter und guter Dinge dabei. O, er ist ein Mensch mit dem Gemüth einer Taube, und Gott muß es ihm noch wohlergehen lassen, wenn mein Glaube an die Gerechtigkeit des Himmels nicht wankend werden soll.“

„Das Herz scheint er also auf der rechten Stelle zu haben, aber –“

„O, auch den Kopf, auch den Kopf, wenn man es ihm auch nicht zugestehen will,“ fiel mir das Mütterchen eifrig ins Wort. „Da haben sie ihm endlich nach langem Bitten und Harren eine kleine Rolle zugetheilt im Theater an der Wien, aber der Regisseur meinte, er könne nicht reden, und hat ihm kurzweg jedes Talent abgesprochen. Das hat sich der arme gekränkte junge Mann so zu Herzen genommen, daß er Wien verlassen und an einer kleinen Provinzbühne sein Glück versuchen will. Ach, Herr, ich bin eine alte Wittfrau, stehe allein auf der Welt, denn Gott hat mir alle Mutterfreuden versagt, aber so etwas wie Mutterschmerz werde ich dennoch kennen lernen, wenn mir und meinem lieben Joseph die Scheidestunde schlägt.“

Dem geschwätzigen Mütterchen rollten Thränen über die gefurchten Wangen, während sich da drinnen in der Kammer der kaiserlich königliche Aushülfs-Statist vom Schemel des Weisen auf den Thron des Tyrannen schwang, denn es war ein Monolog Richard’s des Dritten, den er jetzt declamirte.

Die deutsche Taube, die sich da als britischer Geier versuchte, war der neunzehnjährige Joseph Lewinsky, vor Kurzem noch Bruder Studio, ehe ihn die Armuth der Themis entführte, um ihn der Kunst in die Arme zu legen. Der junge Mann hatte nichts für sich, die kokette und dennoch oft so spröde Dame zu gewinnen. Er war klein, schmächtig, sein Organ beschränkt, fast monoton, auch trug er nichts weniger als einen Apollokopf auf seinen Schultern, aber auf seiner hohen Stirn glänzte das Gepräge einer eisernen Consequenz und aus seinen Augen flammte die reinste und innigste Liebe zur Kunst und Poesie.

Nicht nur der Regisseur des Theaters an der Wien, auch sein eigener Lehrer und viele Andere, die ihm nahe standen, suchten ihn von einem Wirkungskreise abzulenken, für den er nichts als den guten Willen mitbrachte, aber der Jüngling war ein Mann an Muth und Ausdauer und mochte sich wohl denken: je schwieriger der Kampf, desto ehrenvoller der Sieg.

Es gab Bühnenkünstler, wie Ludwig Devrient, Eßlair und Andere, von denen man mit den Römern sagen konnte: „Non fiunt – nascuntur“ (Sie werden nicht gemacht, sondern geboren.) Sie schwangen sich von der Mutterbrust der Natur an die Ammenbrust der Kunst und hatten dann nur die Kinderschuhe von sich zu schleudern, um als Männer fix und fertig zu sein. Sie siegten, ohne zu kämpfen, und fehlten auch mit geschlossenen Augen das Schwarze nicht. Nicht so Leman, Seydelmann u. A. Wo jene spielend das Ziel erreichten, hatten diese mit der ganzen Gewalt des Geistes Stein auf Stein der Barricaden abzutragen, welche die Natur auf der großen Kunststraße vor ihnen aufgethürmt. Zu diesen muthigen und unermüdeten Barricadenstürmern zählt auch Joseph Lewinsky.

„Ich kenne die engen Grenzen meiner äußeren Mittel,“ sagt er selbst in einer seiner Notizen. „Meine ganze Persönlichkeit erlaubt mir nicht, an die Sinnlichkeit des Publicums zu appelliren. Ich habe mich an seinen Verstand und an sein Herz zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_149.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
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