Verschiedene: Die Gartenlaube (1869) | |
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funkelten – nur eine First ragte dunkelbläulich schimmernd über sie hinweg – es war das vollständig renovirte, neu mit Schiefer gedeckte Pfarrhaus.
Der Minister zeigte mit dem Finger nach der dunklen Linie – ein kaltes Lächeln theilte seine bleichen Lippen und ließ die scharfgespitzten Zähne sehen.
„Mit dem dort wären wir fertig!“ sagte er.
„Excellenz – der Pfarrer?“ – rief Frau von Herbeck freudig erschrocken.
„Ist pensionirt. … Hm, wir geben dem Mann einfach Gelegenheit, zu erproben, wo er sein Brod leichter findet: in Gottes Wort, oder in Gottes Werken. … Der Mensch ist in der That ungeschickt genug gewesen, seine astronomische Gelehrsamkeit gerade jetzt in einem Buch der Welt zu präsentiren.“
„Gott sei Dank!“ rief Frau von Herbeck tief befriedigt. „Excellenz mögen nun darüber denken wie Sie wollen, aber den hat der Herr selbst verblendet und seiner gerechten Strafe entgegengeführt! … Excellenz sollten diesen Mann nur ein einziges Mal auf der Kanzel hören! Das wimmelt von Freigeistereien, von Blumen und Sternen, Frühlingshimmel und Sonnenschein – man glaubt jeden Augenblick, er will Verse machen. … Er war mein entschiedenster Widersacher, er hat mir meine erhabene Mission furchtbar erschwert – ich triumphire!“
Mittlerweile schritten die zwei Damen langsam durch die Allee.
Während Gisela’s Augen so tief nachdenklich am Boden hingen, als wolle sie die kleinen, weißgebleichten Kiesel zu ihren Füßen zählen, glitt der Blick ihrer Stiefmutter unermüdlich, mit einer Art von finsterer Forschung über sie hin. … Sie mußte jetzt aufsehen zu der Gestalt, die sie, verkümmert und jeglichen Jugendreizes entbehrend, bis noch vor einer halben Stunde in der Erinnerung festgehalten, der sie noch vor wenigen Wochen von Paris aus eine höchst elegante Haustoilette geschickt hatte mit dem stillmitleidsvollen Gedanken, wie entsetzlich wohl die kleine gelbe Vogelscheuche darin aussehen würde! … Waren Frau von Herbeck und der Arzt blind, daß sie nie auch nur, mit einer Silbe über diese merkwürdige Entpuppung berichtet hatten? … Die elegante, graciöse Frau von dreißig Jahren, hinter deren Stirn diese Betrachtungen fast fieberhaft kreisten, war noch blendend schön – allein die Jutta von Zweiflingen mit dem Duft und Schmelz der ersten Jugend war sie doch nicht mehr. Bei Abendbeleuchtung mochte dieser Kopf immerhin noch für achtzehnjährig gelten, jetzt aber, unter dem klaren Tageslicht, trat ein Verlust unerbittlich hervor – weiß war der Teint noch, allein nicht mehr frisch, er sah aus wie ein leicht zerknittertes, weißes Blumenblatt. … Vielleicht dachte die schöne Frau, indem ihr Blick so starr finster auf dem marmorglatten jungen Gesicht neben ihr haftete, an die rastlos nagende Sorge, die ihr dies beginnende leise Verwelken verursachte. …
Am Ende der Allee kam ein ziemlich bejahrter Lakai – er schien sehr erhitzt aus seiner geballten Hand, die er mit ängstlicher Vorsicht beobachtete, guckte ein munteres Vogelköpfchen. Er bog den alten Rücken fast bis zur Erde vor den Damen.
„Gnädige Gräfin haben heute Morgen einen guten Buchfinken gewünscht,“ sagte er zu Gisela; „der Greinsfelder Leineweber hat die besten Schläger auf dem ganzen Walde – und da bin ich gleich heute Nachmittag ’nübergelaufen. … Billig werden gnädige Gräfin das Thierchen freilich nicht haben – ’s ist dem Leineweber sein schönster Sänger. … Um ein Haar wär’ mir das kleine Ding unterwegs entwischt – ein Stäbchen am Bauer war zerbrochen.“
Er sagte das mit einem erleichternden Aufathmen – man sah, der Mann hatte Angst und Mühe gehabt bei dem Transport des kostbaren Vogels.
Die junge Gräfin strich zärtlich und behutsam mit der feinen Fingerspitze über das Köpfchen, das sich ängstlich duckte.
„Es ist gut, Braun,“ sagte sie. „Thun Sie das Thierchen in die Volière – Frau von Herbeck wird sorgen, daß der Mann seine Bezahlung erhält.“
In diesem Augenblick hätte der strengste Ceremonienmeister auch nicht den leisesten Tadel an ihrer Haltung finden können – das war die gebietende Herrin, die Hochgeborene, die nur Winke und Worte von der lakonischsten Kürze für ihre Untergebenen haben durfte – es war die Gräfin Völdern vom Kopf bis zur Zehe. … Die junge Dame hatte kein Wort des Dankes für den greisen Mann – er war in der glühenden Nachmittagssonne stundenweit gelaufen, um ihren lebhaft ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, der Schweiß perlte von seiner Stirn, und die alten Füße waren sicher todtmüde aber, das war ja der Lakai Braun, dem die Gliedmaßen dazu gegeben waren, sie zu bedienen – so lange sie denken konnte, setzten sich diese Arme und Füße für sie in Bewegung, diese Augen durften nicht lachen, nicht weinen in ihrer Gegenwart; der Mund nicht eher sprechen, als bis sie befahl – sie kannte keine Hebung, keine Senkung seiner Stimme, Alles ging unter in dem vorgeschriebenen devoten, halben Flüsterton. … Hatte dieser Mann innere Freuden und Leiden? Dachte und fühlte er? Das hatte die kleine Gräfin, die über die Möglichkeit eines Seelenlebens in ihrem Puß stundenlang gegrübelt, nie in das Bereich ihrer Betrachtungen gezogen – diese in ein und dieselbe Form gekneteten Menschen regten sie dazu nicht an.
Der Lakai verbeugte sich so tief, als sei ihm mittels der Versicherung, daß der Vogel bezahlt werden solle, eine unverdiente Gnade widerfahren, und entfernte sich auf leisen Sohlen.
Im Vestibüle trafen die beiden Damen mit dem Minister und der Gouvernante wieder zusammen. Seine Excellenz zog sich für einen Moment zurück, um seinen Anzug mit einem bequemeren zu vertauschen, und die junge Gräfin ging, ihrer Kammerfrau einen Auftrag zu geben, während die Baronin und Frau von Herbeck die Treppe hinaufstiegen.
„Haben Sie den Kaffee bestellt, Frau von Herbeck?“ fragte die Baronin.
„Er steht bereit, Excellenz,“ antwortete die Gouvernante und deutete einladend in einen Gang, der sich seitwärts vom Hauptcorridor abzweigte.
Die Baronin stutzte und zögerte, die niedrige Stufe zu betreten, die hinauf führte. In demselben Augenblick wurde die am gegenüberliegenden Ende des Ganges sichtbare Thür geöffnet – ein Bedienter trat heraus, und als er die Damen erblickte, schlug er beide Thürflügel zurück.
In einem weiten Saal, nahe an ein hohes Bogenfenster gerückt, stand der Kaffeetisch. Rubinrothe und feurigblaue Lichter guckten über das blinkende Silbergeräth und streckten sich riesig und gestaltlos auf das dunkle Getäfel des Fußbodens hin – der Fensterbogen umschloß eine uralte, prachtvolle Glasmosaik, und hinter den funkelnden Gewändern der durchsichtigen Heiligen erblühte das ehrliche Stückchen Thüringer Gegend draußen zu einem feenhaft bunten Wunderreich des Orients.
Ohne ein Wort zu sagen, aber mit dem Ausdruck eines mißfälligen Befremdens, durchschritt die Baronin rasch den Corridor und betrat den Saal. Es war derselbe an die Schlosskirche stoßende Raum, der für das Kind Gisela einst ein Gegenstand sehnsüchtiger Wünsche gewesen – und von den Wänden herab schauten die überlebensgroßen, tiefsinnig verkörperten Gestalten aus der biblischen Geschichte, um deren willen ehemals die Weltdame, Frau von Herbeck, consequent und mit Abscheu den Saal gemieden hatte, weil „sie stets schreckhaft davon träumte“.
Der Bediente war mit eingetreten; er rückte die altväterischen, gestickten, hochbeinigen Lehnstühle um den Tisch, zog vor eines der Eckfenster den Laden, weil die Sonne zudringlich und sengend in den kühlen, mit einer Art von Kirchenluft erfüllten Raum fiel, und wischte von einer Tischplatte den feinen Staubanhauch, der sich ohne Zweifel in einigen Minuten wieder erneuerte – diese uralten Wände, dieses fast schwarz gewordene Holzgetäfel des Fußbodens predigten wie die Wandgemälde dringend und rastlos das Ende alles Zeitlichen: „Staub, Staub!“
Die Baronin stand neben einem Lehnstuhl, auf dessen hohen Rücken sie ihren Arm stützte – sie hatte weder Hut noch Mantille abgenommen und wartete scheinbar ruhig, bis der Lakai fertig war, dann winkte sie ihm, sich zu entfernen.
„Meine beste Frau von Herbeck,“ unterbrach sie das peinliche Schweigen eiskalt und ohne ihre Stellung im mindesten zu verändern, „wollen Sie mir nicht erklären, wie Sie auf den Einfall kommen, mich hierher gleichsam zu dirigiren?“
„O mein Gott, wie mögen Excellenz eine harmlose Anordnung in der Weise deuten!“ rief die Gouvernante. „Die Gräfin ist sehr gern in diesem Saal – wir speisen hier, und ernst und beschaulich, wie mein ganzes jetziges Leben und auch das unserer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_163.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)