Verschiedene: Die Gartenlaube (1869) | |
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da, und hat wider ihre Hünen noch kein Athlet von Profession aus irgend einem Lande Europa’s obzusiegen vermocht, ja jeder französische Ringerkönig, der sie herauszufordern wagte, in’s Gras sinken müssen. Alles, was ich auf Turnplätzen und bei Schaustellungen von Athleten an Ringkämpfen gesehen habe, ist Kinderspiel gegen ein solches Schwingen. Vielfach ist in Deutschland die Meinung verbreitet, das Schwingen bestehe wesentlich darin, daß es darauf ankomme, den Gegner über den Kopf auf den Boden zu werfen. Dies ist indessen nur einer der zahlreichen Kunstgriffe, durch welche ein Sieg entschieden wird, – in Wirklichkeit ist das Schwingen ein gewaltiger Ringkampf, bei dem alle nur denkbaren ehrlichen Griffe und Bewegungen angewendet werden, um den Gegner zu besiegen, d. h. auf den Rücken zu werfen. Dabei wird eine eiserne Zähigkeit, eine Schnellkraft und eine Muskelgewalt entwickelt, daß man eher Männer aus Stahl denn aus Fleisch und Bein vor sich zu sehen wähnt und wohl begreifen kann, wie einst ihre Väter bei Sempach und Morgarten die Eisenpanzer der Ritter mit Keulen und Morgensternen in Stücke schlugen.
Wenn man in den Alpen oft sieht, wie Lasten von hundert, hundertfünfzig, ja zweihundert Pfund und darüber auf steile Berge von acht- bis neuntausend Fuß sechs bis sieben Stunden weit auf dem Rücken von einem einzelnen Mann heraufgetragen werden, und wenn man dann erfährt, daß es nur die Blüthe der Mannschaft, die Auserlesenen aus diesem Kraftgeschlecht sind, welche sich zu einem öffentlichen Schwingfeste zu melden wagen, so wird man unsere Behauptung nicht mehr für übertrieben ansehen.
Es ist drum auch kein Wunder, daß ein Schwingfest mit derselben Leidenschaft besucht wird wie ein Wettrennen in England, nur mit dem Unterschiede, daß es auf ersterem anständiger und nüchterner zuzugehen pflegt.
Als wir an einem in Sonnenglanz strahlenden Sonntage des August 1867 Morgens um acht Uhr von Bern mit einem Extrazuge abfuhren, hatte das Dampfroß schon Gäste aus Zürich, Biel, Basel und den Zwischenstationen gebracht, die sämmtlich in einem besonders bestellten Dampfboote, welches noch einen Schleppkahn anhing, über den Thuner See gesetzt wurden. Der Schauplatz konnte nicht besser gewählt sein: ein natürliches Amphitheater an der Burgruine Unspunnen, hinter dem Rugen bei Interlaken – ein mit grünem Rasen bedeckter Kessel, der von allen Seiten mit Wald und Hügeln begrenzt ist, über welche das schneebedeckte Haupt der Jungfrau im Silberglanze herabstrahlte. Um den weiten Kampfplatz waren im Kreise Sitzbänke amphitheatralisch übereinander errichtet und die Abhänge ringsum von gegen fünftausend Zuschauern besetzt, worunter die Berner Mädchen in ihrer zierlichen Tracht, den schwarzen Miedern, den blendend weißen Hemdärmeln und Busentüchern, an denen die reichen silbernen Ketten herabhängen, einen überaus freundlichen, herzigen Anblick gewähren. Gar drollig nahm sich da mancher spindelbeinige französische und italienische Tourist, von denen es in Interlaken damals wimmelte, unter den Bärengestalten des Emmenthals aus.
Während beim Schwingen zu Langnau im Emmenthal (1866)[1] nur Emmenthaler und Oberländer vertreten waren, hatten sich diesmal zu den Recken aus diesen beiden Landschaften die Söhne Unterwaldens (ob dem Wald) und des Simmenthals gesellt. Das gab dem Ringkampf mehr Aufregung und Mannigfaltigkeit; denn die Paare werden in der Regel von den Kampfrichtern so erlesen, daß Thal gegen Thal kämpft. Ohne zu fragen, erkennt man da gleich die Emmenthaler am gewaltigen Gliederbau, die Oberländer an der schlanken Figur und der Gewandtheit. Man hat es offenbar mit zwei verschiedenen germanischen Stämmen zu thun: die Emmenthaler sind zweifellos Alemannen, – die Oberländer neueren Forschungen gemäß wahrscheinlich Abkömmlinge der Burgunder, deren Burgen historisch bis nach Thun reichten.
Präsident des Kampfgerichts war ein bewährter Turner und Schwinger, der Director der Irrenanstalt Waldau bei Bern, Dr. Schärer. Ihm zur Seite stand u. A. Advocat Berger von Bern, dem ich einen Theil meines Materials verdanke. Die erste Arbeit des Kampfgerichts war kitzliger Natur. Es hatte sich eine so vermehrte Zahl von Schwingern gemeldet, daß über vierzig zurückgewiesen werden mußten, weil es sonst unmöglich gewesen wäre, das Fest am gleichen Tage zu beendigen. Da gab es manche Unzufriedenheit und manches Zorneswort von Seiten Solcher, die sich vergebens wochenlang vorbereitet, geübt, gefreut, heute vor allem Volk die Stärke ihres Armes zu zeigen. Es wurden zwei Kampfreihen aufgestellt; die Unterwaldner standen zu den Oberländern, die Simmenthaler zu den Emmenthalern. Sechsunddreißig Paare wurden eingeschrieben, die Hälfte mehr, als bei jedem früheren Feste.
Gegen elf Uhr setzte sich der Festzug von Unterseen aus in Bewegung. Voran vier Staatsbursche in gestreifter alter Schweizertracht, mit mächtig wallenden, freilich falschen, Bärten, mit Hellebarde und Morgenstern; dann ein gewaltiger Bär (Mutz), das Symbol und Wappenthier von Bern, an dem alle Berner in mit rührendem Humor gemischter Vorliebe hängen; hierauf acht blumenbekränzte Preisschafe, von achtjährigen Knaben in zierlicher Kühertracht geleitet; ferner Kampfgericht, Festcomité und Schwinger nebst den Tausenden von Zuschauern, welche sich anschlossen, – so stolzirte der Zug, die muntere Feldschützenmusik von Interlaken vorauf, unter der umsichtigen Leitung des Platzcommandanten von Greierz das herrliche, festgeschmückte Gelände entlang nach dem eine halbe Stunde entfernten Festplatz, vom Jubel des Volkes begrüßt. Da sah man noch alte Schwinger, die vor bald fünfzig Jahren ihre Triumphe gefeiert, inmitten des Zuges, wie Beerpeter und Sandmattenfritz; die alte Lust, die einst so mächtig gewogt, hatte sich noch einmal gerührt und sie hierher getrieben, um zu sehen, was die Jungen vermögen.
Als der Zug in die wohlthuende Kühle des Rugenwäldchens einlenkte, wurde der Bär (Mutz) von Sturm und Drang des Festgeistes so mächtig erfaßt, daß er zur Seite springend eine junge Fichte ausriß und diese dröhnend hinstürzte. Männiglich war man erstaunt über dieses ungeheure Kraftstück. Böse Zungen waren zwar nachher ruchlos genug, zu behaupten, daß es nicht ohne Vorbereitung geschehen.
Auf dem Ringplatze angekommen, lagerten sich die zwei Parteien der Schwinger zu beiden Seiten des inneren Kreises, das Kampfgericht dazwischen, – so zwar, daß Raum genug in der Mitte für die Ringenden blieb.
Mehr und mehr werden rings die Abhänge des Wald-Trichters von zuströmenden Zuschauern aus allen Ständen und Ländern angefüllt. Die Musikchöre lassen ihre hellschmetternden Fanfaren ertönen; dazwischen jodelt der traute Alphornreigen. Ein Gesumme und Gemurmel der Freude schwebt über dem ganzen Festtreiben, hie und da von den Auf- und Zurufen der schweißtriefenden Kampfrichter unterbrochen.
Aller Augen und Herzen sind auf die Kämpfer gerichtet! Jetzt wird’s mäuschenstille; Jedermann hält den Athem an sich: – zwei gewaltige Ringer haben sich gefaßt, der eine schwebt in der Luft, der andere dreht ihn sausend im Kreise, um ihn auf den Rücken zu fällen; jetzt fährt er kopfüber zur Erde, aber im Fallen rafft er sich zusammen, berührt mit einem Fuß den Boden, schnellt sich wie eine Stahlfeder empor, mit gewaltiger Faust nun den andern in die Luft hebend und zu Boden fällend! Da bricht aus den gelagerten Haufen der Oberländer oder der Emmenthaler Schwinger wildes Beifallsjauchzen aus, welches auch das übrige Publicum ansteckt, daß es mit Hand und Mund die schönsten und aufregendsten Schwünge begleitet. Am geschäftigsten ist es aber stets in dem Schwingerkreise selbst. Jeder ist erwartungsvoll, wann er aufgerufen werde, und ermißt zum Voraus die Chancen des Kampfes mit dem ihm bestimmten Gegner. Da fährt Einer schon eine halbe Stunde vorher in die Schwinghosen[2] und rollt sie so weit als möglich herauf, um dem Gegner den Griff zu erschweren, während ein Anderer mit schlottrigen Buxen ganz gemüthlich und sorgenlos zum Kampfe herantritt. Da läßt sich noch Einer die nervigen Arme mit Wein oder Wasser begießen, ein Anderer nimmt einen Grashalm in den Mund, um sich in den Anstrengungen des Riesenkampfes die Zähne nicht zu sehr zu zerknirschen!
Wir können unseren Lesern nicht zumuthen, die Kunstgriffe der Schwinger bis in’s Einzelne zu verfolgen, einzelne Typen müssen wir aber doch hervorheben. Ganz originell, dem schweizerischen Schwingen eigenthümlich, sind zwei so zu sagen taktische Bewegungen: Die eine besteht darin, den Gegner in die Luft zu heben, ihn rasch zu drehen und ihn sodann auf den Rücken
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_167.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)