Verschiedene: Die Gartenlaube (1869) | |
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zu werfen; die andere wird von Solchen angewendet, welche sich
schwächer fühlen, und besteht darin, daß der Schwächere sich auf
die Kniee niederläßt, sich so gegen seinen Gegner stemmt, ihm
jeden Zoll streitig macht und am Boden klebend, gleichsam wie
Antäus von Mutter Erde immer neue Kraft zu gewinnen sucht.
Mit wechselndem Glück setzt der Kampf sich fort, indem den jüngeren Schwingerpaaren stets die älteren folgen, die Unterwaldner und Oberländer durch List und Gewandtheit die Stärke der wuchtigen Emmenthaler zu paralysiren suchen; denn seit Jahren haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, Alles zu studiren, wodurch sie aus ihrem in der Regel leichteren Körperbau den möglichst großen Vortheil gegenüber den kolossalen Emmenthalern ziehen können. Da wird schon beim „Einhängen der Griffe“[1], bei der zuerst einzunehmenden Stellung des Leibes und der Schenkel die größte Sorgfalt angewendet, bis plötzlich bei der geringsten Blöße des Gegners die Vertheidigung in den Angriff übergeht und durch einen rasch ausgeführten Kunstgriff ein beifallgekrönter Sieg erfolgt, ohne daß der Besiegte selbst noch recht weiß, wie Alles zu- und hergegangen ist. Das ist denn immer ein sehr fataler Moment für die betroffene Partei: der phlegmatische Emmenthaler fängt an unruhig zu werden; ein bereits grau gewordener Schwinger, der es sich nie nehmen läßt, noch als Rathgeber unter seinen Landsleuten zu erscheinen, bekommt gelindes Herzklopfen, steht aus seiner behaglichen Lagerung am Boden auf und mahnt kopfschüttelnd die „Buben“ ihre Aufgabe mit größerem Ernste anzupacken.
Da trat ein Ringerpaar auf, bei dessen Anblick es fast feierlich stille unter den Schwingern wurde, und unter den Zuschauern geht es von Mund zu Mund: jetzt fangen die „Rechten“ an. Es sind nicht mehr jugendlich rasche Bursche, die zuweilen durch ungestümes Dreinfahren oder trotziges Verlassen auf große Körperstärke sich allfällig in üble Positionen bringen lassen, sondern es sind Männer durch und durch, welche in den Circus treten, Kämpfer von erhärteter Kraft und erprobter Kunstfertigkeit, die ersten in ihren Thalgebieten weit und breit. Die Meisten derselben kennen sich untereinander, sei es durch einen Hosenlupf, den sie selbst ausgemacht, sei es vom Hörensagen. Man weiß, mit welchem Schwung der Eine im Entlibuch obgesiegt, auf welche Weise der Andere auf allen Schwingerplätzen des Emmenthales aufgeräumt hat und wie dem Dritten beim „Dorfet“ der Unterwaldner und Haslithaler Alle unterlegen sind. Drei Paare dieser Schwingerfürsten zieren diesmal den Kampfplatz. Zuerst tritt ein Rathsherr von Unterwalden in den Kreis. Bei dem schönen Ebenmaß seines schlanken Wuchses tritt besonders über den Schultern und an den netten Armen so viel Athletisches hervor, um den kräftigen Ringer in ihm errathen zu lassen; Haltung und Blick zeigen etwas Zuversichtliches, doch nichts Herausforderndes; mit einem Grashalm zwischen den Lippen spielend erwartet er den Gegner.
Dieser kommt langsam auf ihn zugeschritten; es ist ein wahres Ungethüm von einem Mann; stierartig, jeder Zoll ein Emmenthaler. Dieselben geben ihm den zweiten Rang unter den Ihrigen, glauben aber, daß weder im Entlibuch, noch diesseits und jenseits des Brünig seines Gleichen zu finden sei. Der Unterwaldner legt sich zum Angriff auf’s rechte Knie und sucht mit ausgestreckten Armen und tiefgesenkter Schulter den mächtig andringenden Gegenpart abzuhalten; dieser rückt mit kleinen Schritten immer näher, zieht immer fester an und drückt mit der ganzen Wucht seines gigantischen Leibes auf den entgegenstemmenden Gegner, – schon sieht Jedermann den Augenblick, da dieser emporgehoben wird, – da plötzlich, fast allen Zuschauern unbegreiflich, stürzt kopfüber in einem förmlichen Purzelbaum, als ob er es aus freien Stücken gemacht hätte, der Emmenthaler auf den Rücken. Es geschah dies mit dem sogenannten Stich, welchen die Unterwaldener mit besonderer Gewandtheit ausführen. Weitschallendes Jauchzen der hochaufspringenden Unterwaldener bei diesem glänzenden Siege, wobei auch ihre Alphornbläser eine Siegesweise anstimmen! Das nächste Mal[2] benutzt nun aber der Emmenthaler seine Stärke besser: kaum in den Griffen, zieht er wie mit einer eisernen Winde den Unterwaldener an sich, hebt ihn langsam, Körper ganz an Körper, vom Boden auf und legt ihn dann, ein pures Kraftstück, vor sich nieder. Das dritte Mal triumphirte nach hartnäckigem Kampfe wieder die Gewandtheit über die Kraft, indem der Emmenthaler einem unerwarteten Schlag in die Kniekehle unterlag.
„Es ist Zeit, daß ich es den Jüngeren überlasse,“ sagte der Besiegte, als Beide sich mit dem üblichen Handschlage, dem Zeichen, daß Treue und Freundschaft durch den vorübergehenden Kampf nicht gestört werden solle, zurückzogen.
„Und für mich ist’s auch das letzte Mal, daß man mich auf öffentlichem Platze schwingen sah,“ erwiderte treuherzig der Rathsherr. „Denn nie könnte ich rühmlicher meine Laufbahn als Schwinger schließen; zudem muß ich bekennen, daß es zwei Mal nur an einem Häärlein lag, daß nicht ich, sondern Du gewonnen hättest.“
Bereits schickten sich wieder zwei stattliche „Mannen“ zum Zweikampf an: es ist der erste Schangnauer Schwinger, was genug sagen will, um jede ferneren Lobsprüche überflüssig zu machen, und ihm gegenüber der auserlesenste Kämpe aus dem Oberhasli. Beide kennen sich genau, denn sie haben sich in früheren Jahren schon zwei oder drei Mal geprüft, und der Schangnauer hatte öfter geäußert: es sei Keinem weniger zu trauen, als diesem zähen und unerhört gewandten Gemsenjäger, der übrigens mit der letzteren Eigenschaft noch eine seltene Stärke verband. Da wurde man gewahr, was Schwingen sei. Mit einem wahren Katzensprung hatte der Gemsenjäger sofort die rechte Flanke des Schangnauers gewonnen; dieser aber drehte sich „wie ein Wetterleich“ und faßte wieder Stellung. Dann standen Beide einander gegenüber, Nacken fest an Nacken, wie zwei Stiere, die auf der Alp das erste Mal zusammentreffen und um die Ehre der Führerschaft der Heerde streiten. Nun zieht der Schangnauer ein; eisenhart springen die gewaltigen Muskeln seiner Arme hervor, aber der Oberhasler drückt so fest zu Boden, daß keine Kraft ihn demselben entheben kann.
Endlich sind nach unfruchtbarem Gange beide Kämpfer genöthigt, einander „fahren“ zu lassen. Geröthet im Gesicht, den Brustkorb von tiefen, schnellen Atemzügen auf und niederwallend und für den Augenblick zu jeder Anstrengung unvermögend, gönnen sich Beide für kurze Zeit Erholung. Und wieder arbeiten Beide sich auf die gleiche Weise ab, daß alle Adern anschwellen, der Athem zu versiechen droht und Beide wieder ermattet hinsinken. Da bricht es fast zu wild auf an dem ehrbegierigen Oberländer, der sich schon lange in keinen Widerstand mehr schicken konnte.
„Dies Mal muß es den einen oder anderen Weg gehen!“ sagte er mit bestimmtem Tone.
Und wirklich ist in plötzlich kühnem Angriff der Emmenthaler unterlaufen, wird aufgehoben und auf den Nacken geworfen, als ob er nie gestanden hätte. Er war gezwungen, vom ferneren Kampf abzustehen, da es ihm schier schien, als sei das Genick so etwas in’s Ungleis gekommen. –
Jetzt Morgenstern und Zweihänderschwert herbei! Da erschienen zwei Löwengestalten, welche zu solchen Instrumenten wie geschaffen sind. Der Eine ist das Haupt der Entlibucher, besonders bekannt durch den glänzenden Zweikampf, in welchem er vor Kurzem einen sogenannten französischen Ringerkönig, der prahlend die stärksten Schweizer herausgefordert, besiegt hatte; der Andere ist nach einstimmigem Urtheil die erste Schwingergröße des Emmentales. Zwei saure Gänge blieben unentschieden, da der Entlibucher, rein auf seine Vertheidigung bedacht, mit Armen, Schultern und Nacken den gefährlich eindringenden Nebenbuhler vom Leibe zu halten suchte. Im folgenden Schwung errang der kundige Emmenthaler einen Sieg, daß selbst der auf’s Knie gebückte und aufmerksam allen Bewegungen lauschende Obmann aufsprang, in die Worte ausbrach: „Schöner nützt nichts!“ und gleich darauf dem Entlibucher Balsam in die Wunde träufelte.
Keiner hatte den Kampf dieser beiden wehrhaften Männer genauer beobachtet, als der Gemsenjäger aus dem Oberhasli, Zurflüh, der zum Schluß noch mit dem siegreichen Emmenthaler, Hans Ulrich Beer von Trieb, in den Ausstich kam. Er hatte sich jede Stellung, jedes Anziehen, die Art des Aufladens und Ausleerens des Gewaltigen gemerkt, mit dem er nun an die Reihe kam. „Das ist jetzt nicht zum Spaßtreiben!“ hieß es, als diese zwei Meister in den Kreis traten, und dann wurde es ringsum
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_168.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)