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Seite:Die Gartenlaube (1869) 170.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

jenes der Natur, dies der Kunst, wecken, in die allgemeine und gleichartige Strömung des Wohlgefallens am Schönen überhaupt, aber die Bewunderung der nachahmenden Hand des Künstlers ist eine anders motivirte als die des waltenden Schönheitsgesetzes in der Natur. Die Thätigkeit des Verstandes ist bei Betrachtung beider Erscheinungen eine andere. Im Blumengarten (ich erinnere mich, die meisten Blumengärten in Paris liegen – in jener stillen Straße, die zum Père la Chaise führt!) ordnen Sie die einzeln betrachtete Rose einer durchaus anderen Ideenverbindung unter, als die kostbare, die Sie in der Rue St. Honoré bewunderten. Dort beruhte Ihre Anerkennung auf einem Gefühl, hier auf einem Urtheil.

Welches ist nun jene gleichartige Strömung, worin sich beide Eindrücke wiedervereinigen, der vom Natur- und der vom Kunstschönen empfangene – sagen wir von einem Abend auf dem Genfersee und von einem Gemälde, worin Calame’s Meisterhand diesen Zauberanblick festhielt? Oder von einer edlen That, die Sie zu Thränen rührte und erschütterte, und – von einem Drama Lessing ’s, worin der Verlauf derselben noch einmal wiederholt wurde? Worin liegt das Beleidigende des Häßlichen? Worin das Wohlthuende des Schönen – sagen wir des Scheins, denn – nach dem tiefen Gedankeninhalt unseres deutschen Sprachschatzes ist das Schöne das Scheinende oder das Schauende, letzteres in dem Sinne, wie wir noch heute sagen: Wie schaut die Sache aus?

Bis auf die neueste Zeit hin hat man gestritten über eine vollkommen ausreichende Erklärung für den Begriff des Schönen, einen Begriff, der alle Ausstrahlungen in die Welt hinaus, wo uns Schönes begegnen kann, vom gestirnten Himmel an bis zu einem Kranz glänzender Toiletten im ersten Rang eines Opernhauses zusammenfaßt. Ein Professor in Göttingen, Hermann Lotze, hat für das, was seit dem Erfinder des aus dem Griechischen gebildeten Wortes „Aesthetik“, seit Alexander Gottlieb Baumgarten, einem Halle’schen Professor aus der Allongenperrückenzeit, lediglich in Deutschland für die Lehre vom Schönen geleistet worden ist, eine besondere, vor Kurzem erschienene Geschichtserzählung herausgegeben. Ich erwähne diese gewissenhafte Arbeit besonders auch um deswillen, weil ich Ihnen bei dieser Gelegenheit für einen Aufenthalt, nicht etwa in Baden-Baden, dort ist man zu zerstreut, aber in Biarritz oder Scheveningen, am monotonen und doch so erhaben anregenden Meer, eine Lectüre anrathen möchte, die Ihnen die Fülle neuerer Forschungen auf dem Gebiet der Lehre vom Menschen, als dem Abbild des Universums, zusammenstellt und sie in ausgezeichneter Darstellung prüft, verwirft oder anempfiehlt, Lotze’s „Mikrokosmus“. Dies aus drei Bänden bestehende Werk (Leipzig, Hirzel) kann nicht auf einmal aufgenommen werden, etwa wie ein neuer Roman von Feydeau. Den von ihm gewährten Genuß und die Belehrung muß man sich eintheilen. Schon daraus, daß der Verfasser die Philosophie mit dem Studium der Naturwissenschaften und der Medicin verbunden hat, ersieht sich der besonnen gelegte Grund seiner Erörterungen, die allen Interessen gelten, die dem Menschen als Menschen von Werth sein müssen. Die Darstellung Lotze’s verliert sich zuweilen in Goethisirende Vornehmheit und eine die Glätte des Marmors mit dessen Kälte verbindende Weise, doch an manchen Stellen erhebt sie sich auch wieder zu einem mächtigeren Schwunge, besonders dort, wo die Beweisführung gegen [Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]]’sche Lehrsätze eintrat, namentlich gegen den Bann, in welchen die vom Leben gewährte Fülle der Erfahrung, die Uebung der menschlichen Freiheit, die offene Strömung in den Entwickelungen der Geschichte durch Formeln eingezwängt werden soll, die diesem Gegner Hegel’s nur als todte Worte und leere Namen gelten können.

Es kämpfen nämlich in Allem, was ein Gegenstand unseres Nachdenkens (auch unserer Handlungen und Entschließungen) geworden ist, so auch auf dem Gebiet des Schönen, zwei Richtungen miteinander, die ideale und die reale. Jene sagt mit Schiller: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut!“ Diese – Sie haben ja von der Affentheorie gehört (allerdings wohl nur eine Uebertreibung einer anerkennenswerthen Richtung) –: Der Geist ist die Blüthe, die aus dem Stamm des Körpers entsteht, mit ihm verwelkt, mit ihm vergeht! Uebertragen auf die wissenschaftlichen Gebiete und in unserem Fall auf die Lehre vom Schönen, so würden sich zu unseren beiden Rosen diese einander feindlichen Schulen gar wunderlich verhalten. Wir wollen aber nur beim Neusten verweilen: J. H. von Kirchmann’sAesthetik auf realistischer Grundlage“ (Zwei Bände, Berlin, Springer 1868).

Den Autor dieses beachtenswerthen Werkes anlangend, so hat dessen Stellung einige Aehnlichkeit mit derjenigen, in welche bei Ihnen neulich der Baron Segnier geraten ist. Wenn Sie sich diesen Staatsanwalt abgesetzt, seiner Meinungen wegen beungnadet und heute eine Vorlesung in einem Handwerkerverein der Salle Valentino, morgen eine über Musik oder Landschaftsmalerei in der Salle Herz haltend denken, nebenbei in der Kammer sitzend, wo ihn jedoch ein schwaches Organ und vielleicht ein gewisser Mangel an Temperament verhindert, energisch in die Verhandlungen einzugreifen, so haben Sie ungefähr die Stellung unsres Herrn von Kirchmann. Zur Zeit der Märzrevolution war er ein jüngerer Richter, dem die Zukunft und das nächste vacante Portefeuille der Justiz zu gehören schien. Schon damals blickte aus seinen Plaidoyers als Staatsanwalt der Denker. Die Reaction versetzte ihn an ein Obergericht als Präsident, seine Abstimmungen mißfielen dem Manteuffel’schen System, er bekam durch eine halbe Entlassung die unfreiwillige Muße, seinen Neigungen für Kunst und Wissenschaft zu leben. In unserm Elb-Florenz beschäftigte ihn Aristoteles, Spinoza und die Gemäldegalerie. Heute wieder angestellt, morgen wieder auf’s Neue entlassen, hat er sich aus seinen Beschäftigungen mit dem, was über allen äußern Glanz und Flitter erhaben ist, eine Gleichgültigkeit für die Beurtheilung der Welt entnommen, die fast an Lässigkeit streift. Wenigstens entspricht die ergebene Haltung, die er behauptet, einer Eigenschaft seines Naturells, die sich in den Schriften, mit denen er seither Freund und Feind überrascht hat, charakteristisch wiederspiegelt. Sollen wir seinen scharfsinnigen, wahrheitsliebenden Geist, der in die Tiefe, in die Wesenheit der Dinge strebt, doch vielleicht ein wenig – nüchtern nennen? Er muß es vergeben, thäte man es; denn die Lehre vom Schönen verträgt keine Ueberschwänglichkeit, noch weniger aber ein Untermaß.

Kirchmann will gefunden haben, daß das Schöne „das idealisirte, sinnlich angenehme Bild eines seelenvollen Realen“ sei. Erschrecken Sie nur nicht sogleich über diese gelehrte Form eines einfachen Satzes! Das „Reale“ ist hier jeder beliebige Gegenstand, „das Bild eines Realen“ der in die Sinne fallende Eindruck desselben. Dieser Eindruck soll eine dreifache Eigenschaft besitzen. Er soll erstens angenehm wirken und zwar zweitens dadurch, daß der Gegenstand als idealisirt, d. h. als auf eine Stufe der Vollkommenheit erheben, und drittens wie mit einer Seele begabt, d. h. als lebendig, beinahe selbstthätig gedacht wird. Im Wesentlichen bietet diese Erklärung nichts Neues. Sie ist die alte, nach der Lehre vom Wesen und Sein der Dinge gegebene Hegel’sche Erklärung, übersetzt in die Lehre von der menschlichen Seele, die allein darüber die Entscheidung hätte, was schön sei; der Gelehrte würde sagen: übersetzt aus Metaphysik in Psychologie. Warum noch die Verstärkung des als vollkommen und angenehm empfangenen Eindrucks mit „seelenvoll“ stattfindet, ist aus Kirchmann’s Buch zu ersehen. Doch glaube ich, unser Verfasser hat sich eine rechte Last aufgebürdet. Denn was muß er Ihnen nun, um des Seelenvollen willen, von unsrer Centifolie sagen? Sie wäre schön, weil sie – eine Seele zu haben schiene, d. h. einen beinahe bis zum Selbstbewußtsein gesteigerten Organismus. Wem dieser Gedanke bei einem Rosenstock gekommen, der muß in der ganzen Natur Najaden, Dryaden, Oreaden und was nicht Alles wiederfinden, muß immer nach Vergleichungen des Todten mit dem Lebenden suchen und wird eine Rose gar nicht mehr abzupflücken wagen. „Seelenvoll“ – es klingt bei unserem sonst verstandeskühlen Verfasser überraschend zart. Doch zwingt ihn seine Lehre zu den wunderlichsten Erläuterungen und Vergleichungen, um nur in die Dinge die Vorstellung von einer durch unsere Betrachtung hervorgerufenen Beseelung derselben zu bringen. Fast möchte ich glauben, er hat einen anderen Gedanken geahnt, den er nur unrichtig ausdrückte. Nicht das Gefühl, die Rose sei beseelt, d. h. nähere sich der organischen Welt, dem Leben des Thiers, macht sie schön, sondern die Vorstellung, daß sie zu einer Gattung gehört und dennoch ein individuelles, für sich bestehendes, alleiniges Dasein hat. Dem Schönen muß die Eigenschaft innewohnen, daß man von ihm sagen kann: es ist einzig in seiner Art. Bei Rosen, deren es Hunderttausende von gleicher Schönheit giebt,

ist die gemeinsame Schönheit die, daß sie als Rose einzig ist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_170.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)
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