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Seite:Die Gartenlaube (1870) 247.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

eigentlich hineingewachsen bin, mit einer Fülle von Erinnerungen und noch genug Schaffenskraft, mich ihrer zu erfreuen, ja auch mit dem Bewußtsein, manches Gute gethan und manchem Menschen genützt zu haben, fühle ich mich hier an meinem Schreibtische genau so wohl, als ob ich da draußen auf flüchtigem Renner durch die Pampas hetzte oder unter einem Fruchtbaume am Meeresstrande der donnernden Brandung gegen die Korallenriffe lauschte.

Da haben Sie meine Lebensbeschreibung, lieber Keil. Ich bin, wie gesagt, kein Gelehrter, aber

„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald, in Strom und Feld“;

und in diesem Sinne kann ich mich wirklich und wahr einen „Schriftsteller von Gottes Gnaden“ nennen, als der ich mich zeichne

Ihr
alter getreuer 
Friedrich Gerstäcker. 

Braunschweig, im März 1870.




Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
IV.

Sie kennen, Madame, die Lieder von der Lorelei, von den Lotosblumen und Gazellen der heiligen Ganga; Sie kennen den am Clavier gesungenen Heinrich Heine; aber was sich von diesem Dichter in Noten setzen läßt, das ist nicht sein Eigenstes; es sind vielleicht seine schönsten Lieder; aber die spöttisch lächelnden oder schmerzlich zuckenden Lippen des Dichters, mit denen er sie gesungen hat, spiegeln sich nicht in diesen reinen Liederklängen. Und Heine war nicht blos ein Liederdichter; er war einer unserer witzigsten Prosaiker, unserer schärfsten Satiriker, unserer schlagfertigsten Kritiker und Publicisten. Haben Sie gehört von seiner Matratzengruft, von seinem Märtyrerthum? Das Gerücht davon ist auch bis in Ihre der modernen Literatur so fremde Einsamkeit gedrungen; aber die Eigenthümlichkeit dieser ganzen Erscheinung, dieses frivol spottenden Märtyrers, der mit dem Heldenmuth des souverainen Witzes einer schmerzhaften und unheilbaren Krankheit Trotz bietet, läßt sich nicht aus oberflächlichen Berichten erfassen.

Es war im November 1851, als ich den kranken Poeten in seiner „Matratzengruft“ der Rue d’Amsterdam aufsuchte. Und dieser November war so naßkalt-unheimlich; in der Luft lag bereits der Staatsstreich, der ihm auf dem Fuße folgte. Auf dem Marsfeld exercirten die Truppen in Feuer; auf der Brücke von Jena begegnete ich dem Cäsar, der ein paar Tage darauf den Rubicon überschreiten sollte. Wie eine wilde Jagd brauste sein Gefolge auf schnaubenden Rossen an mir vorüber; so trotzig, keck, unternehmungslustig blickten diese Gesichter; es schien mir ein Zug von Abenteurern zu sein; diese Marschälle zeigten etwas von der Bravour des Circus; ich dachte an das Abenteuer von Straßburg und Boulogne, aber nicht daran, daß es so bald sich blutiger und erfolgreich auf dem Macadam der Pariser Boulevards wiederholen würde.

Der kranke deutsche Dichter im Hinterhause der Rue d’Amsterdam, den nicht einmal das Geräusch der Fiaker in der unruhigen Weltstadt störte, vernahm nichts von dem militärischen Lärm des Marsfeldes, wie auch später das Echo von den Fusilladen der Boulevards nicht in seine Folterkammer drang. Seine Begeisterung für den ersten Napoleon hatte er nicht auf den Prinzpräsidenten übertragen, der überhaupt damals unterschätzt wurde; der gute König Louis Philippe mit dem Regenschirm und dem bürgerlichen Händedruck und seinem etwas steifleinenen Minister Guizot, der auch als Staatsmann den Professor nicht verleugnete, waren dem Dichter sehr ans Herz gewachsen; hatte er doch als deutscher Flüchtling von ihnen eine Pension erhalten. So durfte er die Februar-Revolution ein beklagenswerthes Ereigniß nennen!

Ich war bei meinem Besuch mit guten Empfehlungsbriefen ausgerüstet; denn bei einem Dichter kann man nicht besser empfohlen sein, als durch seinen Verleger, wenn er nämlich diesen selbst, was nicht immer der Fall sein soll, als den besten aller Verleger empfiehlt oder gar in unsterblichen Versen besingt:

Ich aß und trank mit gutem App’tit
und dachte in meinem Gemüthe:
„Der Campe ist wirklich ein großer Mann,
Ist aller Verleger Blüthe.

Ein and’rer Verleger hätte mich
Vielleicht verhungern lassen,
Der aber giebt mir zu trinken sogar,
Werde ihn niemals verlassen.

Ich danke dem Schöpfer in der Höh’,
Der diesen Saft der Reben
Erschuf, und zum Verleger mir
Den Julius Campe gegeben!“

Und ich brachte nicht blos einen Brief von diesem Veteranen des Buchhandels, mit welchem der Dichter so oft geschmollt, immer aber sich wieder verständigt hat; ich brachte auch die ersten Exemplare des „Romanzero“, und sie hatten noch dazu einen eleganten Umschlag und waren nicht so leintuchartig eingehüllt, wie das „Buch der Lieder“.

Ich fand den Dichter auf seinem Krankenbette; eine spanische Wand schützte dasselbe vor dem Licht des einzigen Fensters, welches das enge Stübchen aufzuweisen hatte. Kaum konnte man die Züge des Dichters erkennen; doch noch schwieriger wurde es diesem selbst, seine Besucher in’s Auge zu fassen; er mußte sich ein für alle mal mit einem flüchtigen „Aperçu“ begnügen; denn seine Augenlider waren geschlossen; er konnte sie nur gewaltsam mit Hülfe seiner Finger öffnen. So betrachtete er mich und dann sein neuestes Werk; es war ja das dichterische Evangelium dieser Krankenstube, das er in Händen hielt, ein Evangelium mit Lamentationen und Klageliedern, voll Noth und Jammer, aber auch voll witziger Ungezogenheiten und verzweifelter Cynismen und mit einer Eintheilung versehen, die das Conto des Poeten mit dem Himmel nach besten Kräften zu reguliren suchte; es war der „Romanzero“, diese Spottgeburt des freiesten Geistes und der gebundensten Materie, ein Werk oft dumpf und widerwärtig, oft genial und hinreißend, hier die Luft des Spitals, dort den Balsamhauch des olympischen Aethers athmend.

Und welcher Dichter freut sich nicht über sein neues Werk, wenn es druckfertig vor ihm liegt, eine vollbrachte That, eine geschlagene Schlacht auf dem Gebiet des Geistes? Es war ein wehmüthiges Lächeln, welches die Lippen des kranken Dichters umschwebte, nachdem er mit mühsam heraufgezogenen Lidern den „Romanzero“ in seiner Hand betrachtet hatte. Bald aber begann die wilde Witzjagd, wie immer bei wiederholten Besuchen nach den ersten Lamentationen über die schlummerlosen Nächte und die entsetzlichen körperlichen Leiden; die Lichter und Irrlichter des Esprit funkelten unheimlich in der düstern Krankenstube, und wie kleine wimmernde Kobolde, die mit knisternden Feuerruthen gepeitscht werden, taumelten diese Witze hin und her, von manchem Seufzer des Schmerzes unterbrochen, und hefteten ihre schonungslosen Pasquille auf den Rücken vielgenannter Männer und Frauen.

So oft ist der Pariser Aristophanes auf seinem Krankenbette geschildert worden – wer suchte nicht den Schlüssel zu dieser eigenartigen Erscheinung, ein Schlüssel, der doch nur in dem Wesen, in der ganzen Entwicklung des Dichters liegen konnte? Hierüber giebt eingehenden Aufschluß die Schrift von Adolf Strodtmann „Heinrich Heine’s Leben und Werke“ (Berlin 1869, zwei Bände), eine gründliche Biographie Heine’s, durchdrungen von der günstigsten Vormeinung, aber unbefangen genug, um auch dem entgegengesetzten Urtheil durch eine Menge wahrheitsgemäß berichteter Thatsachen Anhaltspunkte zu geben.

Heine’s Kindheit und Jugend, die Düsseldorfer Erinnerungen, die seinen Napoleoncultus bestimmten, die Bonner Universität und August Wilhelm von Schlegel, der Heine’s Phantasie mit Bildern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_247.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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