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Seite:Die Gartenlaube (1870) 254.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Nach einer langen Pause sprach der würdige Mann mit unbeschreiblicher Milde: „Jetzt braust zur Winterszeit der Sturmwind da oben über die verlassene Straße ohne Gefahr für uns, aber wir sitzen ohne Arbeit, abgeschnitten von der Welt, arm und hungrig in unseren elenden Hütten, rücken noch näher als sonst zusammen, erzählen uns von den trüben und heiteren Tagen der Vergangenheit, vergessen darüber die Gegenwart, und wenn die neunte Abendstunde vorüber ist, sagen wir Gute Nacht, um bald darauf im Traume eine bessere Zukunft zu sehen.“

Er war bei diesen Worten aufgestanden und sagte mir, nachdem er die mitgebrachten Gegenstände in der kleinen Sacristei verschlossen hatte, herzlich Lebewohl.

Diese Begegnung übte einen unauslöschlichen Eindruck auf mich aus; als ich nach einigen Tagen die Gegend verlassen wollte, vergaß ich nicht den alten Pfarrer aufzusuchen, um Abschied von ihm zu nehmen. Er begleitete mich eine kurze Strecke, und an der Wegscheide angelangt, legte er seine Hand auf meine Achsel, indem er treuherzig sagte: „Wenn Ihre Reise wieder einmal nach Trafoi geht, so dürfen Sie am Pfarrhause nicht vorüber gehen ohne einzusprechen; sollte die Thür aber verschlossen sein, dann werden Sie wohl zu dem Friedhof von Stilfs hinaufsteigen müssen, um mir den letzten Besuch abstatten zu können.“

Ich schied mit wahrer Wehmuth von dem seltenen Manne, und der Gedanke an ihn begleitete mich nach Botzen und über den Brenner.

In Brixen, der vielthürmigen Bischofsstadt, mußte mein Wagen am Eingange in die Stadt lange Zeit halten, um eine mit märchenhafter Pracht in Scene gesetzte Bitt-Procession nicht zu stören. Die Glocken hallten harmonisch zusammen und die gläubige Heerde wurde von einer Armee geistlicher Ordenspriester aller Grade über blumenbestreute Wege geführt. Ich verglich die mit niedergeschlagenen Augen dahinschleichenden Mönchsgestalten, den farbenschillernden Firlefanz, mit dem Bilde des würdigen Priesters, der mit seinen armseligen Kirchengeräthen über den schwankenden Steg zu dem heiligen Brunnen geschritten kam. Wie unendlich erhebender stand die Erinnerung an diesen Moment vor meiner Seele!

Adolf Obermüllner.


Der Fels der Ehrenlegion.
Novelle von Berthold Auerbach.
(Fortsetzung.)


4. Eine Revue.

Am andern Mittag, er war hell und frisch, kamen Wagen und Reiter aus der Nachbarschaft, Männer und Frauen wurden bewillkommnet. Marie hatte es durchgesetzt, Louise hatte eine neue Frisur annehmen, auch ihre Lieblingsfarbe – das elegische Grau, wie Marie es nannte – ablegen und sich hellfarbig kleiden müssen. Die Nachbarn und Nachbarinnen sahen sie beim ersten Begegnen staunend und befremdet an. Marie freute sich dessen, denn sie wußte, daß Louise nunmehr viel jugendlicher und lebhafter aussah.

Als der benachbarte Gutsbesitzer und der junge Beamte Marie vorgestellt wurden, machte sie eine Verbeugung, wobei sie jedoch die Augen nicht niederschlug, sondern fast gewaltsam aufriß. Sie musterte Beide und fand, daß dem äußern Anscheine nach die Wahl allerdings schwer sei.

Marie hatte das Glück, daß der angesehenste Mann des Freundeskreises ein ehemaliger Camerad ihres Vaters gewesen. Sie trat dadurch sofort in eine bevorzugte Ehrenstellung, der ganze Kreis gruppirte sich um sie, und Louise that Alles, um sie zum Mittelpunkte des heutigen Tages zu machen.

Der junge Beamte, der sofort erkannte, daß Marie bei Louise von entscheidender Bedeutung war, zeigte sich überaus zuvorkommend gegen sie. Er wußte sich ihr zuzugesellen, als man noch einen Gang durch den Garten machte. Im Laufe des Gesprächs sagte er leichthin, daß er auch Landwehr-Officier sei; er durfte voraussetzen, daß dies bei Marien einen besonders günstigen Eindruck hervorbringe.

Marie fand Erscheinung und Benehmen des Mannes sehr ansprechend, aber – war es Wirklichkeit oder spielte er’s nur? – er that schmachtend, er war nicht kühn und selbstbewußt genug. Marie sagte sich innerlich, daß dies nicht der Rechte sei; denn wer Louisen gewinnen wollte, mußte sie eigentlich dahin bringen, daß sie nach ihm verlangte.

Der junge Beamte schien sich nicht nur auf die Bedeutung von Baumschlag und Vordergrund eingeübt zu haben, er sprach sogar sehr eifrig von dem Glücke des künstlerisch bewußten Schauens und wie die heutige Blüthe der Landschaftsmalerei dem naturforschenden Charakter unserer Zeit entspreche; er deutete auf eine Baumgruppe, auf den Himmel und pries das Glück, in der Wiedergabe von Licht und Luft schwelgen zu können. – Er setzte Alles dies Marien auseinander und gab es doch, wie man sagt, nur zur Post; Marie sollte es der Freundin berichten.

Marie lächelte vor sich hin: „Der ist abgethan. Laß sehen, was der spröde Gutsbesitzer für ein Menschenkind ist!“

Der Gutsbesitzer hielt sich vorzugsweise zu Vater Merz. „Gute Manier, und nicht übel gewählt,“ dachte Marie. „Er hat wahrscheinlich hohe Achtung vor dem Manne, oder aber er heuchelt sie in diesem hohen Grade. Immerhin! Das wirkt gut auf Louise, denn sie liebt ihren Vater schwärmerisch, und wer diese Liebe mit ihr theilt, hat viel gewonnen.“

Im Gegensatz zu dem jungen Beamten sah der Gutsbesitzer in Marien ein Hinderniß. Er war eine ernste, neben seinem Berufe vorzugsweise der Politik zugewandte Natur: Ein Wesen wie Marie, das er schnell erkannt hatte, lenkte den Sinn der Freundin auf das Leichte, Flatterhafte. Er glaubte sogar zu bemerken, daß in dem Benehmen Louisens gegen Marie etwas Gezwungenes sei, er wollte daher mit dieser nicht gemeinsame Sache machen. Ja, als ihn Louise fragte, wie Marie ihm gefalle, sagte er geradezu: „Sie gefällt mir wie Ihnen. Ich glaube, daß Sie nur zeitweise mit einem solchen gewaltsam moussirenden neckischen Wesen leben können.“

Louise suchte ihn in seinem Urtheile zu berichtigen, aber sie that es doch in einer Art, die ihm nicht ganz Unrecht gab, und zum ersten Male schien der Gutsbesitzer seine Hoffnungen für berechtigt halten zu dürfen.

Bei Tische ging es heiter her, der alte Herr von Beuthen, der Marie zu Tisch geführt, hatte das Vorrecht, rücksichtslos sein zu dürfen.

Man sprach von der Reise nach Italien, die Herr Merz und seine Tochter unternehmen wollten, und der alte Beuthen rief: „Sie haben ein Unrecht begangen! Warum bauten Sie für unsere liebe Louise ein Atelier? Eine Kinderstube wäre besser.“

Man lachte. Die Augen Mariens gingen funkelnd am Tische hin und her. Sie sah, wie der junge Beamte erröthete; der Gutsbesitzer aber lachte mit.

Aller Blicke waren auf Louise gerichtet. Diese aber sah drein, als ob der Scherz sie gar nichts anginge. Mit haltungsvoller, unbewegter Stimme sagte sie endlich – sie fühlte, daß sie etwas sagen müsse –: „Ich freue mich, daß ich Herrn von Beuthen zu einem so anmuthigen Scherz Veranlassung gab.“ Sie unterhielt sich sehr eifrig mit einem stattlichen Manne, der neben ihr saß, so daß dessen Frau, die der junge Beamte zu Tische geführt, immer röther im Gesicht wurde, und diese Röthe wurde nicht vermindert, da sie auf Zureden des Beamten von den verschiedenen starken Weinen trank, die nach einander auf den Tisch kamen.

Man stand endlich von Tische auf; die älteren Herren blieben auf der Terrasse bei der Cigarre sitzen und Herr von Beuthen sagte mit gewaltiger Stimme ganz laut: „Es ist eine Schande für das ganze ledige Männergeschlecht, daß Louise noch unverheirathet ist.“

Die jungen Leute erlustigten sich im Garten. Louise stand noch eine gute Weile bei ihrem Tischnachbar in eifrigem Gespräch, aber Marie rief immer dringlicher und sie gesellte sich endlich in den jugendlichen Kreis. Scherz und Munterkeit herrschte und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_254.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2019)
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