Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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aus einem Dickicht hörte man helles Jodeln, wie von einem jungen Gebirgsbewohner.
Marie hatte es dahin gebracht, daß Louise, die nicht eigentlich singen konnte, aber eine besondere Meisterschaft im Jodeln hatte, diese ihre Kunst preisgab. Sie hatte dabei die Gewohnheit, daß man sie nicht ansehen durfte, sie wendete sich ab, legte die feine linke Hand an die Wange und jodelte mit einer Kraft, als ob der Widerhall von Felsenbergen zurücktönte.
Die Alten und die Jungen mischten sich unter einander und es herrschte Heiterkeit, bis der Abend hereinbrach und die Gäste davonfuhren.
Als Louise wieder mit der Freundin allein war, sagte sie – und ihr Angesicht wurde flammroth –: „Ach, Marie, es ist doch gräßlich, und ich begreife es nicht. Ich bin doch …“
„Was denn?“
„Nein, es ist besser, ich sag’s nicht!“
„Auch mir nicht? Sprich doch!“
„Sieh, da waren so tüchtige, gediegene Männer“ – sie nannte diesen und jenen – „aber die mir ein Gefallen erwecken und die ich gescheidt und anmuthend finde, sind …“
„Verheirathet,“ fiel Marie ein.
„Ja,“ bestätigte Louise und bedeckte das Gesicht mit der Hand, „warum gefallen mir nur solche? Warum kann ich nur zu ihnen frei reden?“
„Und das weißt Du nicht? Du, die Tochter des Parlaments? Freilich, es ist zu einfach. Du läßt Dich solchen gegenüber frei gehen und sie können auch zu Dir unbefangen sein. Bei einem Ledigen aber, da glaubst Du immer, er habe Absichten auf Dich und nun gar auf Deinen Reichthum; da kommst Du nun natürlich nie dazu, harmlos zu sein und Andere unbefangen kennen zu lernen!“
„O, wie recht hast Du, wie recht!“
Lange gingen die beiden Freundinnen still neben einander her, plötzlich trat ein schelmisch triumphirender Zug in die Mienen Mariens und sie sagte:
„Komm, setz’ Dich hier zu mir, ich will Dir auch mein Geheimniß sagen.“
Sie faßte die Hand Louisens, ihre Stimme stockte; Louise sah darin eine tiefe Herzensbewegung, aber es war doch etwas Anderes. Marie erzählte, ganz gegen ihre sonstige geläufige Redeweise öfter innehaltend, sie habe sich soviel als heimlich verlobt mit dem Rittmeister v. Birkenstock in der nahen Garnisonstadt, der, obgleich ein entfernter Verwandter von ihr, doch immer nur auf kurze Stunden und in Gesellschaft mit ihr zusammengewesen. Sie habe nun den Wunsch – denn es sei ihr wichtig, daß sie sich nun näher kennen lernten – Herr Merz möge den Rittmeister zu Besuch einladen, er könne auf dem nahen Gute bei dem Pächter wohnen; es sei ohnedies seine Absicht, den Abschied zu fordern und eine Gutspachtung zu übernehmen, denn er sei der Sohn eines Landwirthes.
Louise versprach das zu bewirken; Marie ging allein auf ihr Zimmer und bald brachte ihr Louise einen offenen Einladungsbrief ihres Vaters. Marie schrieb noch lange in der Nacht einen Brief, den ein Bote noch spät nach dem Bahnhofe trug.
Louise wollte ihre Freundin begleiten, die am zweiten Abend nach der Bahnstation fuhr, um den Rittmeister abzuholen. Louise nannte ihn den Verlobten, die Freundin bestritt diese Bezeichnung, denn sie sei noch keineswegs verlobt; da Louise aber bei dem Worte blieb, ließ sie es gelten.
Marie fuhr allein nach dem Bahnhofe, sie blieb aber nicht, wie wenige Tage vorher ihre Freundin, im Wagen sitzen; sie ging unruhig auf dem Perron und in den neuen, sich erst kümmerlich entfaltenden Gartenanlagen einher, sie sah oft nach der Uhr, die sie in den Gürtel gesteckt hatte.
Der Zug brauste heran, ein junger Mann winkte. Er hatte ein gedrungenes, frisches Antlitz, das durch den mächtigen, langgezogenen Schnurrbart noch etwas besonders Kenntliches hatte. Er stieg aus, er trug ein hellfarbiges, kleidsames Bürgergewand, aber schon auf den ersten Anblick ließ sich der Soldat erkennen. Mit behender Gewandtheit begrüßte er Marie und sagte: „Du sollst den Husarengeist nicht umsonst angerufen haben. Da bin ich! Ich folge Deinem geheimnißvollen Rufe. Ich habe genügenden Urlaub. Nun sprich: wo ist das Abenteuer? wo ist der Unhold, der Drache?“
Marie bat ihn, jetzt nichts zu fragen und überhaupt nicht deutsch zu sprechen. Sie gingen nach dem Wagen, sie setzten sich ein und der Rittmeister fragte: „Es werden mir doch nicht die Augen verbunden?“
Marie lächelte verneinend. Er fragte weiter, ob es ihm, als modernem Ritter, erlaubt sei zu rauchen. Es wurde gewährt.
„Was würdest Du dazu sagen,“ begann Marie endlich, „wenn dieser Wagen, diese Pferde, dazu ein schönes Rittergut und einige Hunderttausende im feuerfesten Schranke Dein Eigen würden?“
„Mit oder ohne Frau?“
„Mit.“
„Mit Dir?“
„Scherze nicht!“
Hastig athmend fuhr Marie fort: „Ach, wir sind doch alle Philister, ich auch. Warum wird mir jetzt auf einmal so bange?“
„Dir bange? Steht dies Wort auch in Deinem Wörterbuche?“
„Du hast Recht! Es ist doch eine so schöne und nützliche, ja sogar moralische Intrigue, die Du mit mir unternehmen sollst.“
„Du siehst mich als romantischen Märchenheld zu Allem gerüstet, vornehmlich mit der Tugend des schweigenden Gehorsams. Ich höre Dein Orakel so geduldig, wie Tamino in der Zauberflöte.“
„Es wird Dir bald Alles offenbar sein. Erinnerst Du Dich noch an Louise Merz?“
„Wer könnte sie vergessen! Soll ich sie heirathen?“
„Ja!“
„Ich bin sofort bereit. – Laß die Kirchenglocken läuten! Ich bin volljährig ... es ist Frühling ... und frische Handschuhe habe ich bei mir.“ ...
„Vetter, es ist Ernst.“
„Man lebt doch im Traume. Hat sie sich also meiner auch noch erinnert, wie ich damals beim Minister mit ihr tanzte? Erinnert sich der Vater meiner auch noch? Er hat eine besonders gute Eigenschaft – er raucht die beste Cigarre.“
„Albrecht, scherze nicht über den ehrenwerthen Mann. Schon um Louisen zu gewinnen, mußt Du ihn verehren.“
„Ich finde ihn bereits hochehrwürdig.“
„Albrecht, sage mir vor Allem, würdest Du Louisen auch heirathen, wenn sie nichts besäße?“
„Nein.“
„Das ist doch wenigstens ehrlich.“
„Bitte, liebe Cousine, laß mich meinen Satz vollenden. Ich könnte sie nicht heirathen, wenn sie arm wäre; aber wenn sie arm wäre und ich reich, dann –“
„Dann würdest Du sie heirathen?“
„Nein, dann würde ich Dich heirathen.“
Marie erröthete, verbot aber dem Vetter fernerhin jeden derartigen Scherz, sonst sei er nicht tauglich zu dem, was er unternehmen solle; denn er müsse eine Zeitlang als ihr Geliebter, ja als ihr Verlobter gelten. Louise verlange das.
„Ich verstehe nicht,“ lachte der Rittmeister.
„Etwas Binde um die Augen muß sich der Herr Rittmeister schon gefallen lassen,“ erwiderte Marie.
Sie gewann ihre heitere Laune wieder und sagte, daß Louise sich keinem Manne unbefangen nähere, der nicht bereits gebunden sei. Gegen Verheiratete und Verlobte zeige sie sich in ihrer ganzen liebenswürdigen Natur und erkenne auch die schönen Eigenschaften solcher Männer vollkommen. Darum solle der Vetter Rittmeister eine Zeitlang als ihr Verlobter gelten.
„Aber Marie, mit was spielst Du? Du weißt ja, daß Du mir –“
„Bitte, laß das. Du weißt ja –“
„Freilich, freilich,“ entgegnete der Rittmeister und machte mit der Hand eine Bewegung durch die Luft, wie wenn man einen Pinsel führt. Marie durchzuckte es, sie legte sich in den Wagen zurück, dann aber, sich rasch erhebend, rief sie wieder mit hellem Tone: „Mach’ mich nicht zur Pedantin! Ich erlaube Dir Aufmerksamkeiten, die Du ja schon als Vetter gegen mich haben darfst.“
„So bitte ich vor Allem um einen Kuß.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_255.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2019)