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Seite:Die Gartenlaube (1870) 260.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


hatten Sie Muth, Männern gegenüber sind Sie eine Memme, rufen nach Secundanten und Aerzten und wollen mich mit Versprechungen trösten? Ich soll an das Ehrenwort eines Menschen glauben, der gehandelt hat wie ein Ehrloser? Wahrlich, mein Herr Graf, Sie müssen nie gefühlt haben, was Wuth ist, um für solche Vorstellungen Erhörung zu hoffen, um zu glauben, ich könnte den unschuldigen Greis sterben gesehen haben von Ihrer Hand, ohne zum Tiger zu werden, der nicht Ruhe findet, als bis er sich in Ihrem Blute gesättigt hat!“ Er drückte ihm die Pistole in die Hand. „Vertheidigen Sie sich, sag’ ich – oder ich schieße Sie nieder wie einen Hund!“

„Nein und nochmals nein,“ rief Egon. „Genug des Verbrechens und des Blutes – thun Sie, was Sie wollen und dürfen, ich schieße nicht!“ Er schleuderte die Pistole weit von sich. „Hier, sinnloser Mann, ist meine Brust, ich bin wehrlos – nun zielen Sie, wenn Sie den Muth dazu haben!“

„Feigling!“ rief der Candidat und warf seine Pistole gleichfalls weg. „Nein, Sie sind es nicht werth, daß ich für Sie zum Mörder werde, nur beschimpfen will ich Sie, ehrlos will ich Sie machen für’s ganze Leben!“

Und er faßte mit eisernem Griff den Grafen um den Leib. Ein stummes Ringen entstand. Wie Krallen gruben sich die Finger des Candidaten in die Weichen des Grafen ein. Die schlanke Gestalt bog sich in der furchtbaren Umarmung wie geglühter Stahl zwischen Hammer und Amboß. Schwer fiel die Faust des Grafen auf den Angreifer nieder, aber sie prallte machtlos an dem harten Schädel ab und steigerte nur die Wuth des Getroffenen. Herüber und hinüber bogen sich die Kämpfenden, noch schwankte der Sieg. Da gelang es dem Grafen, in einer glücklichen Wendung ein Messer aus der Tasche zu ziehen, mit den Zähnen öffnete er es und stieß es dem Candidaten von oben herab in die Schulter, daß die Klinge zerbrach. Wie ein verwundeter Tiger im Schmerz die höchste Kraft entfaltet, hob Feldheim jetzt mit einem Ruck den Gegner vom Boden auf; dieser griff nach einem Halt und erfaßte einen Rosenbaum, der ihm zunächst stand, die Lunge war ihm zusammengepreßt, ein dumpfes Stöhnen entrang sich seinen Lippen, in der Angst des Erstickens klammerte er sich an den Stamm, um den verlorenen Boden unter den Füßen zu ersetzen. Da gab das junge Holz krachend nach, ein wuchtiger Fall und der Graf lag unter dem gebrochenen Wipfel, den seine Hand nicht lassen wollte, begraben. Der Candidat kniete auf seiner Brust, überströmt von Blut und den Rosenblättern, die das geknickte Bäumchen im Sturz über ihn ausgeschüttet. Er riß einen Zweig davon ab, einen zähen Dornenzweig, und mit dieser furchtbaren Ruthe hieb er drei Mal dem Grafen über das Gesicht, daß es durch die Luft sauste, und mit jedem Streich sprach er: „Dies dem Frauenverführer, dies dem Schänder des Hausrechts und dies dem Mörder seines Gastfreundes.“

Dann erhob er sich, faßte den Halbohnmächtigen beim Genick und riß ihn in die Höhe, dieser taumelte, er stützte ihn. Egon hatte ein blutiges Kreuz über das ganze Gesicht, er konnte nicht sprechen, ihm war übel, das Blut rieselte ihm von Stirn und Wangen herab. Er lehnte fast bewußtlos an der Schulter des Gegners. Einige Minuten vergingen, der Candidat wartete geduldig, bis jener sich erholt hatte, dann sprach er mit seiner alten Fassung: „So, Herr Graf, nun können Sie gehen, wir sind fertig mit einander!“

„Das werden Sie mir mit Ihrem Leben bezahlen!“ stöhnte der Graf.

Der Candidat zuckte verächtlich mit den Achseln und ließ ihn stehen.

Der Graf wischte sich das Blut ab. Er mußte fort um jeden Preis. Aber konnte er sich mit diesen Wunden zeigen? Er war entstellt für lange – vielleicht für immer, denn die Haut hing in Fetzen herab, das gab Narben. Und es waren keine Narben, die dem Johanniter zum Schmucke dienten, sie waren das Merkmal einer unauslöschlichen Schmach. – Ein Zittern überlief den Körper Egon’s, er fühlte ein Gericht Gottes in dem, was der Candidat ihm gethan! Wankenden Schrittes ging er weiter und schob mit dem Fuße den gefällten Wipfel zur Seite, der ihm den Weg versperrte. Er hatte ein Gefühl, als sei es sein eigener Stammbaum, dem er die Krone abgebrochen.

(Fortsetzung folgt.)




Ein gestürzter Titan.
Erinnerung an Friedrich Hölderlin bei seiner Säcularfeier.
Von Robert Springer.

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog
Bald ihn nieder; das Leid beugt’ ihn gewaltiger;
     So durchlauf’ ich des Lebens
 Bogen und kehre, woher ich kam.   Hölderlin.

Hundert Jahre sind es her, daß ein deutscher Dichter, ein Dichter von unvergänglichem Namen, daß der Lyriker Hölderlin geboren wurde, und wir begingen dieses Geburtsfest vor wenigen Wochen in geziemender Weise mit einer Säcularfeier. Denn was bliebe uns Deutschen aus jener Zeit der Erinnerung würdig, wenn nicht die unsterblichen Namen, an welche sich unsere Literaturgeschichte knüpft? Und sie sind uns Alle theuer geblieben, sie Alle, welche während der politischen Herrschaft des Absolutismus die deutsche Republik der Geister schufen, und das Volk weiht den Namen jener Heroen die höchste Verehrung, wenngleich sich auch an diesen Platen’s klagendes Wort bewährt: „Es gesellt sich ihnen selten freundschaftsvoll ein Gemüth und huldigt körnigem Tiefsinn.“ Aber selbst wer die Messiade nur aus Bruchstücken kennt, feiert doch Klopstock als den Genius, der sich dem Höchsten weihte, uns eine neue Welt eröffnete und unsere Literatur zu einer höheren Stufe erhob; wer nur seinen Fuß flüchtig in den Vorhof der Philosophie gesetzt hat, preist dennoch Kant als den Begründer der kritischen Philosophie; Herder’s Allegorien, Wieland’s üppige Romane und Lehrgedichte verlassen nur selten den ihnen angewiesenen entlegensten Winkel unserer Büchersammlung, aber wir hegen sie wie der Geizige den Mammon, den er nicht verwendet und doch über Alles liebt; ja, selbst Jean Paul’s glühende und farbensprühende Lyrik berauscht nur die Herzen weniger Auserwählter mehr und dennoch feiern wir ihn als den herrlichsten und gemüthvollsten Freund und Tröster unserer Jugend. Wie der Ritter im Kampf auf Tod und Leben die Lanze einlegt für den Namen seiner Geliebten, so verfechten wir im Streit wider die andringenden materiellen Zeitläufe die Glorie und Unsterblichkeit unserer literarischen Heroen. Zu diesen Namen gehört Johann Christoph Friedrich Hölderlin[WS 1].

Seine Werke sind nicht allgemein bekannt. Er schrieb philosophische Briefe für Niethammer’s Journal, die längst verschollen sind; seine Gedichte, voll hohen lyrischen Schwunges, aber mit Anspielungen auf das griechische Alterthum überladen, erschienen erst, von Uhland und Schwab gesammelt, lange nachdem er schon als Dichter berühmt, ja, als er schon geistig todt war. Wie Wenige kennen leider mehr sein bedeutendstes Werk, den Roman „Hyperion“, eine großartige Schöpfung, die ihre Handlung aber auf den Boden des alten Griechenlands und des Hellenenthums verlegt hat und in deren zweitem Theile die Blitze des Genius sich schon durch das Gewölk des Wahnsinns Bahn brechen mußten! Wie Wenige, sagen wir, haben diese Werke gelesen, und doch zählen wir Hölderlin zu unsern ausgezeichnetsten Lyrikern und Achim von Arnim nennt ihn den größten aller elegischen Dichter der Deutschen.

Ganz erfüllt von den hohen Idealen der Antike und nur genährt mit jenem Bildungsstoff, der allein aus den Anschauungen und den Werken der römischen und hellenischen Classicität geschöpft ist, tritt Hölderlin in’s praktische Leben und findet sich dort völlig fremd. Gleich vielen der edelsten unserer Denker, irrt er schier obdachlos umher und sucht vergeblich nach einem Amte, es bleibt ihm nur die traurige Aushülfe, sich in das wissenschaftliche Tagelöhnergeschäft eines Hauslehrers zu flüchten. Auch die Krankheit der überspannten Jugend und das damalige Wertherfieber seines Vaterlandes befällt ihn: eine Liebesneigung ohne sinnliche Befriedigung. Bis so weit verläuft Alles herkömmlich wie bei vielen deutschen Genien; es fehlt nur, daß die classische Bildung sich endlich in einem auskömmlichen Amte mit der prosaischen Alltäglichkeit versöhne und praktischer Tüchtigkeit weiche, daß der poetische Schwung noch ausreiche, die Mußestunden


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Da ist wohl die Begeisterung mit dem Verfasser durchgegangen und hat die genaue Recherche behindert; gemeint ist natürlich Johann Christian Friedrich Hölderlin.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_260.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2019)
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