Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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eines gemüthlichen Philisterlebens zu vergolden, und daß das Wertherfieber in einem gesetzmäßigen kinderreichen Ehestande erlösche.
Aber dieses Loos war Hölderlin nicht beschieden. Von glühender Einbildungskraft emporgehoben, aber im Zwiespalt zwischen Natur und Geist, verliert er den Pfad, der ihn zur rechten Zeit zurückleiten konnte auf den Boden der Wirklichkeit, und vergißt den Zauberspruch, der den Fluthen der Phantasie Einhalt thut und das Gleichgewicht der Seelenkräfte wieder herstellt. Es erfüllt sich an dem Unglücklichen in der Wirklichkeit das grause Schicksal, das Shakespeare seinen Theaterhelden andichtet, um die kalten Herzen seiner britischen Landsleute zu rühren: Hölderlin wird wahnsinnig und erhöht den Ruhm eines deutschen Dichters mit dem Märtyrerthum des Irrenhauses.
Lassen wir die hervorragendsten Momente dieses unheilvollen Dichterlebens an unserem Blick vorübergehen.
Zu Laufen in der reizenden Neckargegend, wo der Vater als Verwaltungsbeamter eines ehemaligen Klosters lebte; erblickte Friedrich Hölderlin am 20. März 1770 (nicht am 29. März, wie in Folge eines Druckfehlers im „Magisterbuche“ viele seiner Biographien angeben) das Licht der Welt. Der Vater wurde ihm schon im zweiten Jahre durch den Tod entrissen. Hölderlin verlebt seine Kindheit in dem Städtchen Nürdingen, in reizender, von waldigen Bergen umschlossener Thallandschaft. Er erhält Unterricht in der dortigen lateinischen Schule und schließt Freundschaft mit seinem Mitschüler Schelling. Seine Kindheit schildert er in der Strophe:
Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains,
Und lieben lernt’ ich
Unter den Blumen.
So wuchs ich groß
Im Arme schützender Götter.
Im Jahre 1788 sehen wir ihn auf der Universität Tübingen als einen edel gestalteten Jüngling von feinem Anstande, voll Geist und Anmuth, von schlankem Wuchse, das zarte Antlitz mit den braunen schwärmerischen Augen von reichem Haar umwallt – eine Apollogestalt wie der junge Goethe, aber weicher und hinfälliger. Dem Wunsche der Mutter folgend, widmet er sich der Theologie, vertieft sich jedoch mit Vorliebe in die alten Classiker, die ihm die Grundlage seines poetischen Schaffens bieten, ihn aber auch gänzlich dem Leben der Gegenwart entrücken. Er dichtet und spielt die Flöte unter des blinden Dulon’s Anleitung. Zu seinen theologischen Studiengenossen gehört der junge Hegel; unter seinen Freunden steht aber Sinclair obenan, aus schottischer Familie stammend, der seine thätige Theilnahme an Hölderlin’s Schicksale bis zu seinem Tode bewahrte.
Hölderlin streift umher in Wald und Wiesenthal. Auf den alten Burgtrümmern und den Höhen von Schemberg, Balingen und Rechberg erathmet er den liebeschwellenden Hauch, der uns aus seinen elegischen Liedern anweht; in jener reichen, mächtigen und lieblichen Natur ersinnt er die tiefen Gedanken über Liebe, Freundschaft und Vaterland, die er im ersten Theile seines Hyperion ausspricht – jene edeln und erhabenen Phantasien über die Wechselwirkung zwischen Bildung und Natur, über die Einigung der Menschen zu einer glücklichen Zukunft und über das Ideal der Menschengeschichte.
Fünf Jahre später treffen wir Hölderlin in Jena. Unterdessen ist der Boden Frankreichs von einer Revolution erschüttert worden und die Stöße haben sich auch in Deutschland, wenngleich nur schwach, fühlbar gemacht. Der junge Dichter, in welchem jene Umwälzung die platonischen Staatsideen zu neuem Leben erweckte, hat, auf Schiller’s Empfehlung, eine Hauslehrerstelle bei der Frau von Kalb bekleidet, aber bald wieder aufgegeben. Er ist als Verfasser mehrerer lyrischer Gedichte, die in der „Thalia“ erschienen, und durch ein Fragment seines „Hyperion“ berühmt geworden und kommt in die Saalstadt, um Fichte zu hören und sich um eine Anstellung zu bewerben, die ihm ein gesichertes Einkommen bieten soll. Ohne Erfolg kehrt er dann in die Heimath zurück, und Sinclair verschafft ihm eine Stelle als Hauslehrer in der Familie des reichen Frankfurter Kaufmanns Gontard. Hier erfaßt ihn die leidenschaftlichste Liebe zu der schönen und geistvollen Frau vom Hause. Ihr Bild weicht nicht mehr aus seinem Herzen. Wenn er ihrer Gegenwart entflieht und Zerstreuung auf den nahe gelegenen Höhen des Taunus sucht; wenn er die Waldungen, welche sich damals noch bis an die südliche und westliche Seite der Stadt erstreckten, in schmerzlicher Wehmuth durchwandert: überall sieht er das Bild der Mutter seiner Zöglinge, das Bild der geliebten Frau, die er unter dem Namen „Diotima“ in seinen Gedichten verherrlicht hat.
Wie die Leidenschaft sein Herz überfluthet, so zerwühlen die französischen Heere den heimathlichen Boden. Verzweifelnd am eigenen Herzen und am deutschen Vaterlande, begiebt sich Hölderlin nach Frankreich; wo er eine Hauslehrerstelle beim Hamburgischen Consul annimmt. Plötzlich aber, vielleicht durch die Nachricht von Diotima’s Tode aus aller Fassung gebracht, verläßt er heimlich seine Stellung und erscheint wieder in der Heimath – gänzlich verändert, in der Kleidung eines Bettlers, gleichsam mit zerschlagenem Antlitz, wie jener ausgestoßene Titan Empedokles, dessen Geschick er in einem poetischen Fragment geschildert hat.
Sein Freund Sinclair, der in die Dienste des Landgrafen von Hessen getreten war, wirkte ihm eine Anstellung als Bibliothekar in Homburg aus. Dort in der reizenden Ebene, welche der Feldberg beherrscht und die Höhenzüge des Spessart und Odenwaldes umgrenzen, auf dem Schauplatze der classischen Vorzeit, unter den Ruinen der Castelle des Drusus, Hadrian und Tiberius – erwachte in dem gestörten Gemüth noch einmal die Liebe zum Alterthum, der Drang nach geistiger Beschäftigung. Er unternimmt eine Uebersetzung des Sophokles und verwirrt sich in diesen gewaltigen tragischen Anschauungen bis zum völligen Wahnsinn.
Wir wollen den zerrütteten, von einer trostlosen Mutter beweinten Dichter nicht im Irrenhause aufsuchen, das er zweimal bewohnte, ohne zur Genesung zu gelangen. Wir finden ihn zuletzt zu Tübingen, im Hause und unter der Pflege eines wohlhabenden Tischlermeisters. Das Häuschen ist auf dem Fundament eines alten Stadtthurms erbaut und wird vom Neckar bespült. Von dem Erkerstübchen, welches der Greis bewohnt (er hat hier siebenunddreißig Jahre des Wahnsinns verlebt!), blickt man über lachende Wiesen in das liebliche Steinthal und gegen die Rauhe Alp hin. Der bleiche silberhaarige Greis, dessen halbverloschene Züge die frühere Schönheit, ja, dessen starre Augen selbst ein früheres geistiges Leben verrathen, ist einfach gekleidet, still und in sich gekehrt. Er liest und ändert noch immer an seinem Hyperion, spielt auf einem alten Clavier mit zerrissenen Saiten und schreibt sinnlose Gedichte nieder oder zuweilen verständliche schmerzliche Klagen wie die folgende:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_261.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)