Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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Bist Dir so sicher, Freund? Ist’s mehr als Wahn,
Daß auch noch Träume diesen Schlaf durchbeben?
Wir stehen Beide auf demselben Plan,
Doch – ewig Räthsel bleibt das Menschenleben.
Vermodert ist die Todte längst im Grund,
Der Du den Leichenspruch im Wald gehalten;
Fast selbst der Wald verschwand, so farbenbunt,
Und um Euch seh’ ich andere Gestalten.
Ein neu Geschlecht, gezeugt in Kampf und Noth,
Im Ringen mit des Urwalds schweren Schollen,
Dem selber schon das harte Lebensbrod
Der Acker, tiefgepflügt, muß willig zollen!
Die junge Zucht, wie sie im Wald erstarkt!
Schon lenkt der Sohn des Vaters Ackerpferde,
Er zieht für Euch schon auf des Lebens Markt
Und theilt mit Euch die Arbeit und Beschwerde.
Auch nicht vergaß er unsrer Heimath Land;
Wie eine Sage klingt’s durch Halm und Schoten,
Wie wir das Dörflein tausend einst benannt
Nach Deutschlands unvergess’nem Martyrtodten.[1]
Die Kirsche reift, der Birnbaum blüht in Pracht,
Wenn auch den Wein versagen diese Breiten,
Bald, wie am Rhein, wird aus des Waldes Nacht
Ein deutscher Markt emporblüh’n in die Zeiten.
Uns aber einigt noch der alte Geist,
Auch er ist ewig wie der Himmelsbogen;
Noch nicht verduftet war er, wie Du weißt,
Als wir gar traute Zwiesprach jüngst gepflogen.
Versprengt einst in Columbias Urwaldsgrün,
Ein Fähnlein, wund, in Thränen und in Trauern:
Was Ihr geschaffen, wird in frischem Blüh’n
Noch manch Jahrzehent kräftig überdauern!
Chicago im Juni 1869.
- ↑ Robert Blum.
Als ich, im April 1819, zur Berliner Oper trat, fand ich Alles erregt von der bevorstehenden Ankunft Spontini’s. Der Componist von Vestalin und Cortez sollte an die Spitze unseres Musikwesens gestellt, das leidenschaftliche Feuer des Romanismus zum Correctiv für unsere etwas michelhaft gewordene Opern-Direction gemacht werden.
Ein junger Bursch im achtzehnten Jahre, wie ich damals war, konnte sich wohl in seinem Enthusiasmus den frohen Erwartungen anschließen, welche viele aufrichtige Musikfreunde von dieser Veränderung hegten. In dem Kammergerichtsrath T. A. Hoffmann, dem sogenannten Phantasie-Hoffmann, der damals auf der Höhe seines schriftstellerischen Ruhmes stand, fanden diese Spontini-Verehrer einen treibenden Mittelpunkt.
Es war die Zeit, wo die Intendanz des Grafen Brühl schon den Culminationspunkt ihres überkommenen Glanzes erreicht hatte und man anfing den Sachverstand Iffland’s zu vermissen, das Hoftheater der vornehmen Bequemlichkeit und des trägen Sichgehenlassens zu beschuldigen.
Die Opernvorstände waren allerdings damals nicht geeignet, diesen Vorwürfen die Spitze zu brechen. Der erste Capellmeister Bernhard Anselm Weber war wohl ein tüchtiger Mann und hatte sich das Verdienst erworben, die Gluck’schen Opern, welche er auf seiner Reise nach Paris, in Begleitung seines Freundes Kotzebue, gründlich und enthusiastisch studirt hatte, in Berlin vollständig heimisch zu machen, wobei ihm der glückliche Umstand zu Hülfe kam, daß er hintereinander zwei für das Großartige geborene weibliche Talente in Frau Schick, dann in Frau Milder fand. Er hatte, der Instrumentirung mehr Posaunen hinzugefügt und rief auf den Proben den Bläsern vor jedem Eintritt mit energischer Baßstimme noch sein „stark“ zu, aber für die rührenden Stellen war er nicht weniger empfänglich, und in vielen Scenen seiner Lieblingsoper „Alceste“ sah man die Thränen über seine dicken Wangen rollen. Im Allgemeinen hing er im Dirigiren der alten Kraftmanier an, die im energischen Zusammenhalten der musikalischen Kräfte ihre Aufgabe beschlossen glaubt. Früher hatte er, nach alter Sitte, mit zusammengerollten Notenblättern tactirt; da dies aber nicht durchgreifend genug wirkte, hatte er sich etwa fußlange Rollen von starkem Leder mit Kälberhaaren ausstopfen lassen, und mit diesen kleinen Lederprügeln bearbeitete er die Partitur so gründlich, daß ein wankendes Tempo im Orchester nicht möglich war, aber nicht selten die Naht des Lederprügels barst und die Kälberhaare umherflogen.
Diese Tactirpolster und ihre Consequenzen sind noch von Weber’s Nachfolgern in Wirksamkeit erhalten worden.
Der sogenannte dicke Weber hatte manche gute Musik componirt, so die zu Schiller’s „Jungfrau von Orleans“, die auf den meisten Bühnen noch gebräuchlich ist. Er componirte sehr langsam und schwerfällig, und bedurfte zur Anregung seiner Erfindung und der instrumentalen Ausarbeitung vieler Hülfsmittel. Der Orchesterdiener gerieth immer in Verzweiflung, sobald es hieß, der Capellmeister werde dies oder jenes componiren, weil dann das schwere Hinzutragen von Partituren anderer Componisten, die Weber bergehoch um sich häufte, kein Ende nahm.
Man hatte dem Capellmeister einen Famulus in der Person eines Cantors und Organisten gegeben, der, als ich eintrat, schon zum Musikdirector vorgerückt war. Ein stilles Männchen mit einer Lammesseele, mit untergeordneten Fähigkeiten, der aber, für Vorgesetzte und Untergebene das unschätzbare Verdienst besaß, sich Alles gefallen zu lassen und nur mit sanfter und hoher Stimme durch „o, o, o, o!“ dagegen zu protestiren; wie er mit demselben Tone seine eigenen Reden vielfach wichtig zu wiederholen pflegte. Er trug das Haar noch eingepudert, wie der dicke Weber, und das Sommerhalbjahr hindurch Nankingbeinkleider und leichte Schuhe, die ihm seine ordnungliebende Frau am Kalendertage des Frühlingsanfangs vor das Bett legte, die Tuchkleider unerbittlich verschließend, mochte der arme Mann auch zähneklappernd durch die eisigen Berliner Lenzestage wandeln.
Daß aus diesen Dirigenten aus der alten guten Zeit die Befriedigung der neuen nicht zu erwarten stand, hatte Graf Brühl sehr wohl begriffen und deshalb den berühmten Violoncellisten Bernhard Romberg durch eine Capellmeisterstelle von weiteren Reisen durch die Welt abgehalten.
Romberg, der über sein vorgerücktes Alter durch eine blonde Perrücke und eine immer freundliche Miene nicht zu täuschen vermochte, hatte wohl Mühe, aus der Virtuosen-Meisterschaft sich zu vollständiger Reproduction einer Partitur hindurch zu arbeiten. Seine Gewandtheit ließ ihn aber Eines, die Direction der singenden Personen, zu deren größter Befriedigung leisten. Er tactirte leise und mit einem nur dünnen Stäbchen, aber er schob damit den Singenden ihren Eintritt unfehlbar zu. Ein Witzbold sagte: er füttere seine Sänger mit dem Stäbchen wie junge Vögel.
Romberg, ein unabhängiger Mann, von berechtigtem Selbstgefühl, forderte, sobald die Anstellung Spontini’s als General-Musikdirector entschieden war, seine Entlassung. Er wollte sich eine subordinirte Stellung nicht gefallen lassen, und nicht unter einem Manne, sagte er, dessen Genie er anerkenne, der aber ein musikalischer Ignorant und ein egoistischer Intriguant sei. Er habe ihn lange genug in Paris gekannt und wolle nichts mit ihm zu thun haben.
Diese Aeußerungen waren wohl bedenklich, aber Romberg’s gekränkter Ehrgeiz benahm ihnen viel von ihrer Geltung.
Ueber die Anstellung Spontini’s herrschte noch viel Dunkel. Man wußte, daß der König auf Betrieb seines sehr musikalischen Flügeladjutanten, von Witzleben, in Paris im Jahre 1815 die Absicht verfolgt hatte, eine der dortigen musikalischen Berühmtheiten nach Berlin zu ziehen. Cherubini wurde zunächst in’s Auge gefaßt, der aber lehnte ab und verwies auf Spontini, der vermuthlich annehmen werde. Nun begannen mit diesem die Unterhandlungen, die sich mehrere Jahre hinzogen, bis der unverdient schwache Erfolg seiner Oper „Olympia“ in Paris ihn den Berliner Anträgen geneigter machte. Ohne Zuziehung des General-Intendanten wurde nun die Anstellung abgeschlossen; es cursirten über die Bedingungen allerlei theilweise fabelhafte Gerüchte, gewiß war aber, daß selbst, als der neue General-Musikdirector eingetroffen war, der Graf von Brühl nicht den Umfang der Competenzen kannte, welche demselben zugesichert waren.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_264.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)