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Seite:Die Gartenlaube (1870) 265.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Romberg hatte nun das Feld geräumt, der alte Bernhard Anselm Weber war zu Tode krank, für Spontini wurde eine theure Wohnung auf dem Gensd’armenmarkt gemiethet und mit den von Paris gekommenen Möbeln ausgestattet, im Theater bereitete man die Vorstellung der „Vestalin“ zu des Meisters Empfange vor, der endlich am 28. Mai 1820 eintraf.

Ich sah ihn zum ersten Male, mit seiner Frau am Arme, über den Opernplatz kommen. Neben ihm ging ein Berliner Oberbaurath, von Paris her ihm schon befreundet, der auch sein treuer Anhänger durch allen Wechsel seiner Berliner Zustände geblieben, und dessen behaglich corpulente Gestalt die seinige um so schmächtiger und feiner erscheinen ließ. Sein schmales, gelbliches Gesicht war häßlich zu nennen, die Miene sprach den ausgeprägtesten Ehrgeiz und ein feindseliges, in sich zusammengezogenes Selbstgefühl aus. Er trug das schwarze Haar in den Schläfen flach geschnitten; als er grüßte, fiel mir dagegen das über die Stirn etwas schief aufgestellte Haar auf, eine Frisur, die das längliche Gesicht noch länger machte. Blitzende braune Augen, Nase und Mund ziemlich formlos, ein schmaler, dünner Backenbart, der sich über den großen steifen Hemdkragen bog, bezeichneten die Physiognomie. Nach damaliger Mode trug er ein dickes weißes Halstuch, aber vom feinsten Musselin, unter demselben das rheinhessische Comthurkreuz, eine weiße Weste, grasgrünen Frack mit gelben Knöpfen, die Decoration der légion d’honneur im Knopfloche, Pantalons von leuchtender Senffarbe und feine spitzige Stiefel an den aristokratisch kleinen Füßen.

Die Frau war von eleganter Gestalt, bei einer gutartig fügsamen Miene zeigte ihr Gesicht angenehme, aber gleichsam verwischte Züge, wie ein Bild, über das Jemand mit dem Schwamm hingefahren ist. Dieser erste Anblick Spontini’s rief mir Romberg’s Aeußerungen in’s Gedächtniß und stimmte mich sehr erwartungsvoll.

Die Empfangsoper „die Vestalin“ verlief nicht sonderlich zu unserem Ruhme. Das Total war befangen und ohne Selbstvertrauen, die Besetzung mangelhaft. Neben frischen Talenten ersten Ranges, wie Bader und die Frauen Milder und Schulz, mußte Cinna von einem hochbetagen Tenoristen, der Oberpriester vom Baßbuffo gesungen werden, dem im zweiten Finale beim Fluche das hohe e dergestalt umschlug, daß lautes Gelächter entstand. Er entschuldigte sich nachher, ihm habe schon seit mehreren Tagen eine Fischgräte im Halse gesteckt, die bei diesem starken Accente flott geworden sei; aber es war bekannt, daß das gestrichene Baß e schon seine Stimmgrenze war.

Spontini bereitete zunächst eine Aufführung des Cortez vor, die vier Wochen später stattfand und die uns sogleich in das Wesen seiner Directionsfähigkeit einführte.

Er nahm die Solopartien in seinem Salon am Clavier durch. Mit seiner hohen, klanglosen Tenorstimme und bei sehr mangelhaftem Clavierspiele wußte er dennoch die Singenden über alle Intonationen seiner Composition zu verständigen. Gelegentlich sprang er auf und agirte diesen oder jenen Moment der Darstellung mit den outrirten Gesten der französischen Tragödie; wie er denn überhaupt schon hier im Zimmer und am Clavier den Schwerpunkt seiner Effecte auf den schroffsten Wechsel des Ausdrucks legte. Die zärtlichen Stellen wimmerte er förmlich, die leidenschaftlichen schleuderte er, wie Zeus Blitze, von sich, für den priesterlichen Baßausdruck hatte er sich die Andeutung eines hohlen Glockentones erfunden. Das Alles war von hochgespanntem, ja übertriebenem Ausdruck, grenzte sogar an das Lächerliche, dennoch wußte er selbst bei diesen Preisgebungen eine reservirte Vornehmheit zu behaupten.

Merkwürdig war mir, daß, als einer der Sänger äußerte: bei diesen leidenschaftlichen Compositionen habe er doch wohl nur Champagner getrunken, er uns versicherte: er habe, während er den Cortez geschrieben, nur von Milch und Weißbrod gelebt, er scheue physische Aufregung beim Schaffen.

Am Dirigirpulte, inmitten des Orchesters, war Spontini erst an seinem rechten Platze, wie ein General an der Spitze seines Armeecorps. Er tactirte auch nur mit einem feinen schwarzen Stäbchen und berührte die Partitur kaum, dennoch bezeichnete er mit energischen Rucken und kurzen Luftstreichen vor sich hin die Eintritte mit fortreißender Gewalt. Besonders die Accorde zwischen den Recitativen mußten wie Donnerschläge dreinfahren. „Martelez!“ rief er dann mit aller Anstrengung seiner schwachen Stimme hinein, oder, wenn er vorher seine Intention deutlich machen wollte: „pang, pang, pang!“ mit einem Fußtritt steigernd; auch wenn er ein feuriges Tempo in Gang setzte, wie zum Commando eines Cavallerieangriffs: „allez!“ und „en avant!“ Für das sforzato verlangte er die gewaltsamsten Rucke und Stöße, während er für das piano, das er mit der immer dazu ausgespannten linken Hand dirigirte, kaum ein Berühren der Saiten mit dem Bogen, kaum einen Hauch in den Blasinstrumenten duldete. „Rien qu’un souffle!“ commandirte er leise und stieß ein scharfes Zischen durch die Zähne. Dazu stand Spontini unbeweglich, die Arme rechts und links winkelrecht hinausgestellt, und seine Miene behielt, bei den düster blitzenden Augen und dem festgepreßten Munde, etwas Grimmiges.

Diese übertriebenen Effecte, welche auf die Dauer das Orchester sehr zu verderben drohten, wurden durch mehr als genügende Proben zu solcher Präcision und durchschlagenden Gewalt eingeübt, brachten einen so nervenerschütternden Eindruck hervor, daß das Publicum ganz berauscht von diesen Aufführungen wurde und natürlich diese starken Sensationen dem bisherigen gemächlichen Operngange vorzog.

In dieser Weise studirte denn Spontini auch die Vestalin zum ersten October ein. Er stellte die Integrität des Werkes im dritten Acte wieder her. Von Weigel’s eingelegter Arie für Licinius durfte natürlich die Rede nicht sein. Die Arie des Cinna wurde wieder hergestellt; ebenso die Cavatine der Julia, bevor sie in’s Grab steigt. Die Sängerin capitulirte mit ihm, sie sei zu ermüdend. Da wurde Spontini in ganz fremder Weise belebt, er erklärte dies Musikstück für sein liebstes in der Oper und für ein Schmerzenskind. Er habe zur Zeit, da er die Vestalin componirte, ein junges Mädchen geliebt, die so schön, o so sanft und zart gewesen sei und die gestorben, als er mit seiner Arbeit bis zum dritten Acte gekommen. Er sei in Verzweiflung gewesen, auf dem Teppich habe er sich gekrümmt, vor Schmerz habe er sich tödten wollen. Da habe er alle seine Thränen in diesen Abschied vom Leben ergossen und das sei der Anfang seiner Genesung gewesen.

Ich habe bei Spontini niemals wieder so tiefgehendes menschliches Regen beobachtet, diese Weihe seiner Jugendliebe scheint keinen dauernden Einfluß auf sein Leben gehabt zu haben. Natürlich war die von dieser Erzählung sehr gerührte Sängerin augenblicklich bereit, die Arie zu singen.

Das Studium dieser beiden Opern konnte als die Vorschule gelten, in der Spontini sein Personal für fernere Aufgaben sich erzog. Ausbleiben aber konnte nicht, daß seine ungewohnten Anforderungen an das Personal, sein Uebermaß von Proben, deren anstrengende, endlose Dauer belästigend wirkten, daß sein grimmiger Eifer und sein gänzlicher Mangel an Humor ihn nicht die rechte Behandlung der Leute finden ließ, daß man bald nur zu deutlich gewahr wurde, daß er die Menschen nur als Mittel zu seinen Zwecken achtete, also eigentlich gar nicht, daß er die Deutschen in’s Besondere geringschätzte – und so begann eine Verstimmung um sich zu greifen, die ihm nur darum nicht hinderlich wurde, weil man ihn bewaffnet mit der ganzen königlichen Gunst, also allmächtig glaubte. Daß an diesem Glauben Wahres sei, sollte sich um diese Zeit darthun.

Am Abend des zweiten October fand ich eine unheimliche Stimmung auf der Bühne, man steckte die Köpfe zusammen, die Beamten des Bureaus, alle dem Grafen Brühl aufrichtig ergeben, liefen geschäftig hin und wider. Ich erfuhr denn, daß heute – ob in Folge einer Differenz zwischen Spontini und dem Grafen Brühl, war nicht klar – der General-Musikdirector die ganze Machtvollkommenheit seiner Dienstinstruction geltend gemacht habe. Nach derselben stehe ihm die Verfügung über alle musikalischen Mittel und Kräfte zu, die Entscheidung über die aufzuführenden Werke, das unbedingte Directionsrecht etc.; kurz Spontini sei keine dem General-Intendanten untergeordnete, sondern eine ihm beigeordnete Autorität. Der Dualismus der Herrschaft mit all’ seinem Unheil war also erklärt.

Zunächst hatte der Graf Brühl die richtige Maßregel angeordnet, das ganze Musikwesen dem General-Musikdirector zur Leitung und Verantwortung zu übergeben; die Beamten sollten mit ihm die Nacht hindurch arbeiten, um alle actenmäßigen Competenzen am nächsten Morgen auf die General-Musikdirection, die nun gebildet werden sollte, zu übertragen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_265.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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