Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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scheine. Unser Schwarm hielt bald vor dem eisernen Gitterthor des Schlosses; ein äußerst verdrossen ausschauender Mann in blauem Kittel öffnete es; jenseits eines Rasens, der den Schloßhof ausfüllte, erhob sich das Herrenhaus. Auf dem Treppenperron stand eine Gruppe von Leuten, die unser Nahen neugierig beobachteten. Ich nahm eine Dame von hoher schlanker Gestalt und einen Geistlichen darunter wahr.
Zur Rechten des Hofes, in der Ecke, wo eine niedrige Mauer mit einem Gitterthörchen das Herrenhaus mit einem der vorspringenden Nebenhäuser verband, stand ein Karren, der ganz so aussah, als müsse es der sein, den wir inmittten der flüchtigen Franctireurs wahrgenommen. Von den Letzteren war nichts mehr zu gewahren.
Ich ritt vor, der Schloßtreppe zu; der Geistliche, ein Mann in noch jungen Jahren, mit scharfen Zügen und bleichem Teint, und jenem unterschlächtigen Blicke der dunklen Augen, welcher eher vor Vertrauen warnt, als dazu ermuthigt, stieg die Treppenstufen herab, mir entgegen. Zugleich sah ich die Dame bei unserer Annäherung sich wenden und in das Innere des Gebäudes zurückgehen; doch hatte ihre Bewegung nichts Fluchtähnliches; sie ging so ruhig die paar Schritte über den breiten Perron und in das offenstehende Portal hinein, als ob es sich bei der Verhandlung mit uns um ein Alltägliches handle, das sie den Leuten überlassen könne.
„Was ist des Herrn Begehren?“ sagte der Geistliche, auf der untersten Treppenstufe stehen bleibend, in gutem, nur vom elsässer Dialect gefärbtem Deutsch.
„Der Krieg, ehrwürdiger Herr,“ versetzte ich, aus dem Sattel springend, „bringt unterschiedene Gäste: zwölf Rosse, zwölf Reiter; ich selbst bin der verhängnißvolle dreizehnte; für die Rosse begehren wir Futter und Stall, für die Reiter Kost und Quartier; auf wie lange, das wissen wir nicht; hoffentlich lange genug, um Ihnen den Beweis zu geben, wie liebenswürdige und anspruchlose Leute wir sind, wenn man uns liebenswürdig und freundlich entgegenkommt.“
Die Gesichtszüge des Geistlichen hatten sich während dieser Mittheilung verlängert, und waren womöglich noch bleicher geworden. Auch sah ich, daß die Gruppe von Leuten, dem Aeußern nach Domestiken, auf dem Perron über mir in eine gewisse Bewegung gerieth – sie flüsterten wie erschrocken zusammen. Es mußten also mehrere unter ihnen sein, die Deutsch verstanden.
„Sie wollen sich hier einquartieren, auf mehrere Tage?“ fragte der Geistliche, viel weniger laut, als er anfangs gesprochen.
„Sie brauchen nicht darüber zu erschrecken,“ versetzte ich, „es sei denn, Sie hätten den Haufen Franctireurs, den wir vorhin wahrnahmen, hier im Hause verborgen. Es würde alsdann unserer Einquartierung eine kleine Störung des Hausfriedens vorhergehen müssen, den wir sonst in keiner Weise zu unterbrechen gedenken.“
„O nein, mein Herr,“ fiel der Geistliche ein, „diese Leute haben sich vor Ihnen geflüchtet; sie sind durch unsere Gärten gelaufen, um auf das andere Ufer des Oignon zu kommen, vielleicht haben sie zu ihrem bessern Schutze sogar die Brücke unzugänglich gemacht.“
„So, so,“ sagte ich, den Herrn ‚Curé‘ fixirend. „Seltsam, daß sie alsdann nicht geradeaus der Chaussee folgend über diese Brücke geeilt sind, sondern den bedeutenden Umweg rechts ab über diesen Hof, dieses ‚Schloß‘ gewählt haben!“
Der Geistliche zuckte mit den Schultern.
„Was hatten sie in jenem Karren geborgen?“
„Ihre Tornister, ihre Munition …“
„Und das haben sie hierher in Sicherheit gebracht?“
„Nur den Karren. Sie hatten den Karren mit zwei Pferden gestern Morgen hier requirirt und haben ihn hierher wieder abgeliefert; den Inhalt haben sie unter sich vertheilt und mit sich genommen.“
„Ihre Franctireurs sind außerordentlich ehrliche Leute,“ sagte ich; „auf eiliger Flucht vor uns scheuen sie doch den Umweg nicht, das requirirte Gefährt seinem Eigenthümer zurückzustellen; und sie senden nicht etwa den Fuhrknecht damit heim, sondern begleiten ihn selbst zu größerer Sicherheit, bis sie ihn richtig an seiner Stelle sehen …“
„Daß sie den Umweg machten, scheint mir doch natürlich,“ entgegnete der Geistliche; „auf der Chaussee wären sie bald von Ihnen eingeholt worden; durch unsere Gärten und Gehölze dahinter laufend waren sie sicher, von Reitern nicht verfolgt werden zu können!“
Diese Bemerkung war richtig. Es ließ sich Nichts darauf erwidern. Meine Cameraden, die längst abgesessen waren und unter das Linnendach des Karrens geblickt hatten, bestätigten, daß er entladen sei, es lagen noch ein paar alte einläufige Flinten mit Steinschlössern, ein paar Pferdedecken und die Ueberreste von Brod und Käse, alte Zeitungen, eine Feldflasche von der großen, mit grünem Tuche überzogenen Art und ein rothes Militärkäppi darauf.
Das waren nun freilich keine Beutestücke, um sich weiter darum zu kümmern, und wir wandten uns den Ställen zu; sie lagen in dem niedrigen Gebäude rechts, und über ihnen in einem Kniestock vier oder fünf Kammern für Knechte oder Gesinde; der Mann, welcher uns das Thor geöffnet, zeigte sie uns, und nachdem wir die Ackerpferde unten entfernen lassen und die unseren untergebracht, nahmen wir Besitz davon – es war eine vortreffliche kleine Caserne, in der wir Quartier gefunden, ein Alarmquartier, wie wir es wünschen mußten; die Thiere unten, die Mannschaft darüber, und Alles dicht beieinander. Für mich selbst und den ehrlichen Kriegsgefährten, den der Officier seinen Burschen, der Unterofficier und Freiwillige seinen „Putzcameraden“ nennt, bat ich, ein besseres Quartier im Herrenhause auswählen zu dürfen, und fand gleich beim Eintritt in das Haus ein im ersten Stock über den Souterrains liegendes, sehr schön und reich möblirtes Empfangszimmer, hinter dem ein Fremdenzimmer mit einem großen Himmelbette lag; in einer Garderobe, die daran stieß, ließ ich meinen Cameraden sich einlogiren, um ihn in meiner Nähe zu halten. Dem geistlichen Herrn, der mich führte, schien diese Wahl sehr störend – vielleicht fand er es sehr anmaßend, daß ich sie ohne Weiteres occupirte; aber ich achtete nicht darauf und machte ihn mit Dem bekannt, was uns als Verpflegung zukomme.
Eine Stunde später wurde uns denn auch in dem großen Gesindezimmer neben der Küche ein gutes und reichliches Nachtessen aufgetragen. Der Knecht bediente uns, der weibliche Theil der Dienerschaft ließ sich nicht blicken; als wir fast zu Ende waren und, nachdem der geschärfte Appetit gestillt, die Ermüdung unserer Glieder von dem langen scharfen Ritt doppelt zu empfinden begannen, trat noch der Geistliche ein; er kam zu mir, verbeugte sich und fragte mit einer sanften und wohllautenden Stimme, ob wir zufrieden seien oder noch Wünsche hätten. Dabei holte er einen Stuhl herbei, den er neben dem meinen an’s obere Ende des Tisches stellte, wie um eine längere Unterhaltung zu beginnen.
„Wir sind immer zufrieden, ehrwürdiger Herr,“ versetzte ich, „wo wir mit der Freundlichkeit aufgenommen werden, welche Sie durch diese Frage an den Tag legen – darf ich Ihnen von unserem Weine einschenken?“
Der Geistliche bat darum, ein Cigarre, welche ich ihm bot, lehnte er ab.
„Sie sind Ulanen?“ sagte er, einen forschenden Blick über die meist blonden und treuherzigen deutschen Physiognomien meiner zwölf Tischgenossen streifen lassend.
„Sie sehen es an unserer Ausrüstung.“
„Ich habe nie sicher erfahren können, aus welcher Gegend Deutschlands,“ fuhr er fort, „die Ulanen stammen – und,“ setzte er wie zögernd hinzu, „welcher Confession sie sind!“
Ein schallendes Gelächter war die unmittelbare Antwort, die der geistliche Herr erhielt, obwohl ich Alles that, es zu unterdrücken, damit er sich nicht beleidigt fühle.
„Die Ulanen,“ fiel ein muthwilliger junger Freiwilliger ein, der vor Wochen erst in beschleunigtem Tempo sein Abiturienten-Examen gemacht hatte, um dann sofort in’s Heer einzutreten, – „die Ulanen sind ein verlorener Zweig der alten Hunnen, der sich in den Waldgebirgen des Harzes gehalten hat; als Attila 451 auf den catalaunischen Feldern geschlagen war, retteten diese unbändigen Wilden sich mit ihren Nationalgottheiten auf den Blocksberg, wohin alles Volk Galliens sie ja längst gewünscht hatte, und führten da ein tolles Reiterleben, immer im Sattel und auf dem Rücken ihrer Pferde, auf dem sie geboren werden, heirathen und sterben. Ein bewundernswürdiges Volk, sagt schon Tacitus in seiner Germania – groß durch seine rauhen Tugenden! Was aber ihre Confession angeht, so bedaure ich, Ihnen erröthend gestehen zu müssen, daß sie schon unter Kaiser Valens zum Arianismus
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_002.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)