Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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In den Steppen von Afrika.
Ich bin auf meinen Reisen in Afrika leider nie in der Lage gewesen, eine Jagd mitzumachen, und muß das um so mehr bedauern, als ich Alle, die jemals auf afrikanischem Boden der Waidlust fröhnten, stets mit Begeisterung von diesem an Aufregung so reichen, den deutschen Jagdsport weit hinter sich lassenden Vergnügen sprechen hörte. Wenn ich somit auch nicht aus eigener Anschauung und aus eigenem Wagniß berichten kann, so glaube ich doch die Leser durch die Schilderungen und Mittheilungen meines Freundes, des berühmten Afrikareisenden Schweinfurth[1] entschädigen zu können, der mir seine eigenen Erfahrungen für die nachfolgenden Zeilen und für meine Farbenskizze gerne zu Gebote stellte.
Zu den interessantesten Jagden in Afrika gehört die auf Antilopen, diese unvergleichlichen Läufer und Springer, aus deren Familie auch Europa in seiner Gemse einen Vertreter hat. Die Körperfarbe der genannten Thiere ist nicht durchgängig die der Hirsche; häufig vielmehr bunt, bietet dieselbe eine zuweilen höchst angenehme Abwechselung dunklerer und hellerer Flecken und Streifen dar. Ihr Naturell ist durchgängig ein scheues; einige größere Arten aber, wie die Hirschochsen, die Wasserböcke, die Gnu’s vertheidigen sich muthig und kraftvoll gegen ihre Angreifer.
Das Hauptland der Antilopen bildet Afrika. Dieses Festlandes Wüsten, Steppen, Wälder, Fluß- und Seegebiete beherbergen die zahlreichsten Arten. Auf den kurzbegrasten und dünnbebuschten Ebenen des afrikanischen Südens weiden fleckweise Herden von fast fabelhafter Stückzahl. Zwar werden diese ungeheuren Schaaren von Jahr zu Jahr mehr gelichtet und nach innen gedrängt durch die Pionniere der Cultur, durch die auf Jagdvergnügungen erpichten Sportsmänner, aber trotzdem gewähren die Steppen der Herero, Betschuanen und Kaffern immer noch bedeutenden Mengen jener Geschöpfe Aufenthalt. Bei Gelegenheit eines von den Boers in Südafrika am 24. August 1860 für den Prinzen Alfred von England angestellten Kesseltreibens, zu welchem ein ganzer Kaffernstamm aufgeboten worden, sollen zwanzig- bis dreißigtausend Antilopen zusammengetrieben sein. Weniger groß sind die Antilopenherden, welche man in Ost-, West- und Mittelafrika beobachtet, Landestheile, deren ausgedehnte Walddickungen die Entwicklung und Ansammlung sehr vieler Individuen einer Thierart an bestimmten Orten bedeutend erschwert. Auf den mit hohen, steifen und dichtstehenden Gräsern, mit knorrigen Kappern- und dornigen Akazienbüschen bewachsenen Steppen in Nubien und Sennaar beobachteten meine Freunde und ich immer nur kleinere Rudel von Dama-, Addax-, Leucoryx-Antilopen, von Gazellen etc.
Größere Ansammlungen dieser Thiere finden sich dagegen auf den südlich und westlich von der Provinz Kordufan gelegenen Steppen.
Man jagt die Antilopen in Afrika auf sehr verschiedenartige Weise, mit dem Feuergewehr, dem Bogen, dem Speer, dem Schwert, man fängt sie mit Wurfschlingen, mit Jagdfalken, Schlaghölzern, in Fallgruben etc. Großartige Treibjagden werden auf einem Theile der vorhin erwähnten zwischen dem weißen Nile und den südkordufanischen Bergen oder in Westkordufan sich ausdehnenden Steppen von Kababisch, Bagara, Hasanîeh und anderen Nomadenstämmen veranstaltet, und zwar gewöhnlich im Frühlinge oder Herbste. Jene Beduinen, unter denen vielleicht die gewandtesten Reiter und die geschicktesten, kühnsten Jäger der Welt, besteigen ihre nicht großen, im Extérieur den arabischen ähnelnden Pferde, deren mit abyssinischer Lederdecke belegter Bocksattel ihnen den festesten Sitz gewährt. Das schwarze Haar des braunen Steppensohnes ist geflochten oder aufgeknotet. Meist wallt nur ein baumwollenes Umhängetuch in malerischen Falten um die schlanken Bronzegestalten, seltener bedeckt noch eine kurze Hose einen Theil ihrer Schenkel. Ueber der Schulter hängt das lange Schwert mit Kreuzgriff in rothbrauner Lederscheide, am linken Ellenbogen schaukelt am dünnen Riemen der kurze Dolch, ein, zwei, ja drei und mehr Speere mit Bambusschaft ruhen in der Rechten. Die große Zehe in den engen Bügel klemmend, trabt der äthiopische Centaur in die Ebene hinaus. Hinterher folgen Knaben und Sclaven mit Wasserschläuchen und kargem Mundvorrathe auf den nicht großen, aber flinken Kameelen oder auf den schönen, kräftigen Buckelrindern.
Die Steppe starrt von hohem Grase, von dem unserem Besenginster ähnelnden Sarcostemma, von schmal- und breitblättrigen Kappern, von Akazien, Nachtschatten etc. Hier und da erhebt sich auch das barocke, vielkantige, demjenigen der Orgel- oder Säulencactus ähnelnde Geäst einer Baumwolfsmilch. Uebermannshohe Kegelbauten der Termiten schauen aus dem lehmigen, in der Sonnengluth zerrissenen und zerklüfteten Erdreiche empor. Die Luftspiegelung zaubert Teiche und Ströme vor, die hier und da in anmuthiger Bläue, in zartem Rosa und Violet auftauchenden Berge scheinen in der trügerischen Fata Morgana manchmal über dem Horizonte zu schweben und spielen ihre von Wasserrunsen durchfurchten Abhänge in dem „Teufels“- oder „Gazellenwasser“ des Phänomens wieder.
Da weiden die Steppenkuh, gedrungenen Baues, mit langen Säbelhörnern, der Tetal oder das Hartebeest, mit knotigen, nach vorn und plötzlich nach hinten gebogenen Hörnern und mit hohem Widerrist, die ihr ganz ähnlich gebaute Kuhantilope mit kleinerem Gehörne, die Addax und der Njellet oder Kudu, beide groß, spiralhörnig, die schlanke Dama mit breiten rostfarbenen Flecken auf weißem Grunde gezeichnet, die gemeine Gazelle, die Dakula mit weißen Streifen und Flecken auf röthlichbraunem Grunde, seltener sogar auch Giraffen und Wildbüffel. Sehr langohrige Isabellhasen, Perlhühner und Francolinhühner hüpfen und laufen dazwischen her.
Man treibt das Wild zusammen mit höllischem Geschrei und Gepfeife. Der Reiter sprengt gegen die sich mehr und mehr zusammenschließenden Rudel, schleudert mit nerviger Faust den nie fehlenden Speer oder zerhaut mit dem langen breiten Schwerte die Sprungsehnen der Hinterfüße seiner Opfer.
Welch wüstes, in manchen Zügen selbst ergreifendes Gemälde! Zwischen hochwirbelndem Staub, dessen graubraune Wolken die glühende Tropensonne mit grellen Lichtflecken erhellt, die schweißbedeckten Reiter, die Zähne fletschend, die Naslöcher blähend, ihre Augen funkelnd vor roher Mordgier, den widerhakigen Speer, die schimmernde Klinge zu Wurf, Stoß und Hieb bereit haltend, sich gegenseitig mit gellendem Allahruf anfeuernd; die schnaubenden und wiehernden, muthig einherstürmenden Rosse! Zwischen ihnen durch das angsterfüllte, sich wirre schiebende, das laufende, springende, sich bäumende und überschlagende, in Noth und Todesqual schnaubende, pfeifende, zischende, stöhnende Wild! Hier wälzt sich eine Dama mit vom Speerwurf durchbohrtem Nacken in ihrem Blute, da sinken ein Kudu, eine Steppenkuh, ein Hartebeest mit zerschlagenen Hinterbeinen wie gelähmt zusammen; dort röcheln andere Thiere schwer, bereits im letzten Todeskampfe zuckend. Aus den weitgeöffneten Mäulern und Nüstern strömt rother Lebensquell, aus den großen schönen Augen fällt noch ein letzter Blick des Jammers. Manche prächtige Tochter der Wildniß bahnt sich mit kühnem Anlaufe, mit wüthigem Drängen, Stoßen und Schlagen den Weg durch die umzingelnden Jäger. Allmählich aber verringert sich mehr und mehr die Zahl der gehetzten Thiere, immer mehr häufen sich ihre Körper auf und zwischen zertretenen Grasbüscheln, zerknicktem Buschwerk an. Einzelne Reiter haben ihre Rosse eingebüßt durch die verzweifelten Hörnerstöße sich wehrender Böcke und jagen zu Fuß weiter, öfters die Termitenhügel benutzend, um von ihnen aus ihre Speere zu schleudern oder gelegentlich auch kleinere Gazellen, Junge der größeren Arten, Hasen und Hühner mit dem Stocke niederzuwerfen.
Hin und wieder auch bluten Roß und Reiter, von Hörnerstößen zu Boden gestreckt oder in der Jagdhitze über irgend ein Hinderniß gestürzt, zwischen den Opfern der Jagd.
Der Preis einer solchen Schlächterei ist ein guter. An manchem glücklichen Jagdtage werden Hunderte der Antilopen erlegt und zerlegt.
Der leider zu früh verstorbene ausgezeichnete Reisende und Botaniker Theodor Kotschy erzählt in einem seiner mir vorliegenden Tagebücher etwa Folgendes: „Auf der zwischen Kordufan und dem unabhängigen Negerstaate Dar-Fur gelegenen, Kaadja genannten Steppe unternehmen die daselbst wohnenden Nomaden vor und gleich nach jeder Regenzeit eine große Treibjagd auf einem zwei
- ↑ Wir freuen uns, an dieser Stelle mittheilen zu können, daß wir schon in einer der nächsten Nummern unseres Blattes in der Lage sein werden, einen Originalartikel aus der Feder dieses weitbekannten Naturforschers und Reisenden zu bringen. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_011.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)