Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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unregelmäßiges Flintengeknatter von beiden Ufern. Wird aber hier oben ein Kopf oder Leib, gleichviel ob uniformirt oder nicht, sichtbar, so spürt der Besitzer desselben sehr bald an dem unheimlich nahen Zwitschern der Chassepotkugeln und ihrem klatschenden Einschlagen in der Bergwand, daß jene Läufe drüben eine bedenkliche Richtung nach seinem eigenen höheren Standpunkte erhalten haben.
Wir nähern uns nun dem schönen Schloß St. Cloud selbst mittelst einer Art von Springprocession von einem deckenden Stamme zum andern. Die auf seine nun vernichtete Façade führende Allee ist in einiger Entfernung vom Schlosse durch ein Gatterthor abgeschlossen. Im Wachtlocale haben sich, in einem Zimmer die Gemeinen, im andern die Officiere des Postens ein soviel als möglich behagliches Dasein geschaffen. Was seine Einrichtung in Bezug auf Einheit des Stils und Geschmacks vermissen läßt, wird wieder durch die Kostbarkeiten mancher Einzelheiten ersetzt. Die Fauteuils und Sessel haben noch immer etwas von dem Glanz ihrer einstigen Bestimmung bewahrt, und man speist nur von Sèvresporcellan, welches mit dem kaiserlichen N mit der Krone darüber gestempelt ist, und trinkt aus Tassen und Gläsern, welche dieselbe Erinnerung an den ehemaligen Lenker der europäischen Geschicke tragen.
Wie traurig und unwohnlich das verbrannte Schloß dort drüben auch gegenwärtig sein und erscheinen möge – eine nicht zu unterschätzende Wohnstätte haben Granaten und Flammen dennoch auch heute noch in seinem verwüsteten Innern zurückgelassen. Freilich nur im Keller. Man hat wunderliche finstere vielverschlungene Gänge zwischen seinen Grundmauern zu gehen, um dort in jenen gewölbten und, Dank seiner Lage und Bauart, ziemlich bombensichern Raum zu gelangen, in welchem die dorthin commandirten Officiere sich gar nicht unbehaglich einzunisten verstanden haben. An Matratzen und wollenen Decken zum Nachtlager ist kein Mangel. Die „Liebesgaben“, die Postpakete aus der Heimath und die gefundenen Schätze in der Nachbarschaft lassen Speisekammer und Weinkeller nie ganz leer werden; und so wird es nicht allzu schwer, hier gute Miene zum bösen Spiele zu machen und sich dieses unterirdische bombensichere Dasein mit guten Cameraden ein paar Tage gefallen zu lassen.
Neben „Lulu’s Spielplatz“ dient eine Reihe von Zelten den Musketieren dieses Postens zum Wohnsitz; ein anderer Posten liegt in einem benachbarten historisch besonders denkwürdigen Raume, dem Orangeriehause, dem classischen Locale des 18. Brumaire und des Staatsstreichs des ersten Napoleon. Von den Einrichtungen für die damaligen Sessionen des Raths der Fünfhundert blieb natürlich längst keine Spur. Der weite Raum zeigt eben nur noch kahle weiße Mauern und hohe kleinrautige Fenster nach dem Park zu. Die alten mächtigen Orangenbäume in ihren grünangestrichenen großen Holzkübeln stehen oder standen vielmehr noch vom Sommer her draußen vor der Pforte. Da das Holz dieser Kübel zum Brennen und besonders zum Feueranmachen sehr geeignet ist und beim Zerspalten jedenfalls viel weniger Mühe verursacht als das harte und zähe der Eichenstämme draußen im Park selbst, so haben sich natürlich die kriegerischen Bewohner dieses Hauses nicht besonnen, von solchen Vortheilen Nutzen zu ziehen. Daß die alten Orangenbäume darüber jämmerlich verdorrt an die Erde zu liegen kommen, ist eben schwer zu vermeiden.
Drinnen in den ungeheuren kahlen Saal hatte man am Tage des Schloßbrandes und den nächstfolgenden Alles bunt durcheinander hineingeflüchtet und gerettet, was man zuerst dem Feuer und dann dem Regen draußen zu entreißen vermochte. Aber es blieb noch eine bedeutende Menge prächtiger Möbel hier zurück, Pianinos, Stutzuhren, Tische mit Bronzebeschlägen, vor Allem aber köstliche Divans, Chaiselongues, Armstühle und Sessel. Rothe Sammet-, reiche Gobelin-, lichte, mit reizenden Bouquets gestickte Atlasbezüge, vergoldete oder geschnitzte, graciös geschweifte Beine und Lehnen Louis des Fünfzehnten, classisch geradlinige Louis des Sechszehnten, – überall eine Eleganz und Pracht, die unsern Schlesiern und Posenern aber nicht im Mindesten imponirt und sie keinen Augenblick abhält, von der in diesen elastischen weiten Polstern gewährten Bequemlichkeit den ausgedehntesten Gebrauch zu machen. Auf dem Fliesenboden sind die Feuerheerde mit ein paar Steinen schnell und leicht construirt, das Kochgeschirr liefert der eigene Tornister, das Tafelgeschirr der anscheinend an Unerschöpflichkeit den hiesigen Weinadern gleichkommende Bestand edler und köstlicher Porcellane und Fayencen. Für den Abzug des Qualms sorgen zersplitterte Scheiben und Thürflügel zur Genüge. Das giebt dann Genrebilder so voller Charakter, und zumal, wenn die helle Morgensonne auf Bronze, Atlas, Sammet, Vergoldung und Fliesen blitzt, so voller brillanter Farbenwirkungen, daß man ihnen nur einen Meyssonnier zum Darsteller wünschen möchte. Ein paar dieser derben Burschen schüren das Feuer, rühren den Erbswurstbrei; andere spalten das Holz, die Flamme zu nähren; einer sucht nach Melodien auf dem gänzlich verstimmten kostbaren Piano aus Ebenholz, und jener dort liegt mit vorgestreckten und bis zum Schenkel mit Lehmkoth bedeckten Beinen im weißen Atlasfauteuil und studirt die gestern endlich von der Feldpost an ihn gelangte alte Nummer der lieben, über Alles willkommenen „Gartenlaube“. Draußen knarren schwere Räder durch den fetten, kothigen, ausgefahrenen Parkweg. Es sind das die massiven, flachen, niedrigen Wagen, welche sonst zum Transport jener riesigen Orangenbäume in ihren Kübeln gedient haben. Jetzt führen sie eine andere Last von einem Theil des Parks zum andern: gewaltige Eichenstämme von hundertjährigem Alter, die man in jenen Alleen und Dickichten gefällt hat, und die nun, von sechs davor gespannten starken Pferden unter reitender Artilleristen Begleitung und Aufsicht dorthin gefahren werden, wo man ihrer zu den Arbeiten an den Batterien und Verschanzungen bedarf.
Sie spielen eine wichtige Rolle in dieser Art von militärischer Baukunst. Hier nicht weit hinter dem Orangeriehaus zieht sich die lange, etwa sieben bis acht Fuß hohe Mauer des Parks von St. Cloud in unabsehbarer Ausdehnung hin. Die Pforte, die dort gerade hinaus zum unmittelbar darangrenzenden Villenstädtchen Montretout führt, ist das sogenannte Grille d’Orleans. Montretout geht in das hart an der Seine gelegene Städtchen St. Cloud fast ohne Abgrenzung über. Beide, bis nicht vor langer Zeit in des Feindes Händen, waren für diesen sehr gelegene Ausgangspunkte für Ausfälle zur Störung unserer Arbeiten und Posten, und zur Vertreibung der letzteren. Seit dem großen blutigen Ausfall gegen hier und Bougival am 21. October sind unsere Pionniere daher auf’s Eifrigste thätig gewesen, diese Mauer und das diesseits und jenseits angrenzende Terrain nach allen Regeln der Ingenieurkunst zu befestigen und den Gegnern den Winteraufenthalt dort in jenen Ortschaften so unerträglich als möglich zu machen. Das beste Mittel zu letzterm Zweck war jedenfalls die Vernichtung der Gebäude selbst, hinter und in denen sich seine Schützen einnisten und decken konnten. Und solch ein Werk besorgt das Feuer bekanntlich besser und geräuschloser, als jedes Geschoß. Jede Villa selbst liefert das geeignetste Material zu ihrer Selbstverzehrung. Wohlausgetrocknete Pianinos, alte Kunstmöbel und minder moderne Seiden- und Sammetfauteuils, zumal mit einem etwas freigebigen Beisatz von Petroleum, empfehlen sich in dieser Hinsicht als das Zweckentsprechendste. So von kleinen Anfängen ausgehend, ist man denn von Stufe zu Stufe weiter vorgerückt, und hat bereits eine ganz hübsch ausgedehnte Ruinenstadt im Umkreis des Parks geschaffen, an deren Vollendung die französischen Granaten, statt sie zu verhindern, auch ihrerseits nicht unwirksam mitgearbeitet haben. Wenn nun auch nicht mehr der Feind, so können doch dafür unsere vorgeschobenen detachirten Unterofficierposten dort Stellung und Deckung finden; letztere ist dort gegen Seine und Mont Valérien gleich sehr wünschenswerth.
Für den kaum wahrscheinlichen Fall, daß der Feind, diese Posten zurückwerfend, und das Feuer unserer „Montretout-Schanze“ aushaltend, dennoch gegen den Park vordringen sollte, dürfte er in dessen Nähe sich noch auf manche Ueberraschung gefaßt machen und seinen Weg gewiß nicht mit Rosen bestreut finden. Es giebt außer den kaum sichtbaren, jeden Fuß unentrinnbar zum Straucheln zwingenden Fallen, welche dort den Boden überspinnen, für solche Anlässe besonders zwei Gattungen von sinnreichen Veranstaltungen. Bei der einen derselben, von mehr idealer Natur, beabsichtigt man hauptsächlich einen moralischen Effect: sie nennt sich die „Flattermine“; bei der andern den derbsten physischen Effect: die „Steinmine“. Auch der Tapferste wird im stürmischen Vordringen für einige Momente lang stutzen, wenn er plötzlich nahe vor sich den Boden bersten und Flammen speien sieht. Das allein und die dadurch gewonnene kurze Frist bezweckt und erreicht die erste Gattung. Die zweite aber sprengt, schleudert, zerschmettert auffliegend mit ihrer fürchterlichen Füllung Alles, was sich ihr naht.
Das Ausgangsthor der Parkmauern ist hier wie anderwärts
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_016.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)