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Seite:Die Gartenlaube (1871) 018.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


heute ein sogenannter „Tambour“, dessen Wände aus dicken festen Eichenstämmen aufgerichtet und als Dach mit eben solchen gedeckt sind, deren Lage durch darauf gehäufte Erde und Rasen eine selbst für schwere Geschosse fast undurchdringliche Dichte und Festigkeit erhalten hat. Solche Bedachung ist es denn auch, die dem großen „bombensicheren Gang“ seine Schutz- und Widerstandskraft giebt, welchen man eben jetzt nahe der Mauer, unterhalb ihres Umkreises herzustellen beschäftigt war. In schrägem Winkel gegen dieselbe gerichtet, ist er tief und weit genug in die Erde gewühlt, um nöthigenfalls fast einer ganzen Compagnie gesicherten, wenn auch etwas unbequemen Aufenthalt zu gewähren. Wände, Dachwölbung, Eingangspforte zu seiner Höhle sind Meisterstücke solider Architectur aus dicken eisenfesten Stämmen und Erde. Auch während des Arbeitens daran ist der noch unfertige oft genug den abwechselnd dazu commandirten Pionnieren und Infanteristen ein sehr willkommener Zufluchtsort. Wenn sie auch an dieser Stelle nicht direct mehr von feindlichen Posten gesehen werden können, so wissen die Leiter der französischen Batterien doch die allgemeine Lage, wo unsere Hauptarbeiten vorgenommen werden, gut genug, um nach deren Richtung hin ihre Granaten aus den weit tragenden Geschützen werfen zu können. Von Zeit zu Zeit erdröhnt von fern her der laut hallende Krach des Schusses, dem das eigenthümlich zischende und schmetternde Heulen des die Luft durchschneidenden Projectils folgt. Für besorgtere Herzen, wie sie auch wohl unter der Uniform schlagen, ist das genügend, schleuniges Hineinspringen in die bombenfeste Pforte zu veranlassen. Die Mehrzahl der durch lange Gewohnheit Abgehärteten und einsichtig Gewordenen erkennt aus der Art des Knalls sicher den Ort, von wo er ausging, und ebenso aus der zischenden Flugbahn das Ziel, für das der jedesmalige „Zuckerhut“ bestimmt ist. Spaten oder Hacke ruht wohl einen Moment lang in der Hand, die eben zum Hiebe oder Stoße damit ausholte. „Geht nach Sèvres-Schanze,“ „geht nach Montretout-Schanze,“ „für Batterie bestimmt,“ „ist vom Onkel,“ „ist Kanonenboot“ ruft je nachdem Einer dem Andern das Resultat seiner Prüfung zu; das laute scharfe „Pang“ der platzenden Granate ertönt näher oder ferner, jenes Urtheil bestätigend oder berichtigend – und die Spaten klirren wieder von Neuem; und die Vorsichtigen tauchen wieder aus auf dem dunkeln Höhlenthor des Bombensicheren unter dem ironischen Willkommengruß der Cameraden: „Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein, sie schießen nicht mehr!“ –

Die Parkmauer, welche diesen ganzen weiten Bezirk umhegt, hat nicht nur zum Vertheidigungswall, sondern ebenso sehr zum Beobachtungsposten zu dienen. Zu diesem Zwecke sind an ihrer innern Seite in halber Höhe die sogenannten „Banquets“ angebracht, d. h. horizontale Bretterlagen, welche es den auf ihnen postirten Soldaten ermöglichen, mit den Augen über den obersten Mauerrand hinwegzulugen. Wo dicht an der Mauer Bäume standen, ruhen diese Banquets auf deren unteren Zweigen oder ad hoc bearbeiteten Stämmen. Wo die fehlen, muß jeder gerade zur Hand liegende Gegenstand zur tragenden Stütze dienen, aufgehäuftes Holz, Steinhügel, häufig genug auch Möbel, zuweilen solche von der kostbarsten Art, wie sie die benachbarten Villen und Schlösser hergaben. Aus Schrank- und Stubenthüren, aus Commodenwänden und Tischplatten aber construirt erheben sich in gewissen Abständen, meist paarweise nebeneinander, auf diesen Banquets die freilich auch nur sehr geringe Deckung gewährenden Wachhäuschen für die einzelnen Beobachtungsposten.

Gewiß, es giebt angenehmere Schildwachdienste als diese dort: nicht ohne aufrichtige Bewunderung konnte ich immer diese braven Männer und Burschen dort stundenlang stumm und unbeweglich ausharren sehen, das Gewehr schußfertig im Arm, den Blick spähend hinausgerichtet über den Mauerrand, anscheinend gleichgültig auch gegen den kalten Herbstregen, den ihr luftiger Verschlag so wenig wie ihr grauer Tuchmantel hindert, sie bis auf die Haut zu durchnässen, gleichgültig auch gegen jene schlimmen fünfundsiebenzigpfündigen Schloßen, die in jedem Augenblick ihrem Postendienst ein Ziel für immer setzen und sie ablösen können zur ewigen Ruhe.




Blätter und Blüthen.


Die Kämpfe um Brie und Villiers gehören bekanntlich zu den blutigsten dieses so opferreichen Krieges; namentlich waren es die Sachsen, welche in dem von ihnen mit so bewundernswerther Tapferkeit genommenen Dorfe Brie unter dem Granatenregen der nahe liegenden Forts ungeheure Verluste erlitten, die sie denn zuletzt auch zwangen, das so hartnäckig und heldenmüthig behauptete Object des Kampfes doch wieder aufzugeben. Zu der Illustration des Plateaus von Villiers, die wir in heutiger Nummer bringen, erhalten wir von unserem Specialartisten F. W. Heine nachträglich einen kurzen, die Bedeutung jener Kämpfe vom 30. November und 2. December erläuternden Text mit der Entschuldigung, daß es ihm unmöglich sei, unter der Aufregung, die er von den Eindrücken der genannten Tage mit hinweggenommen habe, eingehender und ausführlicher zu schreiben. Er macht uns vielmehr auf den Brief eines auch uns befreundeten Leipzigers aufmerksam, des Einjährig-Freiwilligen[WS 1] Rudolph Krauße, der zwar nur persönliche Erlebnisse, diese aber so lebhaft und anschaulich schildert, daß wir den Brief gerne hier in Abdruck folgen lassen. Er lautet:

„Die ganze Zeit vom 14. bis 29. November waren wir vom hundertsiebenten Regiment fortwährend auf dem Marsche, erst nach Cournay, von da nach Broux, Montfermeil, Pomponne, bis wir schließlich am 26. früh nach Noisy le grand kamen. Am 30. gegen vier Uhr Morgens ertönt plötzlich das bekannte Alarmsignal; wir schnell umgehängt und ohne Kaffee und Brod angetreten; um fünf Uhr rückten wir ab und erfuhren beiläufig, daß wir die württembergischen Vorposten beziehen sollten. Kaum waren wir eine Stunde marschirt, so sahen wir schon am dunklen Himmel das heftige Blitzen der Kanonen, den Donner vernahmen wir noch nicht; doch ging’s von nun an mit gespitzten Ohren vorwärts, daß wir gegen sieben Uhr Morgens nach Champigny kamen. Das Feuern hatte mittlerweile gänzlich aufgehört und die Vorposteneintheilung nahm ihren ruhigen Verlauf; ich war mit noch ungefähr zehn Mann in ein Kloster gekommen, woselbst wir uns gegen die rückwärtsliegenden Franzosen decken sollten. Wir hatten Platz genug, zu kochen und es uns gemüthlich zu machen; aber ich weiß nicht, in die Mannschaft war eine Unruhe gefahren, die auch mich ansteckte; wir hatten uns in der Küche zusammengedrängt, aber an Tornisterablegen und Koppelabschnallen dachte kein Mensch. Gegen halb acht Uhr begann denn auch eine so fürchterliche Kanonade, daß wir förmlich betäubt wurden; links und rechts, in’s Dach hinein, überall hin schlugen die Granaten, die Fensterscheiben klirrten; kurz, es war ein Höllenscandal.

Während wir, wie von Gott verlassen, dasaßen, kam auf einmal ein Alarmposten in’s Kloster und schrie: ‚Um Gotteswillen fort, fort, die Franzosen sind ja schon im Dorfe!‘ Wie ein Blitz schlug uns die Nachricht in die Glieder. Im Nu waren wir vor die Thür, und hier bot sich uns ein Anblick, den ich mir nicht mehr wieder wünsche. Keiner von unseren Leuten war mehr zu sehen, dafür aber erblickten wir am Ende der Straße eine Compagnie Franzosen, welche die Häuser durchsuchten; wir rannten, was Zeug hielt, die Straße hinauf, während die Franzosen ein Salvenfeuer auf uns abgaben. Hier büßten wir schon vier Mann ein, so daß wir nur noch sechs Mann waren. Als wir glücklich um die Straßenecke und in’s Freie gekommen waren, sahen wir vorn und hinten schon die Franzosen feuern, so daß uns nur rechts hinauf die Fluchtlinie übrig blieb, wir warfen uns in den Chausseegraben und rutschten auf dem Bauche vorwärts. In der Mitte der Straße, von den Franzosen nach vorn ungefähr hundertfünfzig Schritte, nach rückwärts ungefähr dreihundert Schritte entfernt, sprangen wir auf und rannten nach rechts in der Richtung einer dort aufgefahrenen Batterie vorwärts; die aber wurde aus den links liegenden Forts von einem wahren Granatenhagel überschüttet, wovon auch ein guter Theil zu kurz, also auf uns zufiel. Sonach erhielten wir von drei Seiten Feuer, und trotzdem fiel blos ein Mann; aber das Rennen! Ich taumelte zuletzt nur noch so fort, im schweren Mantel, den vollen Tornister auf dem Rücken, und die Aufregung dazu; es war zum Umkommen, nur der eine Gedanke, nicht Gefangener zu werden, hielt mich aufrecht. Neben mir lief mein Stubencamerad Müller, er konnte auch bald nicht mehr fort; endlich erreichten wir den Eisenbahndamm und zu unserer größten Freude stand dort unter einer Böschung Hauptmann Franke mit circa zwanzig Mann von der ersten Compagnie.

Nachdem wir ein Weilchen verschnauft und unsere Mäntel gerollt hatten, sagte Hauptmann Franke: ‚Na, Kinder, hier können wir nicht müßig stehen bleiben, vorwärts auf den Damm, dort oben stehen Franzosen, die müssen wir aufhalten, sonst kommen uns die Kerle zu nahe heran.‘ Also hinauf, Franke voran – oben legten wir uns platt an die Böschung und schossen nun, was wir konnten, auf die links und vorn sich entwickelnden Rothhosen. Die rechts auf der Höhe anlangten, wurden von einem württembergischen Jägerbataillon in Empfang genommen. Links neben mir lag mein guter Müller, Student der Medicin in Leipzig, und schoß wacker drein, bis er auf einmal rief: ‚O Gott, ich habe eine Kugel!‘ Dann lag er eine Weile ganz ruhig und athmete nur; über dem rechten Auge quoll ruckweise das warme Blut, es dauerte nicht lange, so fing er an zu röcheln, streckte sich und war todt. Ungefähr fünf Minuten später sah unser Adjutant Lieutenant Zimmermann mit dem Fernrohre zurück, als ihn eine Kugel in die Schläfe traf, er war auf der Stelle todt; unser kleiner Lulu, der Avantageur von Uslar-Gleichen, Bruder des gleichnamigen Premierlieutenants in Leipzig, erhielt eine Kugel in die Brust, das Blut kam armstark zum Munde heraus, nach fünf Minuten war der arme sechszehn und ein halbes Jahr alte Kerl auch eine Leiche. Aehnliche Schüsse erhielten noch vier Mann von uns auf dem Damme, so daß wir dort allein sieben Mann einbüßten. Mittlerweile kamen vorne immer mehr und mehr Franzosen in’s Gefecht, so daß wir uns kaum halten konnten; es fuhren französische Batterien auf, Reiterei ließ sich sehen.

‚Wenn wir keine Unterstützung bekommen, müssen wir retiriren,‘ mit diesen Worten kam ein württembergischer Lieutenant von den Jägern, die neben uns lagen, auf unsern Hauptmann zu; kaum hatte er die Worte gesprochen, als er eine Kugel in den Rücken erhielt. – In den Rücken? wir sahen uns nicht schlecht erschrocken um und – hilf Samiel! im Rücken

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Unteroffizier, vergl. Berichtigung
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_018.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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