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Seite:Die Gartenlaube (1871) 020.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Es war mir aber trotz aller Nachfragen noch niemals geglückt, ein Exemplar desselben aufzutreiben, da der Brief nur dann seine wunderbare Eigenschaft beibehalten sollte, wenn ihn der Besitzer ganz geheim hielte. Auch diese schöne Gelegenheit, von den beiden Grenadieren vielleicht über das Geheimniß etwas Näheres zu erfahren, ließ ich ungenützt verstreichen und mit ihr jede Hoffnung, jemals in den Besitz desselben zu gelangen.

So kam indessen das Jahr 1870 heran und mit ihm der noch jetzt nicht beendete deutsch-französische Krieg. Mein Regiment wurde gleich anfangs mobil und sollte am 27. Juli früh um fünf Uhr abmarschiren. Ich hatte gerade meine Marschtoilette vollendet und stand im Begriffe, mich auf den Sammelplatz der Compagnie zu begeben, als ein etwa achtjähriger Junge, ohne zu klopfen, in meine Stube trat, mir einen Brief übergab und sich, ein kleines ihm dargereichtes Trinkgeld ausschlagend, schleunigst entfernte. Da ich der festen Ueberzeugung war, der Brief enthalte eine noch unbezahlte Rechnung, so steckte ich ihn – um mir die letzten Momente in der Garnison nicht zu verbittern – ungelesen zu mir und öffnete ihn erst während des Marsches auf unserem ersten Rendezvous. Wer aber beschreibt mein Erstaunen, als ich statt der Klagen eines durch den Ausmarsch der Truppen hart betroffenen Kaufmanns jenen vielfach ersehnten und oft gesuchten Brief entdeckte, den mir irgend ein für meine Erhaltung besorgtes Wesen in liebevollem Aberglauben zugesendet haben mochte. Ich gebe hier wortgetreu einen Theil seines unglaublich albernen Inhaltes wieder.

Die Überschrift lautet: „Ein Brief aus Holstein gesandt.“ Rechts daneben steht gewissermaßen als Motto:

„Der Glaube muß dabei sein,
Der Brief thut’s nicht allein.“

„Dieser Brief ist vom Himmel gesandt und in Holstein gefunden worden Anno 1579. Er war mit goldenen Buchstaben geschrieben und schwebte über dem Taufbecken zu Rudnau. Sowie man ihn ergreifen wollte, wich er zurück, bis 1591, wo Jemand den Gedanken faßte, ihn abzuschreiben und der Welt mitzutheilen. Zu diesem richtete sich der Brief und stand. Wenn Einem die Nase blutet oder er sonst einen blutigen Schaden hat und das Blut nicht stillen kann, der nehme diesen Brief und lege ihn darauf. Wer dies nicht glauben will, der schreibe diese Buchstaben: H. K. J. L. F. auf einen Degen oder auf die Seite des Gewehrs und stecke es auf einen Platz, so wird man ihn nicht verwunden können. Wer diesen Brief bei sich trägt, der kann nicht bezaubert werden, und seine Feinde können ihm keinen Schaden zufügen. Das sind die heiligen fünf Wunden Christi: H. G. L. G. K., und Du bist sicher, daß Dir kein falsches Urtheil geschehen kann. Wer sonst diesen Brief bei sich trägt, dem kann kein Blitz, kein Donner, kein Feuer oder Wasser Schaden thun. Und wenn eine Frau gebiert, und die Geburt nicht von ihr will, so gebe man ihr diesen Brief in die Hand und so wird sie gebären, und das Kind wird glücklich werden. – – – Wer diesen Segen gegen den Feind bei sich hat, der wird vor Gewehr und Geschütz bewahrt bleiben. Wer dieses nicht glauben will, schreibe es ab, hänge es einem Hunde an den Hals und schieße nach demselben, so werdet ihr sehen, daß es wahr ist (!!!). Wer diesen Brief bei sich hat, wird nicht gefangen, noch durch Feindes Waffe verletzt werden, so wahr es ist, daß Christus geboren und gen Himmel gefahren ist, so wahr er auf Erden gewandelt ist. Alles soll unbeschädigt bleiben. Ich beschwöre alle Gewehre und Waffen bei dem lebendigen Gotte im Namen † Gottes des Vaters † und des Sohnes † und des heiligen Geistes. – –

Gott mit uns.“

Dies und noch vieler andere Unsinn steht in dem „Briefe“.

Man sollte es gar nicht glauben, daß unzählige deutsche Männer an so Etwas glauben und sich wirklich für unverwundbar halten, wenn sie Derartiges bei sich tragen. Und dennoch habe ich von diesem Briefe nicht nur in den verschiedensten preußischen Provinzen sprechen hören, sondern ihn auch, während des noch andauernden Feldzuges, wörtlich in der Rheinpfalz gefunden. Es war in dem anmuthigen Städtchen Annweiler, in der liebenswürdigen Familie des Steuereinnehmers Herrn Rupertus, wo mir eine seiner Töchter ein Exemplar dieses Briefes als Curiosum zeigte. Irgend Jemand hatte dasselbe ihrem gegen Frankreich ziehenden Bruder als Universalmittel gegen Chassepots und Mitrailleusen mitgeben wollen.

Neben diesem so weit verbreiteten Aberglauben findet man auch noch so manchen andern; wobei es sich natürlich immer nur um das „kugelfest“ machen dreht. Was ich hierüber habe in Erfahrung bringen können, will ich noch in Kürze erwähnen.

Es ist ein vielfach verbreiteter Glaube unter den Soldaten, man müsse, ehe man in’s Gefecht geht, „drei“ Gegenstände von sich werfen. In Folge dessen sehen denn auch die Rendezvousplätze der Truppen nach dem Abmarsche oft verwunderlich genug aus. Sie sind bedeckt mit allem Möglichen, was der Soldat etwa entbehren kann: kleine Spiegel, Knöpfe, Knopfgabeln, Bürsten etc. liegen überall umher. Ganz besonders sind es Spielkarten, deren sich der Soldat gern auf diese Weise vor der Schlacht entäußert, da er annimmt, sie seien ein Werk des Teufels und „zögen die Kugeln an“. Deshalb findet man jene am allerhäufigsten unter den weggeworfenen Gegenständen. Besonders habe ich dies im Jahre 1866 in Oesterreich bemerkt, wo man die weggeworfenen Karten auf den verlassenen Bivouacsplätzen oftmals massenweise finden konnte. – Auf Camphausen’schen Gefechtsbildern kann man diese Wahrnehmung bisweilen angedeutet finden. – Auch Geld soll, aber in anderer, für den Besitzer heilbringender Weise „die Kugeln anziehen“. Deshalb sucht sich jeder Mann womöglich einige harte Thaler einzuwechseln, um sie in die verschiedenen Taschen zu vertheilen, weil er glaubt, die Kugeln werden ihn nunmehr nicht verwunden, sondern sich die Münzen als Ziel aussuchen und daselbst platt schlagen.

Man könnte nun fragen, ob es nicht Sache des Officiers sei, solchem Aberglauben zu steuern oder ihn sogar gänzlich auszurotten. Allerdings muß ich diese Frage bejahen; aber ich glaube nur, daß der Krieg selbst dazu nicht die geeignetste Zeit ist. Im Kriege ist der Soldat eine Maschine, die mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften arbeiten muß, gleichviel, woher sie dieselben nimmt. Der Schwache, der des Aberglaubens benöthigt ist, mag ihn zunächst behalten, wenn er nur hierdurch zu einem höchsten Kraftaufwande befähigt wird. Vielleicht aber dienen diese Andeutungen dazu, daß Ihnen auch von anderer Seite Beobachtungen und Erfahrungen auf diesem nicht nur dem Culturhistoriker interessanten Gebiete mitgetheilt werden.


Aus den ersten Tagen des Krieges bringen wir nachträglich noch eine Illustration des Professor Thumann, welcher uns dazu schreibt: „Am Tage nach der Einnahme von Weißenburg kam ich auf der Besichtigung des Gefechtsterrains nach dem südlich der Stadt gelegenen Bahnhofe, der wie sämmtliche vom deutschen Thore her vor der Mauer gelegenen Gärten die Spuren des erbittertsten Handgemenges trug. Der Kampf hatte hier besonders gewüthet und die Zerstörung sämmtlicher Räume herbeigeführt. Jetzt war der Bahnhof belebt von Gefangenen, Verwundeten, die auf Beförderung warteten, Aerzten und Krankenpflegern, und in diesem Chaos spielte eine kurze ergreifende Gerichtsscene.

In einem der Gepäckräume saßen gut bewacht drei Gefangene, ein französischer Soldat und zwei Civilisten, von denen die zuletzt genannten lebhaft mit unseren Soldaten verhandelten. Ein dazukommender Johanniter v. P. bedeutete letztere, ihre cameradschaftlichen Gefühle gefangenen Soldaten, nicht aber zwei so Elenden, wie diese hier, die trotz ihrer deutschen Sprache sich an unsern Verwundeten vergriffen hätten, zuzuwenden. Unsere Soldaten zogen sich scheu von den beiden Verbrechern zurück, und ich vernahm nun, daß die beiden Männer angeschuldigt waren, aus Fanatismus einen verwundeten hülflosen Baier auf dem Schlachtfelde mit Gewehr und Sichel ermordet zu haben. Kurz darauf erschienen zwei baierische Officiere und stellten mit kurzen Fragen die Persönlichkeiten der beiden Verbrecher, des Bürgermeisters aus Riedselz (Namen habe ich nicht behalten) und seines Sohnes, fest. Die Antworten, welche die Angeklagten gaben, waren kaum zu vernehmen; eine Krankenpflegerin aber, welche die Unthat auf dem Schlachtfelde mit angesehen und auch die Gefangennahme der beiden Männer veranlaßt hatte, bezeichnete sie mit aller Bestimmtheit als die Mörder. Damit war die Verhandlung geschlossen; den weiteren Verlauf wartete ich nicht ab; wenige Tage darauf aber war in allen Blättern zu lesen, daß der Bürgermeister aus Riedselz mit seinem Sohne wegen Ermordung eines verwundeten baierischen Jägern erschossen worden sei.“


Die deutschen Kinder haben ihre Sache brav gemacht: sie haben ihre Christbescheerung für arme deutsche Kinder des Krieges dies- und jenseits den Rheins, im Verhältnis zur beschränkten Zeit, mit glücklichem Eifer ausgeführt. Weit über zweitausend Thaler sandten sie in wenigen Wochen an die Redaction der Gartenlaube und gegen siebenzig und darunter centnerschwere Waarensendungen halfen mit ihrem reichen Inhalte auf das Mannigfaltigste die Bescheerungstafel schmücken. In den vielen kindlichen Zuschriften an den „Onkel Keil“ oder an den Herrn Dr. Fr. Hofmann spricht sich die Ehrfurcht und die Dankbarkeit gegen die Helden des Krieges ebenso warm aus, wie die echt deutsche Schwärmerei für Straßburg, „die wunderschöne Stadt,“ und das ganze alte Reichsland, das ihre Alten auch nie vergessen konnten, und sogar mit Verschen werden die neuen Cameraden begrüßt, aus Weimar, Ilmenau, Römhild etc. Im Ganzen vereinigen sich all’ die frischen Stimmchen in dem Wunsche und Gruße des kleinen sechsjährigen Hänschen H. in Apolda, der da lautet:

„Auch über’m Rhein schlägt Lieb’ für Euch,
Drum tretet gern zum deutschen Reich!
Denn seht, wie gut zum heil’gen Christ
Noch Eure alte Mutter ist!“

Es werden nicht wenige Gaben für eine Christbescheerung zu spät kommen; sollten diese dann nicht für die armen Angehörigen unserer Ausmarschierten als Unterstützung verwendet werden dürfen? –


Die Europa, einstens von August Lewald, dann von Gustav Kühne und jetzt von Friedrich Steger redigirt, verfolgt die Tendenz, ihre Leser mit allen bedeutsamen culturgeschichtlichen Bestrebungen der Gegenwart und mit den wichtigsten Erscheinungen der deutschen und fremden Literatur bekannt zu machen, fort und fort in der anerkennenswerthesten Weise. Unmittelbar aus dem reichen geistigen Leben schöpfend, widmet die genannte Wochenschrift dem Neuesten, was sich auf dem Gebiete des Schönen und Interessanten darbietet, ausführlichere und den Zweck der Unterhaltung voranstellende Schilderungen. Im Hauptblatte führt sie die besten neu erscheinenden Werke vor, jedoch mit Ausschluß der gelehrt wissenschaftlichen, und empfiehlt dieselben durch Mittheilung eines besonders interessanten Abschnittes, oder durch eine auf ihren Hauptinhalt eingehende Darstellung. Im Beiblatte giebt sie eine Wochenchronik, welche keine neue anerkennenswerthe Leistung in den Fächern der Literatur, Musik, bildenden Kunst und Theaterwelt unbeachtet läßt. Diese Chronik erhält die Leser in steter Bekanntschaft mit der geistigen Thätigkeit Deutschlands und des Auslandes auf allen den Feldern, die für jeden Gebildeten vom höchsten Interesse sind, und hat bekanntlich überall, namentlich in allen Kreisen, welche sich für Literatur und Kunst interessiren, großen Anklang gefunden.


Ein Sohn sucht seine Eltern. Obwohl die kriegerische Zeit uns noch nicht gestattet, die Rubrik der Vermißten wieder in ihrem ganzen Umfange zu eröffnen, so lassen wir doch einzelne Ausnahmen gelten, und darauf hat gewiß jetzt Niemand mehr Anspruch, als unsere Soldaten im Felde. Ein solcher ist’s, der uns folgenden Aufruf zum Abdruck zusendet:

„Der Schauspieler Rudolph Wilhelm Retty, augenblicklich im Felde und beim Regiment Nr. 77, 12. Compagnie, 7. Armeecorps, wünscht hierdurch seine Angehörigen, über deren Verbleib er seit zwei Jahren nichts erfahren, in den Stand zu setzen, ihm solche Kenntniß zukommen zu lassen.“

Möge dem Mann im Feld diese Freude bereitet werden!



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_020.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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