Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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No. 2. | 1871. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Ich verdolmetschte diese Antworten meinem Cameraden Glauroth, der in seinen Classen so viel Französisch gelernt, um es zu verstehen, wenn er es in einem Buche deutlich gedruckt vor sich hatte, nicht aber, wenn es ein lebendiger Mund vor ihm sprach. Er war, wie ich, der Ansicht, daß der Mensch schwerlich um der Marder willen da verborgen war; an einem Tage, wie der heutige für die Schloßbewohner gewesen, dachten sie wohl nicht daran, daß ein paar Apricosen oder Birnen von ihren Spalieren verschwinden könnten.
„Ihr habt auf Franctireurs gewartet,“ sagte ich, „und wolltet ihnen den Weg in’s Schloß zeigen, um uns überfallen zu können!“
Er sah mich mit einem feindlichen, höchst tückischen Blick unter den buschigen grauen Brauen her an und sagte: „Sie irren, Monsieur – die Franctireurs sind verdammtes Gesindel, mit denen wir nichts zu schaffen haben, Wenn Sie gekommen wären, wahrhaftig,“ er wandte seinen Kopf rasch ab, dem Eingang der Allee zu, und fuhr fort mit einer Stimme, die plötzlich dreimal lauter war, als bisher – aber wieder zu mir gewandt: „Wahrhaftig, gare à vous, reculez, en arrière, allez-vous en! würde ich Ihnen zugerufen haben, die Preußen sind hier!“
„Und weshalb schreist Du das jetzt so laut, Spitzbube?“ rief Glauroth ihn an der Jacke erfassend aus.
Ich hatte das Gesicht nach derselben Richtung gewendet, wohin hin der Mensch soeben geblickt, nach dem Eingange der Allee – und täuschte ich mich oder war es Wirklichkeit? ich glaubte eine dunkle Gestalt wahrzunehmen, die sich dort aus dem Schattendunkel heranbewegte – und im nächsten Augenblick zurückfliehend in demselben verschwunden war.
„Nehmen wir den Menschen zwischen uns; er soll uns folgen und uns durch die Allee zum Flusse führen,“ sagte Glauroth.
Ich war einverstanden.
„Also vorwärts,“ rief ich unserem Gefangenen zu, „geht mit uns bis zum Flusse hinab!“
„Ich werde mich hüten,“ versetzte er mürrisch; „ich … ich habe nichts im Gehölze zu thun und will schlafen gehen!“
„Ihr geht mit uns, wie wir’s Euch befehlen …“
„Und wenn ich nicht will?!“
„Es ist offenbar, daß er seinen Wachposten hier nicht verlassen will!“ rief mein Camerad. „Es wäre gut, wenn wir …“
„Still!“ sagte ich, mich wendend, weil ich Schritte vernahm – ich sah dieselbe Gestalt, welche vorhin in’s Dunkel zurückgetreten war, herankommen; es waren leichte Schritte, die auf dem Kiesboden knirschten, begleitet von dem Rauschen von Seide, und das Nahen einer Dame ankündigten – in der That, eine junge Dame trat rasch aus der Schattenregion in das helle Mondlicht.
Wir Beide starrten sie überrascht an, diese schlanke elegante Gestalt mit, wie es schien, feinen und edeln Zügen – deutlich erkennen konnten wir nur das schöne Oval des Gesichts, um das sie ein schwarzes Spitzentuch – geknüpft trug; auch ihr Kleid war schwarz, der Mondschein rieselte hell an den Falten desselben nieder.
Sie hatte beim Herankommen den rechten Arm ein wenig erhoben, wie eine Bewegung der Beschwichtigung machend, und in langsamem, französisch accentuirtem Deutsch sagte sie:
„Lassen Sie den Mann, lassen Sie ihn … es ist unser Gärtner … was verlangen Sie von ihm?“
Die Worte waren mit einer gewissen Betonung von Entrüstung ausgesprochen.
„Verzeihung, Mademoiselle,“ sagte ich, mich verbeugend, „wir fanden ihn in einer Weise, die uns Verdacht einflößen mußte, wenigstens verbarg er sich vor uns und weigerte sich, uns zu führen.“
„Beides war sehr natürlich,“ fiel sie mit einer mich eigenthümlich berührenden metallhellen und doch weichen Stimme ein, die ein wenig wie von einer Aufregung vibrirte, „ich hatte ihm befohlen, dort zu bleiben – ich wollte, während ich im Garten spazieren ging, ihn zu meinem Schutze da wissen.“
„Dann,“ versetzte ich, „müssen wir abermals um Verzeihung wegen dieser Störung bitten; wir konnten das nicht ahnen – es that uns in der That leid, Sie hier, in Ihren Gartenanlagen – denn ich darf voraussetzen, daß ich mit der Herrin dieser schönen Besitzung rede – belästigt zu haben –“
„O, Sie verzeihen uns das gewiß,“ fiel hier der unausstehliche Glauroth mit seiner Suada ein, „Sie selbst haben sich ja von dieser schönen Mondscheinnacht herauslocken lassen – wir dürfen deshalb hoffen, daß Sie Nachsicht mit der deutschen Sentimentalität haben, die sich unwiderstehlich hinausgezogen fühlte in diese thauige und blumendufterfüllte Mondscheinnacht, in welcher wir wohl erwarten konnten, der Elfenkönigin, nicht aber der …“
Ich fühlte, daß er im Begriff stand ein tactloses Compliment vorzubringen, und darum unterbrach ich ihn rasch: „Und als ein Zeichen Ihrer Verzeihung würden wir es betrachten, Fräulein,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_021.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)