Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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auf Französisch, „kannst Du das spielen?“ Und dabei gab ihm der Soldat die Melodie des „Heil dir im Siegerkranz“ an.
„Ei, wo werd’ ich denn das nit könne?“
„Was, Franzosenzuav’, Du kannst Deutsch?“
„Ich bin aus dem Elsaß, mein Vater ist in einem Dorf bei Hagenau Schulmeister.“
„Na, nun ist’s gut, nun spiel’ mal drauf los.“
Mit den ersten Orgeltönen des Volksliedes vermischte sich die kräftige sonore Stimme des wachhabenden Soldaten, erst sang er allein, dann fielen seine Cameraden ein und bald brauste das Lied in vollem, mächtigem Chor durch die hohe Kirchenhalle.
„Aber den Gedanken an Dach und Fach müssen wir für diese Nacht schon aufgeben,“ sagte ich beim Zurückgehen aus der Kirche. Wir kamen auf unserem Wege des Umherirrens ohne Zweck und Ziel an einem kleinen vierstöckigen Hause vorüber, aus dem uns ein Feuerschein entgegenleuchtete. Der Wunsch nach einem Unterkommen war in uns durch die vielen mißlungenen Versuche bereits Instinct geworden, und dieser ließ uns einen Blick in das Innere der Hütte werfen. Wir sahen einen Mann in einer blauen Blouse und eine Frau mit einem splitternackten Kinde von etwa acht Wochen am Kamine sitzen. Das Haus war nicht belegt. Wir traten ein. An das Zimmer mit dem Kamin stieß noch ein anderes, in dem sich Niemand befand. Das war über alles Erwarten, gefunden war – gefunden, was wir so lange und trotz der heißen Sehnsucht unseres Herzens vor Kälte schlotternd gesucht hatten. Den Leuten ward der Standpunkt bald klar gemacht; in dem anstoßenden Zimmer war noch ein Bett, darauf verzichteten wir, das sollten sie in die Stube mit dem Kamine bringen, auf diesem sollten sie schlafen, wir wollten uns in dem anderen ein Strohlager machen.
„Aber meine Kinder – wo sollen denn die schlafen?“ jammerte der Mann.
„Ihre Kinder? Sie haben ja doch nur eines.“
„O nein,“ war die Antwort des Mannes, indem er auf das Bette deutete. In demselben lagen noch vier Stück nebeneinander wie die Orgelpfeifen.
Aber es konnte nichts helfen; die Kinder wurden in das Bett in die andere Stube gepackt, das letztere selbst getheilt, so daß die ganze Familie die Nacht noch ganz passabel zubrachte. Ich wurde der Expedition zugetheilt, die beauftragt war, Stroh zu holen. Dessen war einige hundert Schritt vom Hause noch ein ganzer Haufen vorhanden. Jeder bepackte sich mit einem tüchtigen Bund, und als ich ein solches eben fassen wollte, fuhr meine Hand vor einer Berührung mit einer Bewegung des Entsetzens zurück – ich blickte nach der Stelle, dort lag ein französischer Soldat todt – ich hatte ihm in’s Gesicht gegriffen.
Während der Nacht fing von den Kindern, die in der Nebenstube schliefen, eines nach dem andern eine liebliche Musik in allen Tonarten des Weinens an, von dem Bivouacfeuer in dem gegenüberliegenden Hofe tönte die ganze Nacht Gesang und Gelächter herüber – zwei Decken und ein Mantel waren kaum ausreichend, um uns vor Kälte zu schützen; aber dennoch fühlte man sich doch glücklich gebettet, wenn man an die Verwundeten dachte, die draußen auf freiem Felde vielleicht nach Hülfe riefen, nach einem Tropfen Wasser schmachteten; wenn man am andern Morgen sah, wie die höchstgestellten älteren Herren aus den Wagen, aus den Scheunen, von den Heuböden hervorkamen, wo sie die Nacht zugebracht hatten. Die Nacht wurde zu einem köstlichen Tage durch die Nachricht: „Orleans ist vom Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, vom neunten und dritten Corps in der Nacht genommen worden – das Hauptquartier wird um elf Uhr nach Orleans verlegt. Hurrah!“
„Auf nach der Stadt der Jungfrau – auf nach Orleans!“
Was aber wird der Herr Abbé in Pithiviers bei der Nachricht sagen?
Als im Jahre 1809 Napoleon auf der Höhe seines Glanzes stand und seinen tyrannischen Arm über ganz Deutschland ausstreckte, unternahm es ein deutscher Jüngling, Namens Friedrich Staps, durch einen Mordversuch auf den gefürchteten Kaiser das Vaterland von der Fremdherrschaft zu befreien. Obwohl dieses Factum und das Schicksal des jungen Menschen allbekannt sind, so verbreiten doch die nachstehenden Mittheilungen neues Licht über diesen patriotischen Märtyrer, dessen verwerfliche Absicht, obwohl der Vaterlandsliebe entsprungen, dadurch jedoch keineswegs nur im Geringsten gerechtfertigt werden soll.
Diese Notizen über Friedrich Staps sind Aufzeichnungen von der Hand seines Vaters entnommen. Sie athmen innige Liebe und tiefen Schmerz um einen Sohn, welcher ein Muster kindlicher Liebe, reiner Sitte und des Fleißes war, der seine Eltern nie betrübt hatte, als durch seine letzte That.
Die Aufzeichnungen sind mit einer dem alten Manne und der damaligen Zeit verzeihlichen Breite geschrieben; es ist hier Wesentliches hervorgehoben, allzu Umständliches zusammengefaßt, doch der Ton des Vaters beibehalten, welcher dem Ganzen eine warme, gemüthvolle Färbung verleiht. –
Die Predigerstelle in dem Dorfe Schönburg bei Naumburg an der Saale war seit mehreren Generationen erblich geworden in der Familie Wislicenus. Eine Tochter des letzten Pastors daselbst – Justus Jacobus Wislicenus – wurde die Mutter des unglücklichen Jünglings. Ein viel jüngerer, den Eltern noch spät geborener Sohn, nachmals Prediger zu Badaune bei Leipzig, wurde der Vater des früheren Predigers Gustav Wislicenus (jetzt in Zürich), des tapfern Kämpfers in der evangelischen Kirche – allgemein bekannt durch sein Werk über die Bibel, der Verfasser freisinniger religiöser Schriften und Opfer seiner Ueberzeugung!
Die Mutter des jungen Staps war in erster Ehe an den Wirth des Gasthofs „zum Scheffel“ in Naumburg an der Saale verheirathet. Eines Tages sangen die Schüler des dortigen Domgymnasiums vor ihrem Hause, wie das damals Sitte war. Die hübsche junge Frau hörte dem Gesange zu. Einer der Sänger, der Schüler Staps, Sohn eines Landmannes aus der Umgegend, rief bei ihrem Anblick aus: „Wenn ich mir einst ein Weib nehme, eine solche Frau muß es sein, am liebsten diese selbst!“
Friedrich Gottlieb Staps wurde später Prediger an St. Othmar in Naumburg, und die geborene Wislicenus, deren Mann indessen gestorben war, reichte nun wirklich dem etwas jüngeren Manne ihre Hand in zweiter Ehe.
Lassen wir den Vater nun selbst weiter erzählen:
Im März 1792 wurde unser Sohn geboren und Friedrich Gottlieb genannt. Welche Freude für mich, welch noch innigeres Glück für seine Mutter, die zuvor siebenzehn Jahre in kinderloser Ehe gelebt hatte. Friedrich wuchs auf, gesund, frisch, ein lernbegieriges Kind. Schon früh zeigte er Neigung zum Stande seines Vaters, und setzte seine Zuhörer durch den Vortrag seiner kindlichen Predigten in Verwunderung. Später erwachte in ihm die Neigung zum Kaufmannsstande, welcher ich nicht entgegen war, und ihm nur lehrte, was er für seine neue Laufbahn brauchte. Friedrich betrieb mit Vorliebe das kaufmännische Rechnen, neue Sprachen – bald konnte er seinen Telemach übersetzen, sowie deutsche Briefe in fremde Sprachen. Vor allen hörte er die Religionsvorträge mit wahrer Ehrfurcht an und prägte sich ihre Lehren tief in sein jugendliches Herz. Kein Tag fing an ohne Gebet aus dem eigenen Schatze seines Herzens, und mit innigem Danke gegen Gott legte er sich auf sein Lager. Er hat es bis an sein Ende fortgesetzt. Er war ordentlich, fleißig und ausdauernd, führte unverbrüchlich aus, was er sich vorgesetzt. Im neunten Jahre machte er sich einen Stundenplan – durch Nichts, am wenigsten durch ein Vergnügen, ließ er sich davon abbringen. Lust und Ehrgeiz trieben ihn zum Lernen, er wollte vorwärts kommen, um seinen Eltern einst eine Stütze zu werden. „Mutter,“ hatte er eines Tages gesagt, „wenn ich einst meinen eigenen Heerd habe, nehme ich Dich zu mir, dann will ich Dir all’ Deine Liebe vergelten.“
Braucht man es wohl auszusprechen, wie sehr uns dieser Sohn beglückte, wie hoch er besonders im Mutterherzen stand? Doch wurde diese häufig durch einen Traum seinetwegen beunruhigt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_028.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)