Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Ihr träumte, sie sei mit ihren beiden Söhnen im Garten zu Schulpforta bei Naumburg; im Ueberschreiten des schmalen Steges, der hier über einen Arm der Saale geht, fällt ihr geliebter Fritz plötzlich in’s Wasser. Sie strengt alle Kräfte an, ihn zu retten, umsonst – er versinkt und entschwindet ihren Augen für immer. Wie oft beängstigte dieser Traum ihr mütterliches Herz, vergebens erinnerte ich sie daran, daß Träume nur Spiele der Phantasie seien.
Friedrich hatte sich einen reichen Schatz von Kenntnissen gesammelt, auch trieb er Musik und zeichnete nicht ohne Talent, ja, er beschäftigte sich mit dichterischen Versuchen und bearbeitete nach der Lectüre von Gumal und Lina einen Theil davon als Schauspiel.
Im Jahre 1806 fand sich Gelegenheit zu seiner weiteren kaufmännischen Ausbildung, indem er als Lehrling in die Fabrik von Rothstein und Lentin nach Erfurt kam. Auch hier erwarb sich unser Sohn durch Fleiß und Treue die Liebe seines Principals. Er hatte sich das Ziel gesetzt, einst Correspondent oder Reisender eines großen Hauses zu werden, nicht ein Krämer, sein Sinn stand nach größeren Verhältnissen.
Friedrich’s häufige Briefe aus jener Zeit athmen stets liebevoll kindlichen Sinn, zu Geburtstagen und Festlichkeiten erfreute er uns mit Geschenken von seinem ersparten Taschengelde, für mich war es meist eine correkte Zeichnung, ein französischer Brief, die Uebersetzung eines Lustspiels, wovon er wußte, daß es mir werth sei. Mit dem Jahre 1809 wurden seine Briefe noch inhaltreicher, er beschrieb die Festlichkeiten, herbeigeführt durch die Zusammenkunft der Kaiser und Könige in Erfurt. Nicht eine Spur gehässiger Empfindung gegen Napoleon klang daraus hervor. Wahrscheinlich hat er ihn damals ebenso bewundert, wie er ihn später haßte. Napoleon heuchelte ja auch eine Sehnsucht nach Frieden und die Beglückung der Welt nach Deutschlands Wiedergeburt. Wäre meines Sohnes unglückseliger Entschluß schon damals gefaßt gewesen, wie viel leichter konnte er ihn in Erfurt ausführen, als später in Schönbrunnen! Zum Beweise dafür theile ich hier einen seiner Briefe mit, es ist der einzige, welchen ich noch besitze. Im Jahre 1809 wurden sämmtliche Briefe von dem französischen Intendanten von Erfurt uns streng abgefordert. In unserer Angst schickten wir sie ein, hoffend, das Leben des geliebten Sohnes dadurch zu retten. Ach, wir ahnten nicht, daß er schon nicht mehr war!
Sein französischer Brief lautet:
Mit vielem Vergnügen und den aufrichtigsten Gefühlen der Dankbarkeit habe ich Ihren Brief gelesen und das Kästchen, welches Sie die Güte gehabt haben, mir zu schicken, geöffnet. In Wahrheit, ich weiß nicht, wie ich die Empfindungen meines Herzens für Ihre väterlichen Wünsche, wie für Ihre Geschenke aussprechen soll. Nur durch Liebe und Gehorsam werde ich mich beeifern, Ihrer Güte mich werth zu machen. Sie fragen mich, wann ich Sie besuchen darf. Das weiß ich wirklich selbst noch nicht. Zu Ostern schwerlich, denn wir haben viele Geschäfte und noch keinen neuen Gehülfen. Bitten Sie Herrn Rothstein selbst, wenn er nach Leipzig zur Messe fährt. Ich wiederhole meine Danksagungen mit der Versicherung, daß ich nie aufhören werde zu sein
Im Anfang August 1809 erfreute uns Fritz durch einen achttägigen Besuch. Es wurde gerade das Kirschfest in Naumburg gefeiert, zum Andenken an den Hussitenkrieg. Fröhlich und unbefangen vergnügte er sich mit Alt und Jung, wie nur irgend ein Jüngling, dem die Welt entgegenlacht. Er hatte sich an Körper und Geist entwickelt, war groß und blühend geworden, sein heiteres und einnehmendes Wesen gewann ihm Aller Herzen. Wie lustig tanzte er auf der Wiese, wie freudig nahm er an allen Festlichkeiten Theil! Hätte wohl Jemand ahnen können, daß ein so düsterer, verhängnißvoller Entschluß in dieser kindlich unbefangenen Seele reifen könne, wie er ihn mit nur zu großer Energie zur Ausführung brachte?
Auch beim Abschiede verrieth er sich mit keiner Miene, er war zärtlich wie immer, doch ohne ungewöhnliche Rührung, ohne daß ein besonderer Ernst auf seinen Zügen lagerte. Es ist das letzte Mal gewesen, daß Vater und Mutter ihren Sohn gesehen haben!
Nach dieser Zeit studirte Fritz mit verdoppeltem Eifer die Zeitungen, er theilte mir Alles mit, was er über den französisch-österreichischen Krieg erfahren konnte. Mit großer Begeisterung schrieb er von den Siegen des Erzherzogs Karl. Der Tagesbefehl desselben nach der Schlacht bei Aspern vom 23. Mai 1809 wurde von ihm abgeschrieben und mir überschickt. Er meldete ja den glänzenden Sieg über Napoleon! Dieser Nachricht fügte er noch Gerüchte hinzu, welche durch die Wünsche der gebeugten Erfurter erzeugt wurden: Rußland und Preußen machen eine Armee gegen die Gallier mobil – Napoleon sei gefährlich verwundet und auf der Flucht etc.
„Was ich höre, theurer Vater,“ schrieb er, „theile ich Ihnen mit, melden auch Sie mir, was Ihnen zu Ohren kommt, trotz der umherschleichenden französischen Polizei, denn wir müssen Alles erfahren. Die Oesterreicher werden ihnen bald das Handwerk legen, ich hoffe mit Sehnsucht darauf.“
Friedrich bat mich stets, seine Briefe zu vernichten. Welcher Psycholog hätte daraus wohl seinen späteren Entschluß errathen können! Mein Sohn war kein Söldling, kriechend und heuchlerisch wie damals so viele Deutsche, aber seines Vaterlandes Geschick ging ihm tief zu Herzen. Schiller war sein Lieblingsschriftsteller; vor Ausführung seiner That soll die Jungfrau von Orleans seine letzte Lectüre gewesen sein.
Fritz hatte zwei treue Freunde in Erfurt; der eine, Zerrenner, Commis in einer dortigen Buchhandlung, ist später in französischer Gefangenschaft am Hungertode gestorben; der andere, Walter, war Commis in einem Tuchgeschäft. Diesem hatte er sich, wie ich später erfuhr, anvertraut. Eines Abends, als sie bei einer Bowle Punsch zusammensitzen, theilt er ihnen mit, daß er die Absicht habe, Napoleon zu ermorden, daß er sein Vaterland von diesem Ungeheuer befreien und sich selbst zum Opfer bringen wolle, denn daß er sterben würde, wisse er. Die Freunde, starr vor Schrecken, drohen ihm, seinen unheilvollen Plan sogleich seinem Vater zu berichten, wenn er ihnen nicht heilig verspräche, sogleich davon abzulassen. Er thut es, weiß sie zu überzeugen, daß es nur ein Scherz gewesen ist, und trinkt mit ihnen in heiterster Laune seinen Punsch, so daß die Freunde nicht anders glauben können, als daß es nur eine flüchtige Idee gewesen sei. Deshalb schweigen sie gegen mich; ich erfahre nichts davon, nichts Näheres darüber, wie Fritz diesen schrecklichen Gedanken fassen konnte und was ihn endlich zur Ausführung trieb. Leidenschaftlich war er nie; Tausende haßten, wie er, Napoleon, ohne sich gegen sein Leben
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_029.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2020)