Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Sobald der französische Intendant in Erfurt, Vismes, von der Affaire Nachricht erhalten hatte, war auf alle Sachen meines Sohnes Beschlag gelegt worden, Lehrherren und Bekannte vor Gericht gefordert. Die Freunde Walter und Zerrenner wurden besonders scharf inquirirt, befragt, ob sie Geistesverwirrung an Fritz bemerkt hätten? Um ihn zu retten, bejahten sie es, ohne daran zu glauben.
Herrn Rothstein wurden die Fragen vorgelegt: Ob sie einen Sieur Staps kennten? Ob er sich viel mit Politik beschäftigt, Haß gegen Napoleon gezeigt habe? Mit welchen Personen er umgegangen sei? Ob er eine Liebschaft gehabt? Ob er Paß und Reisegeld gehabt? Ob er überspannte Ideen geäußert? etc. –
Zerrenner benachrichtigte uns, daß die Post in Erfurt Befehl habe, alle Briefe an die Eltern des Staps der französischen Polizei zu übergeben; durch ihn hatten wir auch zuerst erfahren, daß Friedrich in Wien arretirt sei, man hoffe aber, daß ihm das Leben geschenkt würde. Welch schwärmerische Liebe dieser Zerrenner für meinen Sohn empfand, beweist ein Stammbuchsblatt; es war ihm um keinen Preis feil, denn Friedrich hatte einige Zeilen darauf geschrieben.
Er selbst hatte hinzugefügt:
Himmlischer, göttlicher Jüngling!
Du, der Unschuld Blüthe und Kraft,
Du, der Eltern Freude und Wonne!
Warum strebte Dein Geist zu höheren Thaten,
Als die menschliche Kraft zu tragen im Stande?
Warum folgtest Du nicht,
Als Du den schrecklichen Plan
Theueren Freunden vertrautest,
Und sie mit freundlichem Wort
Dich zurückzogen vom Abgrund?!
Warum eiltest Du dennoch
Sie so schmerzlich zu täuschen?
Heimlich gingst Du dahin
ohn’ alles zum Unterhalt Nöthige,
Vergaßest Eltern, Freunde und – Dein Glück!
Dachtest nicht daran, obwohl Dir’s wohlbewußt,
Welchen Kummer, Schmerz, Angst Du ihnen bereitest.
Und Dein Plan – ach, er scheiterte im Nu,
Und Du warst unglücklich!
Deutscher, der Du dies liesest,
Weihe dem edeln Jüngling eine Thräne!
Ach, er sank dahin im edelsten Streben,
Nur des Vaterlandes Schmerz hatte sein Glück zerstört!
Im Jahre 1810 bekam ich einen Brief aus Dresden des Inhalts, der Kaiser Napoleon habe befohlen, den Eltern des Friedrich Staps eine Unterstützung zukommen zu lassen; wir möchten uns deshalb an Duroc wenden. Ich that es, ich bat nicht um Geld, nur um ein beglaubigtes Attest über den Tod meines Sohnes. Auch hier erfolgte keine Antwort. Die Sache soll sich jedoch folgendermaßen verhalten haben. Als Bonaparte nach geschlossenem Frieden 1809 über München nach Paris zurückkehrte, soll er gegen den König von Baiern geäußert haben, er sei gesonnen, dem Vater des Staps ein Geschenk zu geben, und er frug den König von Baiern, ob er nicht Jemand wisse, durch dessen Hand dieses gehen könne. Der König schlug den Schreiber des Briefes vor. Bonaparte sagte, Duroc solle Alles vermitteln. Der König von Baiern theilte dies dem Schreiber des Briefes mit, welcher in Folge dessen an mich schrieb. Duroc war jedoch schon, dem König unbewußt, nach Paris abgereist, und Napoleon folgte ihm denselben Abend. So wurde Napoleon’s Absicht vergessen. Aber der arme Jüngling mußte doch einen Stachel in dem Gewissen des Welteroberers zurückgelassen haben!
Darüber war uns nun Gewißheit geworden: Friedrich war in Schönbrunn erschossen. – Er hatte sein Versprechen erfüllt: „Lächelnd will ich dem Tode entgegengehen.“ Doch noch immer wußten wir nichts Bestimmtes über seine letzten Stunden.
So war das Jahr 1813 genaht. Nach der Schlacht bei Lützen brachte man viele Verwundete, besonders Russen und Preußen, nach Naumburg. Sie wurden theils bei den Einwohnern einquartiert, theils, da es an Raum fehlte, in den Kirchen untergebracht. Auch die St. Othmarskirche wurde Lazareth. Ich nahm mich der Leidenden thätig an; oft hielt ich Betstunde in der Kirche, und that alles, was in meinen Kräften stand, das unsagbare Elend zu lindern. Unter den schwer Leidenden erregte ein junger Mann aus Berlin meine besondere Theilnahme. Ich brachte ihn in eine Familie, wo er wie ein Kind des Hauses gepflegt wurde. Sein Vater, welcher ihn oft besuchte, brachte uns eine Nummer des russisch-deutschen Volksblattes mit (herausgegeben von Kotzebue, Nr. 26. Berlin, den 19. Mai 1813). Wir fanden darin die erste gedruckte Nachricht über unsern Sohn und zwar in einem Artikel, den das Blatt unter dem Titel: „Ein moderner Brutus“ brachte und den ich hier wörtlich mittheile. Er lautete:
Schon oft hat man sich folgende Geschichte – von Friedrich Staps, eines Predigers Sohn aus Naumburg — hie und da in die Ohren gezischelt, sie ist jedoch nie recht laut geworden, viel weniger erinnern wir uns, sie gedruckt gelesen zu haben. Wir liefern sie hier aus authentischen Quellen. Man beurtheile sie, wie man wolle, so wird doch Niemand leugnen können, daß der Name des Jünglings, der die Hauptrolle darin spielt, der Nachwelt aufbehalten zu werden verdient, und der Einsender hat wohl Recht, vorauszusetzen, daß den Eltern die öffentliche Meinung nicht unangenehm sein kann, da bei vielen die herzlichste Theilnahme, bei Allen aufrichtiges Mitleid dadurch erweckt wird, Empfindungen, die den Unglücklichen stets wohl thun.
Als Napoleon in dem Kriege von 1809 das Schloß Schönbrunn unweit Wien bewohnte und in dem geräumigen Vorhof fast täglich seine Truppen musterte, drängte sich einst an einem Freitage ein junger Mensch mit auffallender Geflissenheit nahe an ihn heran. Wenn auf der einen Seite der General Rapp den Jüngling zurückwies und auf dessen Vorgeben, daß er dem Kaiser eine Bittschrift übergeben wolle, ihn bedeutete, daß hier der Ort nicht dazu sei, so zeigte er sich sogleich wieder auf der andern Seite. Alle Zurückweisungen halfen nichts. Man schöpfte endlich Verdacht. General Rapp ließ den Zudringlichen verhaften, in die Wachstube führen und durchsuchen. Außer einigen unbedeutenden Papieren und dem Bilde eines Frauenzimmers fand man – auch einen Dolch bei ihm.
Der Vorfall schien so wichtig, daß er dem Kaiser berichtet werden mußte. General Rapp erhielt den Auftrag, den Gefangenen zu verhören. Aber der Jüngling erklärte sehr bestimmt, daß er Niemandem Rede und Antwort geben werde als dem Kaiser selbst. Napoleon ließ ihn vor sich führen, umgeben von seinen Generalen und den Großen des Hofs. Der Gefangene maß den Kaiser vom Scheitel bis zur Sohle und sagte dann mit der kältesten Unerschrockenheit, daß er ihn habe umbringen wollen; daß er schon einmal in dieser Absicht mit einem Stockdegen zur Parade gekommen sei und daß er ihn ein anderes Mal auf der Treppe erwartet habe, die er gewöhnlich hinabzusteigen pflege. Indessen habe diese Waffe ihm unbequem geschienen und er sich deshalb jetzt mit einem Dolche versehen. Zufälliger Weise sei der Kaiser gerade an diesem Tage auf der andern Seite der Treppe herabgestiegen. Er habe deshalb seinen Vorsatz nicht ausführen können und sich unter das Volk gemischt, wo er entdeckt und verhaftet worden sei.
Man that noch andere Fragen an den Gefangenen, die er mit einer Dreistigkeit beantwortete, über welche die Zuhörer nicht blos erstaunten, sondern auch in Verlegenheit geriethen. Auf des Kaisers Frage, warum er ihm nach dem Leben getrachtet habe, antwortete er ihm: weil er ihn für eine Geißel der Menschheit halte.
Auf die Frage, ob er schon früher diesen Vorsatz gefaßt habe, antwortete er: „Nein, denn lange hielt ich Sie für einen großen Mann, der das Glück der Menschheit beabsichtige. Jetzt aber bin ich überzeugt, daß Sie ein gemeiner Mensch sind, daß Sie aus Selbstsucht, Ehrgeiz, Raubsucht nur Krieg und immer Krieg suchen, und darum habe ich die Welt von einem solchen Ungeheuer befreien wollen.“
Man gab ihm zu bedenken, welches Schicksal nach solchen Aeußerungen seiner warte. Man suchte auch seine Zärtlichkeit für den geliebten Gegenstand, dessen Bild er bei sich trug, rege zu machen; aber sein Muth blieb unerschütterlich, und er antwortete gelassen: „Den Tod fürchte ich nicht; vielmehr habe ich erwartet,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_042.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)