Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Die Garden marschirten, auf ihrem Rückzuge nach Frankreich begriffen, an uns vorüber. Als wir allein waren, sprach Napoleon wieder von Staps: „Es ist unerhört, daß ein so junger Mensch von seiner Bildung, ein Deutscher, ein Protestant, solch ein Verbrechen habe begehen wollen! Benachrichtigen Sie mich, wie er gestorben ist.“
Ich befragte den General Lauer über Staps’ Tod, er sagte mir, die Hinrichtung sei am 27. October um sieben Uhr Morgens vor sich gegangen. Staps hätte seit dem Vierundzwanzigsten Nichts genossen. Als man ihm zu essen anbot, habe er geantwortet, er habe Kraft genug, um in den Tod zu gehen. Bei der Nachricht, daß Friede geschlossen sei, bebte er zusammen. Seine letzten Worte waren: „Es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland. Tod den Tyrannen!“ –
Ich theilte dies Napoleon mit, und er trug mir auf, das Messer an mich zu nehmen; ich besitze es noch.
„Das ist Alles,“ schließt der Vater seinen Bericht, „was ich über mein Kind erfahren konnte. Weder die Stätte, wo er erschossen wurde und den letzten Athemzug aushauchte, noch das kleine Stückchen Erde, worin man die sterbliche Hülle des Armen einscharrte, ist mir bekannt geworden; alle meine Nachforschungen sind vergebens geblieben und ich werde, was mein Herz so heiß zu wissen wünscht, wohl auch niemals erfahren.“
Quer durch den Park von St. Cloud geht eine breite Landstraße, welche sich in einem tiefen Hohlwege mit der Eisenbahnlinie Paris-Versailles kreuzt. Selbstverständlich ist beiden Straßen im System der Vertheidigungsstellungen eine wichtige Rolle zugewiesen. Wenn Straßen im Frieden dazu gemacht sind, Orte in der möglichst bequemen Weise untereinander zu verbinden, so haben die militärischen Wegebaumeister, denen gegenwärtig deren Umarbeitung obliegt, vor Allem den Zweck im Auge, solche Verbindungen möglichst abzuschneiden, oder doch zu erschweren. Die Mittel, diesen Zweck zu erreichen, sind sehr verschieden. Besonders willkommene Handhaben dafür bieten bei der Chaussee, wie bei der Eisenbahn die Tunnel. Nicht weniger als dreien derselben begegnet man im Park, dem großen und kleinen Eisenbahntunnel und dem Chausseetunnel. Unausgesetzt ist daran gearbeitet worden, dieselben für die Posten, die man in sie verlegte, zu starken Stellungen im Falle eines Angriffs zu machen. Aber gleichzeitig hat man sich gezwungen gesehen, diese Localitäten in Rücksicht auf ihre Bestimmung als Wohnsitz für Officiere und Mannschaften während der Tage und Nächte ihres dortigen Vorpostendienstes nach Kräften wohnlich zu machen und auszustatten.
Schwierig bleibt diese Aufgabe in jedem Falle. In Spätherbst- und Winternächten zumal bietet der Aufenthalt in solchen kellerartigen, an beiden Enden offenen, von eisigem Luftzuge frei durchwehten, feuchten Tunnelgewölben etwas zu viel der Romantik. Es gehört eben auch hier das praktisch-erfinderische Talent des Soldaten und der eigenthümliche Künstlersinn ihrer Herren Officiere, vereint mit einem gewissen verwegenen Humor dazu, um das Gegebene so zu gestalten und soweit erträglich zu machen, als es ihnen in der That gelungen ist. Unvergeßlich bleibt mir der wahrhaft phantastisch-komische Eindruck, den ich an jenem trüben Novembernachmittag empfing, als mich meine Parkwanderung zum ersten Male in den dortigen Chausseetunnel führte. Aus der tiefen, rauchigen Dämmerung des Raumes, der sein Licht nur noch durch schmale offen gelassene Eingänge an beiden Seiten empfing, entwickelten sich dem Auge erst allmählich die Gestalten und Gruppen der Soldaten, die dort theils auf ihren Matratzen, Strohsäcken, Decken am Boden lagerten, theils ihre draußen an den Feuern gekochten Fleisch- und Erbswurst-Portionen aus den Kochgeschirren löffelnd beisammen saßen. Die Flintenpyramiden standen in Reihen zusammengestellt, die Helme hingen daran, das Stimmengewirre hallte als undeutliches elementarisches Brausen durch den düstern Raum. Wenn man das Soldatenlager passirt hat, trifft man zur Rechten des Durchgangs auf einen anderen davon abgezweigten Raum, den eigentlichen Salon dieses originellen Quartiers. Nach der Straße hin bilden die aufrecht gestellten Glasfenster ehemaliger Treibhäuser seine Wände. Gegen den Luftzug vom Tunnel-Ein- und Ausgang müssen ihn ein paar kühn aufgestemmte Wandschirme, aus Stroh geflochtene Glashausdecken, ein paar dicke Velourteppiche und was sonst in diesem Genre von den umliegenden Villen geliefert oder zu retten war, schützen. Diese drei Seiten bilden zugleich mit der Tunnelmauer einen den Umständen nach ganz gemüthlichen, in jedem Falle höchst malerischen Aufenthalt; dennoch aber gerathen diese Herren, welche uns mit der liebenswürdigsten Gastlichkeit einladen, näher zu treten, in gelinde Wuth, wenn man ihnen die besondere Herrlichkeit ihrer Wohnung zu rühmen versucht. Man solle es, rufen sie, nur einmal probiren und ein paar Novembertage, oder gar Novembernächte diesen traulichen Salon an ihrer Statt bewohnen!
Für die Nächte mögen sie Recht haben. Aber während der Tage verstehen es die Officiere vortrefflich, den Unbilden der Localität, des Wetters, Regens und Windes die Spitze abzubrechen. Eiserne Oefen hat ein neulich im verlassenen Montretout glücklich entdecktes und gerettetes Lager solcher Heizmaschinen geliefert. Möbel von der schönsten und kostbarsten Art gaben und geben noch immer die Schlösser und Villen der Umgegend her. Um Spiegel, Bilder, Stutzuhren hat man hier nie verlegen zu sein. Musikkundigen Männern wären gute Pianinos sogar jederzeit gewiß. Es bedürfte nur der Träger, um sie herzubringen. Den Wein liefert der nach drei Monaten der Belagerung und der Erdarbeiten an solchen Schätzen noch immer reichlich ergiebige Boden in der Nachbarschaft zur Genüge. An allem Uebrigen aber lassen es weder Intendantur noch liebevoll sorgende Herzen in der Heimat mangeln, und so ist es ganz erfreulich, hier bei diesen tapfern Männern auf Pferdedecken, Wollenmatratzen, türkischen Teppichen und Prachtfauteuils bei immer vollen Krystallgläsern, aus denen noch vor Kurzem der Kaiser und sein Hofstaat getrunken haben, eine wahrhaft orientalische Gastfreundschaft zu genießen.
Nicht weit davon, in eines andern Hohlwegs Tiefe, liegt der Eisenbahntunnel. Der Aufenthalt war damals wenigstens (jetzt soll er durch sinnreiche Veranstaltungen wesentlich erträglicher gemacht worden sein) viel unheimlicher, als in dem eben geschilderten; die Finsterniß größer, die Kälte und feuchte Kellerluft durchdringender, bei seiner soviel größern Länge. Die Officiere hatten daher auf kräftigere Schutzwehren denken müssen, und unter Anderem statt des offenen, immer etwas luftigen Salons ihrer Cameraden im Chausseetunnel ein paar Bahnwärterhäuschen aus der Nachbarschaft requirirt, diese nicht weit vom Eingange aufgestellt, und in diesen freilich engen Hütten sich, so gut es ging, ihr warmes und behagliches Heimwesen eingerichtet. Natürlich fehlte es auch dem weder an Möbelpracht, noch an Kellerinhalt, während gleichzeitig die trauliche Enge des verfügbaren Raumes auf Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit keinen mindernden Einfluß zu üben vermochte.
Weiter aufwärts die Chaussee hin gehend, trifft man nach etwa zehn Minuten Wegs auf eine außerordentlich thätige Gesellschaft, der zu munteren Sitzungen wie denen im Tunnel keine Zeit und Muße gelassen ist. Dort sind Pionniere und zur „Arbeit“ commandirte Infanteriemannschaften eben beschäftigt, die am „Stern“ begonnene dritte Vertheidigungslinie, die sie bereits durch den Wald bis hierher geführt haben, über die Straße und durch die jenseitige nördliche Waldpartie zu ziehen. In einer wohl sechszig bis achtzig Fuß breiten Straße sind die Bäume dort bereits unter der Axt gefallen. Ein tiefer Graben durchschneidet, vom Walde sich fortsetzend, die ganze Chaussee. Die aufgeworfene Erde mit den
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_044.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)