Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
|
Stämmen, mit dem Strauchwerk und den daraus geflochtenen Schanzkörben wird zu immer festeren Schutzwällen gegen die Angriffsfront gefugt.
Etwas weniger den französischen Geschossen ausgesetzt als ihre schanzenden Cameraden vorn an der Parkmauer, sind diese Schaufler, Gräber, Holzfäller, Schmiede und Zimmerer dennoch niemals ganz sicher vor den weitreichenden Würfen des Onkel Valérien. Und wenn auch die anstrengende körperliche Arbeit erwärmt, so ist doch in diesen November- und Decembertagen, wo der launische französische Himmel immer zwischen Schnee, Eis, sechs bis zehn Grad Kälte, und wieder strömendem Regen und nebelfeuchter, unnatürlicher, fieberbrütender Frühlingswärme hin- und herschwankt, das Commando hier draußen kein angenehmes. Der Theil der Extraerquickungen, der auf diese Leute fällt, ist dazu ein ziemlich mäßiger. Nie kann die Verpflegung der Vorposten so unbedingt geregelt werden, daß jeder Mann jeder Zeit davor bewahrt bliebe, die hohen Tugenden des Entbehrens und Entsagens, mehr als ihm selbst wünschenswerth ist, üben zu müssen. Der französische Marketender, der die Leute dort mit seinem mit Cognac, Brod, Käse beladenen Karren aufsucht, versteht es vortrefflich, aus ihrem Bedürfen und Verlangen für sich die Quelle eines gaunerischen Profits zu machen und ihnen für die wenigen verfügbaren Sous ein recht schlechtes Gebräu und Gebäck zu verkaufen.
Das früh hereinbrechende Abenddunkel bringt den Arbeitscompagnien im Walde Ruhe, den Posten Ablösung und die Abgelösten mit ihren Officieren rücken wieder in ihre Nachtquartiere in Ville d’Avray und Marnes ein. Es ist kein Mangel an solchen. Die Mehrzahl aller Häuser bilden Villen, kleinere und größere Schlösser reicher Pariser, darunter viele in ganz Europa bekannte und genannte Größen der hohen Finanz, der Kunst und Wissenschaft, der Diplomatie und Verwaltung. Auch an solchen coquetten Asylen fehlt es nicht, welche sich galante Schönheiten des modernen Babel von den überreichen Opfern ihrer Verehrer hier in stiller weltverborgener Park- und Garteneinsamkeit gegründet haben. Die sie einst bewohnten, sind längst entwichen, ehe der erste Schuß in diesen reizenden Thälern widerhallte.
Alles Kostbare und in der Eile Transportirbare haben sie mit fortgenommen. Aber außer dem Wein, den sie vergruben, mußten sie auch zum größten Theil die Möbel, die Billards, die Spiegel und jene Masse von kostbarem Porcellan und Fayence in ihren Räumen zurücklassen, welche im Haushalt und in der Schätzung der französischen Reichen einen Platz einnimmt, wovon wir in Deutschland uns schwer eine Vorstellung machen. In manchen dieser Villen haben frühere Einquartierungen, haben auch, da man sich um den Verschluß nicht viel Sorge machen kann, die Plünderungen der eingeborenen Marodeurs, in anderen sogar die Granaten des Mont Valérien ihre unverkennbaren Spuren gelassen. Da sieht es oft wüst und traurig aus, und die ehemalige feine Harmonie ihres Innern, die Nettigkeit und Sauberkeit, der Glanz und Schimmer haben sich längst in ihr schlimmstes widriges Gegentheil gewandelt. Ueber anderen aber hat ein gnädigeres Geschick gewaltet. Jene Schlösser und Villen zum Beispiel, an welchen abwechselnd eine Woche um die andere der Stab und die Officiere des ersten Bataillons des dritten Posenschen Infanterieregiments Nr. 58 ihr Quartier haben, denen ich das Glück hatte in diesem Feldzuge wiederholt persönlich näher getreten zu sein, erfreuten sich dauernd der Fürsorge dieser militärische Gäste in solchem Maße, daß sie heute noch ihren etwa rückkehrenden Besitzern nichts von dem Schrecken und Entsetzen einflößen würden, welches die Eigenthümer so manches andern reizenden Landsitzes nach dem Frieden dereinst erwartet. Unverwüstet prangt in den Treibhäusern noch immer die ganz prächtige Fülle ausländischer Gewächse, welche die hochentwickelte Gartencultur Frankreichs zur herrlichsten Entfaltung brachte; in den Gärten spürt man vor der Menge der mannigfaltigen Nadelhölzer und immergrünen südlichen Gesträuche bei der linden frühlingsgleichen Luft kaum den Winter und bei den wohlgehaltenen Wegen und Beeten kaum den Krieg.
Drinnen im Salle à manger stehen die Büffets, Speisetische und geschnitzten Stühle; im weiten Salon die breiten schwellenden Divans, Causeusen und Lehnsessel; die Vasen auf dem Marmorsims der Kamine, die Spieltische unzerbrochen an ihrem alten Platz. In den Schränken der Bibliothek die langen Reihen der schönen Bände vollständig auf ihren Brettern, das Billard unzerrissen in der Mitte des Raumes, die guten alten Stiche an den Wänden, die Menge der Schlaf- und Fremdenzimmer in den höheren Stockwerken, alles das kommt heute den Officieren, Fähnrichen, Aerzten und den selten fehlenden Gästen vortrefflich zu statten. Für ein tüchtiges Feuer in den Kaminen sorgt der nahe Wald. Fehlt es an Betten hinter den bald prächtig damastnen, bald duftigen Mousselin-Vorhängen, so ist auch ohne sie in den schönen, soliden, breiten französischen Bettstellen durch die praktisch geübten und geschickten Burschen aus Decken, Teppichen, Matratzen ein mehr als nur erträgliches Lager leicht hergestellt. Im Salon oder Speisesaal unten versammelt sich (wir haben Alle in Frankreich bereits die höchst vernünftige französische Zeiteintheilung angenommen) die durch das ganze Chateau verstreute Gesellschaft um die abendliche Dinerstunde. Arbeitleiten und Vorpostencommandiren im winterlichen Walde hat einen Wolfsappetit gegeben. Die Tischwäsche wird weniger vermißt, wenn alle Stücke des Tafelgeschirrs so edlen Materials (Porcellan) und so hohen oder allerhöchsten Ursprungs, und die darin servirten Gerichte von so solider Vortrefflichkeit sind, wie hier in den meisten Fällen – Dank den Lieferungen und Dank besonders der über alles Lob erhabenen Kochkunst mancher Officierburschen. Zu allem Ueberfluß erhielten diese Mahlzeiten seit Anfang November durch unsere lieben und anstelligen baierischen Bundesgenossen eine besonders erwünschte Würze. Sie haben in Sèvres eine Brauerei etablirt, die von ihren des Bieres wie seiner Bereitung gleich kundigen Mannschaften mit gutem Erfolg betrieben wird, und ein Getränk zur Vorpostenquartierstafel liefert, welches eine der schätzenswerthesten Abwechslungen in die etwas einförmige Folge der französischen und spanischen Weine bringt, die „der Boden“ hier ringsum fast ausschließlich liefert.
Während dieser abendlichen Mittagstafel tritt der Unterofficier „zur Meldung“ ein und liest unter allgemeinem Schweigen dem Bataillonschef den „Corpsbefehl“ des Tages vor. Die speciellen dienstlichen Anweisungen und Anordnungen für morgen, die er enthält, werden durch allgemeiner interessirende Mittheilungen eingeleitet, wie sie eben von den verschiedenen Kriegsschauplätzen eingelaufen sind. General v. X. hat bei A. den Feind geschlagen, so und so viel hundert Gefangene, so und so viel Kanonen genommen, Festung B. hat gestern capitulirt etc. Kaum ein Tag, der nicht etwas dem Aehnliches bringt. Aber fast ebenso stehend ist die Nachricht, daß der Feind an dem und dem Tage einen Ausfall aus Paris beabsichtigt. Die Truppen haben auf mehrere Tage Rationen geliefert erhalten. „Laßt sie kommen; und kämen sie nur einmal auf uns hier, statt immer gegen Baiern und sechstes Corps, auch wir wollten sie richtig empfangen!“ Das ist der Haupteindruck, den diese Nachricht gemeiniglich hervorruft. Auf der Feldpost des fünften Corps sind eben die Briefe und die längst ersehnten Pakete angelangt, ein ganzes Lager der kleinen mit Leinewand überzogenen Kistchen wird auf den Tisch des Salons gesetzt. Sie haben manche Wochen gebraucht, hierher zu gelangen. Man fällt darüber her; die Zeitungen, die Briefe wird man später lesen, um zuerst den realern Inhalt der Pakete zu mustern. Welch buntes Allerlei: Der zeigt triumphirend eine große Köstlichkeit, eine Braunschweiger Cervelatwurst, Der ein Töpfchen Butter, Jener gar – Gänseschmalz. Der Eine breitet mit Behagen ein Paar wollene und noch dazu prächtig rothe Unterhosen aus, und der Andere wickelt aus ihrer papiernen Umhüllung gar ein Paar lackirte Stulpstiefel, die so innig erwünschten. Wie viel treusorgende Mutter-, Schwester-, Gattenliebe, wie viel herzliches Sehnen, Bangen und Verlangen, wie viel wehmüthige Freude bei denen, die all das sendeten, spricht, auch ohne daß man in die Begleitbriefe blickte, beredt und verständlich aus diesen Sendungen, selbst schon aus der Art ihrer Verpackung! Man meint die liebende Hand zu erkennen, welche diese Enveloppen faltete, das schmerzlich zuckende Gesicht zu sehen, das sich dort darüber beugte. Aber hinweg mit der Wehmuth; hier ist weder Zeit noch Ort, sich weich zu machen mit heimwärts schweifenden Gedanken. Draußen zischt durch die Abendstille wieder ein Granatwurf nahe über den schweigenden Garten hin; vielleicht ist’s eine Visitenkarte Trochu’s, eine Anmeldung für morgen. Also lieber die Gläser von Neuem gefüllt – „und trifft es uns morgen, so lasset uns heut noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_045.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)