Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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diese Fenster mit ihrem kunstvollen Glaswerk, diese durchbrochenen Galerien, diese vertieften Karniese – welche Fülle, welche Pracht, welche Herrlichkeit! Wie macht diese grandiose Außenseite auf das Innere dieses wunderschönen Gotteshauses[WS 1] begierig! Und in welchem Zustande mußte ich dasselbe sehen!
Es befanden sich Tausende von französischen Kriegsgefangenen in der Kathedrale. Man hatte anfangs das Bahnhofsgebäude dazu benutzt, dieselben unterzubringen, als aber dieses gefüllt war, und die Zahl der Tausende mit jeder Stunde zunahm, fühlte man sich endlich zu der Nothwendigkeit gedrängt, die große Kirche öffnen zu lassen. Es gab zwar noch andere Kirchen in der Stadt, um die hungernden, frierenden Franzosen unterbringen zu können, aber dieselben waren zu klein, und man konnte nicht so viel Mannschaften entbehren, als zur Bewachung der Kriegsgefangenen in kleineren Räumlichkeiten nothwendig gewesen wären. Sollte man sie bivouakiren lassen – bei acht bis zehn Grad Kälte? Dagegen sprach die Menschlichkeit, und gegen die Benutzung der Kathedrale sprach der Bischof; aber es gab unter diesen Umständen keinen andern Ausweg.
Der ganze grandiose Raum war von Rauch erfüllt, daß man fast keine der architektonischen Linien mehr zu erkennen vermochte; die Franzosen hatten sich im Hauptschiffe und den Seitenschiffen große Feuer gemacht und saßen im Kreise um dieselben, hielten die Hände an das Feuer, schlenkerten mit den Füßen, einer erzählte etwas und sämmtlich waren sie guter Dinge; wenn das Feuer ausgehen wollte, wurden die mit Stroh geflochtenen Kirchenstühle genommen, zertrümmert und in die Gluth geworfen, die brannten gut. Dabei waren die Fliesen des Erdbodens mit Nässe und Schmutz bedeckt und ein furchtbarer Geruch durchdrang das Gebäude. Im hohen Chor befindet sich der Thron des Bischofs, der mit rothen Sammetvorhängen bekleidet und mit einem dichten Teppich bedeckt ist. In diesem Raume lagen die Zuaven, die Turcos, wie Stücke Vieh einer über dem andern, die Sammetvorhänge waren herabgerissen und zu Couvertdecken für ihre Lagerstätten benutzt worden, auf dem Throne machte ein Zuave ganz ungenirt Toilette und auf dem Betpulte des Bischofs schrieb Einer auf das Eifrigste einen Brief, dessen Ueberschrift war: „Ma bien-aimée Naëmi!“ Sie schliefen in den Beichtstühlen, sie lagen auf den Treppen des Hochaltars, der Kanzel, in den Chorstühlen, überall, und dabei war ein Summen, ein Geschwirre, ein Lärmen, das in den gewölbten Räumen tausendfach widerhallte. Nun ließen sich auch noch Orgeltöne vernehmen, und als ich näher trat, sah ich, daß eine dichte Gruppe das Orgelpult umgab, einer saß vor dem Griffbrett und intonirte eine religiöse Melodie, im nämlichen Augenblick riß ihn aber ein Anderer weg, intonirte einen Walzer, ein Zuave ergriff den ihm zunächststehenden Cameraden, drehte sich mit ihm im Tanze und bald tanzte die ganze Gesellschaft im hohen Chor.
Mit dieser Empörung über eine solche Entweihung ging ich hinweg, ich war fest entschlossen, davon Meldung zu machen; es war aber unnöthig, denn gleich darauf geschahen von der Militärbehörde, die schon davon gehört[WS 2] hatte, die entsprechenden energischen Schritte, um die Wiederkehr derartiger Excesse zu verhindern und die Franzosen zur Ordnung zu bringen. Wie aber, fragte ich mich beim Weggehen, muß es um die Herzens- und Gemüthsbildung eines Volkes bestellt sein, auf dessen religiöse Erziehung doch so viel verwendet wird, daß es so wenig das Heiligthum respectirt, das sie an die weihevollsten Momente ihres Lebens erinnert? Würden unsere Soldaten, gleichviel ob evangelische oder katholische oder Juden, so in einer Kirche gehaust haben? Nie, selbst wenn das physische Bedürfniß, wenn Hunger und Kälte sie gequält hätten, und dieses war es hier nicht allein, hier war es ein Kitzel, ein Taumel, der zu Ausartungen der letztgeschilderten Art verleitet hat, es war der Cancan im Gotteshause!
Beim braunen Caesar.
Ich führe den Leser mit diesen Zeilen in ein Wunderland, in ein Land voll eigenthümlicher Gebräuche, in eine jener noch kaum bekannten und noch unerforschten Gegenden unseres Weltkörpers, welche auf unseren Karten als die „Region der fernsten Nebelflecke“ zu betrachten sind. Dort ist es, wo das Königreich der Mombuttu liegt, hundertsechszig gute Wegstunden vom letzten Ausschiffungsplatze am Gazellenflusse entfernt und bereits jenseits des dritten Breitengrades. Meine Erlebnisse in diesem seltsamen Lande sind der abenteuerlichsten Art, doch will ich zunächst nur meinen Einzug in die Residenz des Königs, meinen Empfang und die ersten Eindrücke daselbst mittheilen, da diese doch die bleibendsten sind.
Es war einer jener schönen Märztage, an welchen bei uns der Juli so reich ist, die senkrechten Sonnenstrahlen brannten vom Himmel, als unsere Karawane, über dreihundert Köpfe stark, durch die endlosen Bananenpflanzungen dahinzog, welche, vermischt mit bezaubernden Hainen von Oelpalmen, das ganze Land zu einem ununterbrochenen Garten, einem wahren Eden gestalteten. Eine Woche bereits schwelgte ich im Genuß dieser verbotenen Früchte, die Niemand anrühren durfte, ohne dafür zu zahlen, da wir mit den Bewohnern auf freundschaftlichem Fuße standen und jeden Grund zur Klage vermeiden mußten. Wir waren in der Frühe von dem gestern überschifften großen Uëlleflusse aufgebrochen, so wird hier der obere Schari, welcher dem blauen Nil bei Chartum gleichkommt, genannt; nach fünfstündigem Marsche gelangten wir zu einer breiten Thalsenkung, in deren Mitte, weit und breit von Pflanzungen umgürtet und von Riesenbäumen, den geschonten Zeugen früherer Wildniß, beschattet, ein spiegelklarer Bach murmelnd sich mäandrisch dahinschlängelte. Uns gegenüber zeigte sich ein weitgedehnter grasfreier Abhang, auf welchem die dunkelrothe Erde, wohlgesäubert, mit vielen Reihen der zierlichsten Hütten, theils in Dachbau, theils in Kegelform errichtet, bedeckt war, von einzelnen Prachtbäumen überschattet. Auf der einen Seite erhoben sich, alles Uebrige überragend, bahnhofähnliche Gebäude in einer Höhe und Größe, wie ich sie seit Cairo nicht gesehen, und verriethen mir sofort den Wohnsitz des Königs Munsa.
Es wurde nun Halt commandirt, und unsere Träger, ihren täglichen Obliegenheiten nachgehend, sprangen mit Beilen und Messern in die Dschungel (Dickichte) am Bach, um das für die Errichtung von Hütten nöthige Material herbeizuschaffen. So war, wie gewöhnlich, in einer Stunde unser großes Feldlager aufgeschlagen im Angesicht der afrikanischen Königsstadt und der sie umgebenden lieblichen Landschaft, im Genusse des Fernblicks auf abwechselnde Grasflächen und Bananenpflanzungen, stolze Palmengruppen und riesige Baumgalerien an den Ufern der Bäche. Mitten unter diesem wirren Knäuel grüner Grashütten leuchtete mein Reisezelt hervor, allerdings nicht mehr, wie ehedem in der saubern Steinwüste, durch blendende Weiße, – es trug vielmehr die Spuren anhaltenden Lagerlebens nur zu deutlich an sich, – aber im Schmucke der Tricolore, welche heute zum ersten Male, zur Feier unserer Ankunft in der Residenz eines so mächtigen Fürsten, stolz von seiner Spitze wehte.
Es währte natürlich nicht lange, und von allen Seiten strömten Schaaren schaulustiger Eingeborenen herbei. Ich entzog mich diesmal im geschlossenen Zelte dieser Zudringlichkeit, denn ich war an diese längst auf meiner Reise gewöhnt worden und war müde, im versammelten Volke meine Kopfbedeckung zu lüften, um zu zeigen, daß das schlichte Haar wirklich mein eigenes sei, und in einer Positur wie Wallenstein bei seiner Ermordung, meine Brust zu entblößen, um ihre blendende Weiße bewundern zu lassen. Ich brauchte noch Kraft genug für den folgenden Tag, um vor Munsa selbst das Wunder meiner Existenz an den Tag zu legen. Die Aeußerungen der Mombuttu über meine Person gelangten wegen Mangel einer directen Verdolmetschung selten zu meinen Ohren; indeß unter den Niam-Niam, deren Anschauungsweise wohl eine ähnliche sein dürfte, hieß es gewöhnlich: „Nein, dieser Mensch! Wo kommt er her? ist er vom Himmel herabgefallen?“ Am meisten Erstaunen, weit mehr als meine helle Hautfarbe, erregte stets mein Haar, und ich hörte folgende Urtheile der Niam-Niam-Naturforscher: „Nein, das ist kein Mensch; es ist eine andere Art, er hat Haare wie ein Ziegenbock, wie ein Pavian etc.“ Ich hatte mein Haar, um von den Nubiern recht abzustechen, absichtlich
Anmerkungen (Wikisource)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_050.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)