Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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durchdringend heftige Brülltöne hervorstießen. Darauf folgte der Hofnarr, ein kleiner kugelrunder Brummkreisel, welcher, unermüdlich in Späßen und Albernheiten, einen so komischen Eindruck machte, daß ich – zur größten Befriedigung des Königs – in herzhaftes Lachen ausbrechen mußte. Munsa hatte auch seine Eunuchen; ein solcher diente gleichfalls als Zielscheibe des Witzes; er trug – wie verächtlich für die nubischen Gäste! – einen rothen Fez. Auch fehlte es nicht an Solotänzern, welche über und über mit Katzen- und Civettenschwänzen, an Armen und Beinen mit Schweinsschwänzen der buschigen Art behängt waren, sie bemühten sich mit bestem Erfolge, in ihren Bewegungen und Geberden die Wildheit grunzender Paviane nachzuahmen.
Das Beste hatte Munsa zum Schluß aufgespart: er hielt eine Rede. Während das Volk in unerschütterlicher Ruhe auf seinen Schemeln und Bänken verharrte (kein Mombuttu sitzt am Boden), erhob sich mit einem Satze Munsa, räusperte sich und begann „das lautschallende Wort“. Ich verstand nichts davon, hörte aber so viel, daß er seine Worte wählte und mit Kunst zu sprechen bemüht war. Auch fehlte es nicht an Kraftpausen, in welche der Jubel des Volkes mit wildem I, I, tschupi, tschupi einfiel und Hörner und Pauken einen Höllenlärm machten. Gleichsam zur weiteren Ermunterung dieses Tobens ließ der König ein schnarrendes Brr hören, daß man die Palmenstäbe des Dachstuhls vibriren sah. Die Pauken, von den Hörnern rhythmisch begleitet, schlugen einen seltsamen Tact an, und Munsa, zu einem neuen Instrumente greifend, einer gestielten Korbkugel mit Muscheln gefüllt, einer bei uns gebräuchlichen Kinderklapper gleichend, dirigirte mit dem Ernste eines Capellmeisters das Höllenconcert.
Die Rede dauerte eine volle halbe Stunde und gewährte mir ausreichende Muße, von dem redenden Könige eine detaillirte Skizze zu entwerfen. Der Hunger zwang mich zuletzt, aufzubrechen und den König König sein zu lassen. Zum Abschiede sprach derselbe noch zu mir: „Ich weiß nicht, was ich Dir für Deine vielen Gaben bieten soll; ich bin recht betrübt, daß ich nichts habe.“
Entzückt über diese Bescheidenheit und in der Erwartung um so größerer Geschenke erwiderte ich: „Was es auch sei, ich bin deshalb nicht gekommen, ich brauche kein Elfenbein, das kauft man sich bei uns selbst; die Türken holen es; ich bitte nur um zwei Dinge: um ein Schwein (der seltenen, gepinselten Art) und um einen Ranja-Affen.“
„Daran soll es nicht fehlen!“ erwiderte Munsa.
Allein ich war der Getäuschte. Munsa hatte leider zuerst die Wahrheit gesprochen, und von Schwein und Gorilla sah man nie eine Spur, trotz meiner täglichen Mahnungen.
Das war mein Besuch bei Munsa. Ich blieb noch zwanzig Tage am Platze. Von meinen Begegnungen mit untergeordneten Häuptlingen der Niam-Niam schweige ich, wie von dem landreichen Uando (demselben, der uns später feindlich angriff), welcher uns als Gastgeschenk einen großen Topf mit angebranntem, räucherigen Ragout von Kaldaunen eines hundertjährigen Elephanten, sehr zähe und mit sehr viel haut-goût, darbot; wenigstens sagten mir das meine Leute, denen ich diese Delicatesse unberührt überließ. Ich könnte Bände voll schreiben, wollte ich über alles das so ausführlich berichten, wie über den ersten Tag bei Munsa. Es gab dort noch große Feste, wo dieser König in feierlichstem Putz von Fellen und Federn, öffentlich vor versammeltem Volke, seinen Weibern und Trabanten tanzte, wie ein besessener Derwisch. Vieles davon ist in großen Zeichnungen verewigt. Kurz – ich habe Völker kennen gelernt, die, noch völlig unberührt von dem Einflusse unserer Cultur, eine eigene, aus sich selbst entwickelte zur Schau trugen, so seltsam und fremdartig bis in die kleinste Einzelheit, daß man unter ihnen sich in eine neue Welt versetzt glaubte.
Ein Jesuitenzögling.
Gewisse Blätter erzählen, daß in Folge der letzten großen Ereignisse dem Papste der Aufenthalt an den Ufern der Tiber unbehaglich geworden sei und daß er darum seinen künftigen Wohnsitz in Fulda zu nehmen gedenke, wo der heilige Bonifaz begraben liegt, und wo gegenwärtig einer der eifrigsten Dunkelmänner den bischöflichen Krummstab führt. Wir werden es unter solchen Umständen gewiß erleben, daß die alte Bischofsstadt in Hessen zum Mittelpunkt für die Umtriebe der Jesuiten wird, welche den Papst, wie bekannt, völlig beherrschen, und welche von diesem sicher in zahlreichen Schaaren mit über die Alpen herübergeführt werden. Dann aber mag die nachfolgende Geschichte eines Jesuitenzöglings doppelt lehrreich und geschickt sein, Aufklärungen über jene verderblichen Triebe und Keime zu geben, welche die Schüler Loyola’s in die ihnen anvertrauten jungen Seelen legen.
Manche Leser dieser Blätter haben wohl in ihrer Jugend eine oder die andere der anspruchslosen, doch aus wirklicher Anschauung entsprungenen Fischeridyllen von Bronner wenigstens aus einer Mustersammlung kennen gelernt. Doch wenn die Poesien dieses Dichters schon halb verschollen sind, so ist er selbst es ganz; und trotzdem ist seine (1795 in drei Bänden) selbstverfaßte Lebensbeschreibung ein sehr interessantes Buch, namentlich durch seine Schilderungen des Klosterlebens, das der zum Priesterstande bestimmte Bronner aus eigenen vieljährigen Erfahrungen schildert; mit Recht nennt Gervinus diese treuen Berichte interessanter als alle Klosterromane jener Zeit. Bronner riß sich aus den Fesseln, die ihm unerträglich wurden, los, kehrte dann noch einmal reuig zurück und entfloh endlich zum zweiten Male dem Kloster für immer. Seine ruhige und schonende Darstellung gewährt belehrende Einblicke nicht blos in die Jesuitenschulen und Klöster, sondern auch in die geistigen Zustände des katholischen Deutschlands in seiner Zeit überhaupt und ist ein nicht unwichtiger Beitrag zur Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts.
Franz von Bronner wurde als Sohn eines blutarmen Ziegelknechts 1758 zu Höchstädt geboren, und seine Eltern sahen es als unschätzbares Glück an, daß er 1769 in der Jesuitenschule (dem sogenannten Studentenseminar) zu Dillingen kostenfreie Aufnahme fand. Schon im folgenden Jahre hatte der noch nicht zwölfjährige Knabe außer seinen Studien, die wesentlich im Lateinlernen nach der von den Jesuiten hergebrachten Methode bestanden, auch an geistlichen Uebungen Theil zu nehmen. Aus den kleinen „Studenten“ der drei untersten Classen wurde eine sogenannte „Schutzengelbrüderschaft“ gebildet, der von einem der Lehrer an Sonn- und Feiertagen das Leben des heiligen Aloysius, eines großen Büßers, unablässig zur Nachahmung empfohlen wurde. Wöchentlich mußte jedes Mitglied einen Zettel mit der Aufschrift „bona opera“ auf den Brüderschaftsaltar legen, auf welchem die Bußwerke, Kasteiungen, Almosen etc., zu denen er sich erbot, verzeichnet waren. Die armen Kinder wurden durch Zuspruch und öffentliche Auszeichnungen angefeuert, sich wetteifernd auf’s Schauerlichste zu martern. So ward zum Beispiel ein Studentchen sehr gelobt, weil er kleine Steinchen in seine Schuhe geworfen hatte und darauf spazieren gegangen war. Um ihn zu überbieten, schlug sich Bronner eiserne Nägel in die Absätze seiner Schuhe und ließ die Spitzen einwärts hervorragen. Und so wurden überhaupt die jungen Seelen unnatürlich früh mit krankhafter religiöser Schwärmerei erfüllt. Die Erzählung von den Wundern der heiligen Stanislaus und Aloysius, die beim Genuß des Abendmahls drei Schuh hoch in die Höhe gehoben wurden, erregte in Bronner die Hoffnung, er könne durch gesteigerte Andacht derselben Gnade theilhaft werden; oft, wenn er sich nach der Communion über den Stuhl bückte, stützte er sich auf die Ellenbogen und hob sich bei den Knieen in die Höhe, um zu versuchen, ob ihn die Luft noch nicht tragen wolle. Aber ebenso früh fraß sich das schlimmste Gift der jesuitischen Lehre in die Kinderherzen ein.
„Weil man uns,“ fährt Bronner fort, „von der ‚guten Meinung‘ so oft und eindringlich vorpredigte, so machte ich zu allen meinen Handlungen eine gute Meinung, das heißt ich sagte in Gedanken: ‚Herr! Dir zu Liebe thue ich das und das‘ etc. Hiermit glaubte ich dem gehörten Unterrichte gemäß jedes Werk zu heiligen. Wenn ich nun etwas vorhatte, das ich für Sünde hielt, so wußte ich mir durch den Satz, daß die gute Meinung alle Werke heilige, gar bald aus dem Gedränge zu helfen: ich log, zankte, überhaupt – sündigte zur größeren Ehre Gottes.“
Durch die Lecture von Legenden und Wundergeschichten wurde
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_052.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2020)